Mittwoch, März 19

Bringen Pistenverlängerungen mehr Sicherheit oder doch mehr Flugverkehr? Die Nationalräte Priska Seiler Graf (SP) und Beat Walti (FDP) im Streitgespräch vor dem Urnengang am 3. März.

Frau Seiler Graf, Herr Walti, wann sind Sie zum letzten Mal geflogen?

Beat Walti: Letzten November. Ich muss beruflich dann und wann nach Dänemark, und dies war so ein Fall.

Priska Seiler Graf: Mein letzter Flug war vor zirka vier Jahren, das war ein Truppenbesuch bei der Swisscoy in Kosovo mit der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats. Privat fliege ich nicht.

Wann haben Sie das letzte Mal ein Flugzeug am Himmel wahrgenommen?

Seiler Graf: An meinem Wohnort? Jeden Tag! Ich wohne in der Anflugschneise der Piste 28 in Kloten.

Walti: Je nach Wetter höre ich Flugzeuge. Ich wohne in Zollikon aber etwas westlich der Anflugachse. Der Lärm von Schiene und Strasse ist für mich störender als der Fluglärm.

Und was bedeutet der Flughafen für Sie?

Walti: Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Er ist unser Tor zur Welt. Wenn man mit Leuten aus anderen Ballungszentren redet, wird einem bewusst, welch überdurchschnittlich gute Direktverbindungen wir weltweit haben. Das ist gerade für die exportorientierten Firmen enorm wichtig.

Seiler Graf: Die Bedeutung des Flughafens würde ich nie abstreiten. Ich komme aus Kloten und sass während vieler Jahre in der Stadtregierung. Als Gemeinde sind wir auf Gedeih und Verderb mit dem Flughafen verbunden. Aber er soll nicht grenzenlos wachsen.

Nun soll die Pisteninfrastruktur zum ersten Mal seit Jahrzehnten angepasst werden. Frau Seiler Graf, Sie sprechen als Gegnerin der Pistenverlängerungen konsequent von einem Ausbau. Gemäss Flughafen geht es aber um die Stabilisierung des Flugbetriebs. Betreiben Sie Stimmungsmache?

Seiler Graf: Man kann es auch umkehren: Ist es nicht vielmehr euphemistisch, von einer Stabilisierung des Systems zu sprechen? Natürlich wird das System stabiler mit den Pistenverlängerungen. Aber man kann dadurch auch die Kapazität erhöhen. Es ist ja das erklärte Ziel des Flughafens, auf bis zu 70 Flugbewegungen pro Stunde zu wachsen.

Zwei Nationalräte mit langer Flughafen-Geschichte

mvl. Priska Seiler Graf, 55 Jahre alt, von Beruf Sekundarlehrerin, ist in Kloten aufgewachsen und lebt noch immer dort. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in der Flughafenpolitik. Sie war zehn Jahre lang Klotener Sicherheitsvorsteherin, Kantonsrätin, ist Co-Präsidentin der kantonalen SP und seit 2015 Nationalrätin. Seiler Graf ist verheiratet und hat drei Kinder.

Beat Walti, 56 Jahre alt, ist von Beruf Anwalt und lebt in Zollikon. Als früherer Fraktionschef im Kantonsrat und Präsident der kantonalen Partei begleitete er die Diskussionen um die Flughafenpolitik eng. Walti sitzt seit 2014 für die FDP im Nationalrat. Von 2017 bis 2022 war er Fraktionschef der FDP. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Der Flughafen strebt diese Steigerung tatsächlich an, das darf er gemäss den Vorgaben des Bundes auch tun. Aber die Flughafen-Verantwortlichen sagen klar, dass die Pistenverlängerungen damit nichts zu tun haben.

Seiler Graf: Noch vor ein paar Jahren hiess es stets, mit einem stabileren Flugbetrieb könne man auch die Kapazität steigern. Die Frage ist doch, ob man den Beteuerungen der Verantwortlichen glaubt oder nicht. Viele Anwohnerinnen und Anwohner haben dieses Vertrauen nicht mehr. Sie wurden immer wieder an der Nase herumgeführt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Seiler Graf: Bei der fünften Ausbauetappe des Flughafens war 1995 von maximal 250 000 Flugbewegungen pro Jahr die Rede. Vor dem Swissair-Grounding waren es dann deren 320 000.

Das ist fast dreissig Jahre her.

Seiler Graf: Wir haben es nicht vergessen. Und beim Zürcher Fluglärmindex ZFI werden bis heute die Grenzwerte verletzt, ohne dass etwas passieren würde.

