Elizabeth Weiner stattet seit bald vierzig Jahren die «Four Seasons», «Kempinskis» und «Ritz-Carltons» der Welt mit Kunst aus – und dies auf Museumsniveau.
Diese 76-Jährige ist eine Naturgewalt. Sie eilt in hohen Absätzen über die sechsspurige Park Avenue, obschon die Ampel soeben auf Rot geschaltet hat. Sie schiebt sich in der Schlange der Met-Opera-Bar nonchalant ganz vorne hinein – sie kenne den Kellner. Nach ein paar Stunden mit Elizabeth Weiner wundert man sich nicht mehr, wenn sie erzählt, sie sage Künstlern, was für Werke sie machen sollten. Tut sie das oft? «Oh, ständig – I do it all the time.»
Es geht im Zickzack durch Manhattan, mit kurzem Zwischenhalt im «Four Seasons» in Midtown. Die Bilder hier seien kleinformatig und auch farblich zurückhaltend, um die grandiose Architektur umso stärker zu betonen, sagt sie. Und wird es wohl wissen, denn sie hat diese Werke selbst ausgewählt. Das Luxushotel ist eines von Dutzenden weltweit, die Elizabeth Weiner mit Kunst ausgestattet hat. Die ausgebildete Kunsthistorikerin und ehemalige Galeristin kuratiert seit bald vierzig Jahren Hotels. Sie ist gemäss eigenen Angaben die Erste, die Ende der achtziger Jahre damit begonnen hat, diese Dienstleistung auf professionell hohem Niveau auszuüben.
In der Regel beginnt Elizabeth Weiners Kunstauslese, bevor ein Hotel überhaupt steht. Mithilfe von Architekturplänen. Und ausgestattet mit einem Budget von in der Regel mehreren Millionen Dollar. Wichtig sei ihr, ein Thema zu haben. Mit einem Leitmotiv im Hinterkopf erforscht sie die umliegenden Museen, Galerien und Ateliers. «Ich finde es wichtig, zu einem grossen Teil mit Künstlerinnen und Künstlern aus der Region zu arbeiten.» Sie mischt aber auch gerne bekannte und unbekannte, günstige und teure, lokale und internationale Werke. «Ich liebe es, etwa einen David Hockney mit jemand Namenlosem zu kombinieren.»
Und manchmal wird das bis dahin Unentdeckte darauf entdeckt – und teuer. Als sie etwa 1996 für die Lobby des «Ritz-Carlton Millenia» in Singapur eine Skulptur des Glaskünstlers Dale Chihuly auswählte, war das ungewöhnlich: «Glaskunstskulpturen waren in Hotels äusserst unüblich, erst recht jene von Dale Chihuly.» Seine Werke sind seither im Wert um ein Vielfaches gestiegen.
Massgeschneiderte Kunst
Eines von Weiners offenen Geheimnissen ist, dass sie Kunstschaffenden, an deren Talent sie glaubt, zu sagen wagt, was sie ganz genau will. Sie kauft selten schon Bestehendes, lieber bestellt sie Kunst – massgeschneidert für das jeweilige Hotel. Das klingt dann etwa so: «Warum machst du es nicht ein bisschen grösser, packst eine Menge Farbe drauf und zeichnest dann um die Ränder herum?» Oder sie sagt einem Maler, er solle eine Skulptur machen. Und wenn das Gegenüber zögerlich einwende, was sie in dieser Situation oft zu hören bekomme: «Aber das habe ich noch nie gemacht», dann pflegt Elizabeth Weiner 50 Prozent Vorschuss zu geben mit der Ermutigung: «Du kannst das, ich nehme es auf jeden Fall.» Widerstand zwecklos.
Gegen zwei Jahre dauere das Kuratieren eines Hotels – mit viel Hin und Her, zahlreichen Umplatzierungen, Anpassungen, Perfektionierungen. Eigentlich beginnt Elizabeth Weiners Arbeit sogar, bevor sie die Hotelbaupläne in die Hand bekommt: Sie setzt sich mit den Hotelbesitzern zusammen, um ihren Geschmack auszukundschaften. «Wenn jemand diese Bilder mag, auf denen Pferde über Flüsse springen, dann bin ich nicht die Richtige für den Auftrag.»
Sie würde nie Kunst für andere auswählen, die sie nicht selbst gut finde. Um eine gute Vorstellung von den Wünschen ihrer Auftraggeber zu bekommen, gehe sie mit ihnen zahlreiche Kunstbände durch. «Ich bitte sie, bei jeder Abbildung zu sagen: ja oder nein – yay or nay. Danach gehe ich zu ihnen nach Hause, schaue mir an, was für Kleidung sie tragen, wie sie leben.»