Beat Walti: Ich verstehe diese Argumente aus einer persönlichen Anwohneroptik. Aber man ist heute doch eindeutig weiter. Und der ZFI ist nicht das beste Beispiel. Der war von Beginn weg eine Zangengeburt, aber immerhin ein Monitoring-Instrument für die Lärmsituation. Und immerhin wurde auch das Limit von 320 000 Flugbewegungen für einen Marschhalt festgeschrieben.

Frau Seiler Graf sagt, man könne dem Flughafen nicht trauen. Was sagen Sie, Herr Walti?

Walti: Ich habe dieses Vertrauensproblem nicht, obwohl ich aus dem Süden des Flughafens komme und ein gebranntes Kind bin mit der Einführung der Südanflüge über Nacht 2003 durch den Bund. Es kann mit den Pistenverlängerungen nicht mehr geflogen werden, als es das regulatorische Korsett des Bundes zulässt. Würde man sagen: «Wir bauen eine neue Parallelpiste, versprechen euch aber, nicht mehr zu fliegen als heute» – dann könnte ich die Ängste verstehen. Aber wir reden über eine baulich überschaubare Massnahme. Dank dieser kann man mit mehr Flugzeugtypen und unter mehr Wetterbedingungen die Piste 28 anfliegen. Und die Flugsicherung muss weniger Betriebsumstellungen vornehmen.

Seiler Graf: Es ist eine Glaubensfrage. Glaubt man den Flughafenverantwortlichen oder nicht?

Walti: Es ist nicht nur eine Vertrauensfrage gegenüber den Flughafenverantwortlichen. Der Bund gibt vor, wie viel geflogen wird. Bei den Pistenverlängerungen sind der Regierungsrat involviert, der Kantonsrat, aber auch Experten in der Verwaltung.

Seiler Graf: Wir haben auch in die Regierung kein Vertrauen. Es haben sich nicht immer alle korrekt verhalten. Zum Beispiel hat der Flughafen ihm politisch wohlgesinnte Parteien finanziell unterstützt. Und die Zürcher Regierung hat Angaben des Referendumskomitees im Abstimmungsbüchlein zensiert. Wenn man nicht schreiben darf, dass der Flugverkehr für 27 Prozent des menschengemachten Klimaeffektes verantwortlich ist – diese Zahl stammt übrigens vom Bundesamt für Umwelt –, finde ich das demokratiepolitisch schwierig.

Walti: Das ist eine alte Diskussion: Hat das Komitee im Abstimmungsbüchlein einfach eine Carte blanche, oder gibt es einen Faktencheck? Ich masse mir in diesem Fall kein Urteil an. Aber klar ist, dass all diese Punkte jetzt diskutiert werden in der Öffentlichkeit – und wahrscheinlich sogar noch mehr Beachtung erhalten. Es wird also nichts verschwiegen.

Die Gegner der Vorlage befürchten mehr Fluglärm. Gemäss einer Untersuchung der Empa in Dübendorf gibt es einen Zusammenhang zwischen nächtlichem Fluglärm und Herz-Kreislauf-Versagen. Gehen Sie nicht zu leichtfertig über die Lärm-Thematik hinweg, Herr Walti?

Beat Walti: Ich bin kein Vertreter des Flughafens, sondern ich muss als Politiker die verschiedenen Interessen abwägen – den Schutz der Bevölkerung vor Lärm ebenso wie die wirtschaftliche Anbindung. Man muss dem Flughafen aber auch ermöglichen, die Vorgaben umzusetzen, und zwar unter möglichst vielen Wetterbedingungen. Mit den Pistenverlängerungen kann man den Flugplan, der heute auf Normalbetrieb ausgelegt ist, besser abfliegen. Das bedeutet: stabilerer Betrieb, weniger Verspätungen und Lärm am Abend.

Seiler Graf: Wir spüren als Anwohnerinnen und Anwohner heute stark, dass die Nachtruhe nicht eingehalten wird. Ja, der Flugplan ist auf ideale Wetterbedingungen ausgelegt, aber die treffen praktisch nie ein. Und wir sehen keine Bestrebungen des Flughafens, dieses Problem in den Griff zu bekommen, im Gegenteil: Er reizt seinen Spielraum aus. Da zu behaupten, die Nachtruhe würde durch die Pistenverlängerungen eingehalten, erscheint mir abenteuerlich.

Priska Seiler Graf sagt: «Wenn man nicht schreiben darf, dass der Flugverkehr für 27 Prozent des menschengemachten Klimaeffektes verantwortlich ist – diese Zahl stammt übrigens vom Bundesamt für Umwelt – finde ich das demokratiepolitisch schwierig.»

Frau Seiler Graf, Sie befürchten also, dass der Flughafen die Zeit mit zusätzlichen Flügen «auffüllt», wenn der Betrieb aufgrund der Pistenverlängerungen effizienter wird. Wobei der Flughafen darlegt, dass dies aufgrund der Regularien wie der Lärmschutzverordnung gar nicht möglich sei.

Seiler Graf: Ja, das befürchten wir, weil es immer wieder passiert ist. Wenn Slots frei geworden sind zwischen 22 und 23 Uhr, sind sie immer aufgefüllt worden. Praktisch jeder Flug in der Sperrzeit wird bewilligt. Da sind andere Flughäfen viel rigoroser. Frankfurt zum Beispiel hat nur fünf Stunden Nachtruhe, aber dort holt man dann notfalls die Passagiere aus dem Flieger raus, statt diesen zu spät starten zu lassen.

Pistenverlängerungen am Flughafen Zürich

Die Piste 14/32 soll um 280 Meter nach Norden verlängert werden.

Die Piste 10/28 soll um 400 Meter nach Westen verlängert werden.

Zürich hat sechseinhalb Stunden Nachtruhe, die strengste Vorgabe in ganz Europa.

Seiler Graf: Auf dem Papier stimmt das vielleicht. Aber es kommt nicht so selten vor, dass um ein Uhr morgen noch ein einzelnes Flugzeug unterwegs ist. Und es gibt einfach keinen Druck auf den Flughafen, den Flugplan auszudünnen. Man kann auch anders argumentieren: Der Flughafen rechnet mit 50 Millionen Passagieren jährlich irgendwann in den 2040er Jahren. Heute sind wir bei 31 Millionen. Wie soll diese Steigerung ohne zusätzliche Flugbewegungen gehen?

Walti: In den letzten Jahren ist die Anzahl Passagiere viel stärker gewachsen als die Anzahl Flugbewegungen. Dieser Trend dürfte weitergehen, weil ein grosser Flieger aus Sicht der Fluggesellschaften ökonomischer ist als ein kleiner. Und es stimmt einfach nicht, dass es keinen Druck auf den Flughafen bezüglich Nachtflügen gibt. Da ist die Politik dahinter, sehr zu Recht. Der Flughafen selbst hat auch realisiert, dass er dieses Problem angehen muss.

Die Pistenverlängerungen sind eine Empfehlung aus einer Sicherheitsprüfung des Bundesamts für Zivilluftfahrt. Was kann man gegen mehr Sicherheit haben, Frau Seiler Graf?

Seiler Graf: Diese Diskussion führt ins Nichts. Der Flughafen Zürich ist sicher. Das sagen auch die Skyguide und die Flughafen Zürich AG.

Herr Walti, ist der Flughafen heute unsicher?

Walti: Wenn etwas passiert in der Fliegerei, gibt es keinen Blechschaden. Dann gibt es sehr viele Todesopfer, das wollen wir uns gar nicht ausmalen. Dass der Flughafenbetrieb in Zürich grundsätzlich sicher ist, schliesst Verbesserungen nicht aus. Priska Seiler Graf sagt: «Wir glauben dem Flughafen einfach nicht.» Mit dieser Haltung wird man stets jede Massnahme ablehnen. Dass ein Betrieb mit weniger Kreuzungspunkten am Boden und in der Luft sicherer ist, leuchtet doch auch dem Laien ein.

Gemäss Skyguide ist der grösste Vorteil, dass der Betrieb weniger umgestellt werden muss. Wieso überzeugt Sie das nicht, Frau Seiler Graf?

Seiler Graf: Dass es tatsächlich weniger Betriebsumstellungen geben wird, können Sie mir nicht beweisen, ebenso wenig wie ich Ihnen das Gegenteil beweisen kann. Der ehemalige Chef des Zürcher Towers hat kürzlich gesagt, die Pistenverlängerungen brächten kaum etwas.

Die Skyguide steht aber klar hinter den Pistenverlängerungen.

Walti: Gemäss meinen Informationen ist es immer der Entscheid des Piloten, der sagt: Es hat mir zu viel oder zu wenig Rückenwind, es ist mir zu nass – das sind kurzfristige Entscheidungen, die Unsicherheit schaffen. Verzichtet man auf die Pistenverlängerungen, lädt man diese Unsicherheit weiterhin den Verantwortlichen der Flugsicherung auf die Schultern.