Elizabeth Weiner lebt in einer Wohnung, die sich in einem Hotel befindet. Man wähnt sich darin in einer Kunsthöhle. Hier gilt offenbar nicht Minimalismus, sondern Maximalismus: Der wenige Platz ist bis unter die Decke mit bunten, abstrakten Bildern gefüllt. Eine gelbe Lampe, ein knallrotes Dalí-Lippensofa, sich stapelnde Kunstbände, Erinnerungsstücke, Fotos. Da ist sie mit dem Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude – «Wir waren befreundet» – , dort hängen Fotos von Andy Warhol: «Als ich ihn als Kind mit meinem Onkel in seiner Factory besuchte, sagte ich: ‹Onkel Lenny, lass uns hier weggehen, alle sind krank, die brauchen ja ständig Spritzen.›»
Sie hat noch viele Pläne
Ob Kunst sie anspreche oder nicht, sei intuitiv, reines Bauchgefühl. Das Auge dafür hat sie schon als Kind spielerisch antrainiert bekommen. Ihr Onkel Leon Kraushar besass zu seinen Lebzeiten die grösste Pop-Art-Sammlung der USA; bei ihm auf Long Island, wo auch sie aufwuchs, ging Elizabeth Weiner ein und aus. Nur habe Pop-Art damals kaum jemanden interessiert, sagt sie. Doch ihr Onkel habe von Anfang an fest an diese Kunst geglaubt.
Sie holt einen Zeitschriftenartikel und liest mit Gusto ein Zitat von ihm vor: «Renoir? Ich hasse ihn. Cézanne? Schlafzimmerbilder. Es ist dasselbe mit den Kubisten, den abstrakten Expressionisten, mit allen von ihnen. Dekoration.» Da gebe es keine Satire, kein Heute, keinen Spass. Das sei für die alten Damen, all die Leute, die zu Auktionen gingen – es sei nichts, es sei tot. Pop-Art hingegen sei die Kunst von heute, von morgen und für alle Zukunft.
Auch Elizabeth Weiner glaubte an Pop-Art, als sie nach dem Studium der Kunstgeschichte als junge Galeristin an der Madison Avenue in New York ihre erste Galerie eröffnete. Ihr Umfeld aber sei noch nicht so weit gewesen. Die Nachbarn hätten einen Beschwerdebrief verfasst gegen das «zerbeulte Schrottauto vor der Tür» – ein Werk von John Chamberlain, das heute Millionen wert ist. Elizabeth Weiners Reaktion: Sie kaufte ein zweites solches «Schrottauto» und stellte es hinzu.
Doch die New Yorker hätten sie damals frustriert. «Sie liebten nicht, was ich liebte.» Wenige Jahre nachdem ihr Vater ihr das fünfstöckige Townhouse gekauft hatte, in dem sie unten die Galerie betrieb, oben wohnte und noch weiter oben vermietete, verkaufte sie es wieder und löste ein Pan-Am-Flugticket rund um die Welt. «Nach ein paar Monaten kam ich zurück, stellte fest, dass ich New York immer noch nicht mochte, und kaufte mir ein weiteres Ticket um die Welt.»
Zu ihren grössten Abenteuern gehörte ein Abstecher nach Iran, wo sie für den Schah amerikanische Kunst für dessen Niavaran-Kulturzentrum besorgte. Kaum hatte sie das Land verlassen, kam das Geiseldrama, dann der Umsturz. «Ich erschrak und ging nie mehr zurück.»
Auf ihren Weltreisen schaute sich Elizabeth Weiner an jeder Station Museen und Galerien an. Ganz besonders tat es ihr Asien an, wo sie bis heute viel Zeit verbringt, am liebsten in Singapur. Auch die Schweiz möge sie besonders. In Genf hat sie das Hotel President Wilson und das «Mandarin Oriental» kuratiert. Sie spielt mit dem Gedanken, dort eine Galerie zu eröffnen. Oder vielleicht lässt sie ihre Autobiografie schreiben. Oder liefert Stoff für einen Film. Sie hat noch viele Pläne.
Nur ihr Traum, zurück in New York mit all ihren liebsten Kunstwerken zu leben, ihren Warhols und Lichtensteins, ist vorerst geplatzt. Denn die grosse Wohnung mit den Spiegeln an Decken und Wänden, die sie sich gekauft hatte, begann wenig später zusammenzubrechen. Die Spiegel fielen von den Wänden, dahinter kamen Pfusch und Schimmel zum Vorschein. Viele andere Pläne sind noch offen. «Ich halte mich im Athletic Club fit, da schwimme ich regelmässig eine Meile.» Elizabeth Weiner ist eben eine Naturgewalt.