Seiler Graf: In 75 Jahren ist noch nie ein Flugzeug über das Ende der Piste 28 hinausgerollt.

Walti: Ja, weil immer dann, wenn ein Pilot die Piste 28 als zu kurz für eine Landung erachtet, der Zirkus mit den Betriebsumstellungen losgeht, damit er von Süden her landen kann. Das bringt Unruhe.

Seiler Graf: Eines ist unbestritten: Je länger man das gleiche Konzept beibehalten kann, desto besser.

Genau das will man ja verbessern mit den Pistenverlängerungen.

Seiler Graf: Es gibt viele Faktoren, weshalb es am Flughafen Zürich zu Betriebsumstellungen kommt, wie spezielle Wetterlagen oder die Vorgaben der Politik. Der Flughafen wäre für einen Anflug von Norden her angelegt, aber Deutschland hat einseitig Sperrzeiten verfügt, die diesen Anflug abends nicht zulassen. Die Pistenverlängerungen können diese Komplexität nicht auflösen. Hinzu kommt, dass ein grosser Teil der Verspätungen gar nicht in Zürich, sondern bei den Flugsicherungen im Ausland entsteht.

Walti: Klar gibt es Faktoren, auf die wir keinen Einfluss haben. Aber wir müssen die Voraussetzungen bei uns möglichst gut gestalten. Man kann jetzt stundenlang anzweifeln, wie gross der Nutzen der Pistenverlängerungen ist, aber ich habe bisher kein Argument gehört, warum es schlechter werden sollte.

Beat Walti sagt: «Man kann jetzt stundenlang anzweifeln, wie gross der Nutzen der Pistenverlängerungen ist, aber ich habe bisher kein Argument gehört, warum es schlechter werden sollte.»

Einmal abgesehen von der Frage, ob die Pistenverlängerungen einen Ausbau bringen oder nicht: Die Diskussion um den 50-Millionen-Passagiere-Flughafen beschäftigt viele Leute. Sind Sie für unbegrenztes Wachstum, Herr Walti?

Walti: Entschuldigung, aber das ist eine irrelevante Frage.

Seiler Graf: Wie bitte?

Walti: Es geht doch darum, die vorhandene Infrastruktur optimal auszunutzen. «Volumen über alles» kann sicher nicht das Motto sein. Aber für Zürich und die Schweiz ist es zentral, dass wir einen attraktiven Hub-Betrieb haben – für den Personenverkehr wie übrigens auch für die Luftfracht. Die Zahl von 320 000 Flugbewegungen pro Jahr als Maximum, wie es im Flughafengesetz steht, ist nahe am technischen Maximum. Daran orientiere ich mich.

Seiler Graf: Es gibt einen Mittelweg zwischen gar keinem Flughafen und einem, der grenzenlos wächst, da gebe ich Beat Walti recht. Aber es gab unter Regierungsrätin Rita Fuhrer auch schon Prognosen von über 400 000 Flugbewegungen. Die Zahl von 320 000 Flugbewegungen ist auch keine fixe Obergrenze: Wenn sie überschritten wird, geht erst die Diskussion über mögliche Massnahmen los. Leider hat man darauf verzichtet, in Zusammenhang mit den Pistenverlängerungen Verbindlichkeiten ins Gesetz zu schreiben. Heute reden wir nicht mehr nur über den Lärm, sondern auch über das Klima. Da noch eine Steigerung anzustreben, ist falsch.

Herr Walti, was sagen Sie zu diesem Sündenregister, das Frau Seiler Graf dem Flughafen vorhält?

Walti: Es hat mit den Pistenverlängerungen schlicht nichts zu tun. Das Argument unterstellt, man wolle mit den Pistenverlängerungen mehr Verkehr und mehr Belastung produzieren. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man die Flugpläne besser einhalten kann, dann tut man der Bevölkerung Gutes und nicht Schlechtes. Wenn man dem Flughafen in keinem Punkt traut und alles als Glaubensfrage darstellt, können wir die Diskussion auch sein lassen.

Die Frage, wie stark der Flughafen wachsen soll, ist doch legitim.

Walti: Es ist ein wichtiges Thema, aber ein anderes. Es gibt im CO2-Gesetz die Beimischpflicht von CO2-neutralem Kerosin, es gibt auch auf internationaler Ebene weitere Initiativen. Aber wir können doch nicht mit dem Pistensystem die Nachfrage steuern. Das ist Sache der Umweltregulierung für den Luftverkehr. Soll man sich auf den Schlauch stellen, damit mehr oder weniger Wasser hinausläuft? Nein, man soll den Hahnen richtig einstellen.

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