Samstag, Oktober 5

Der amerikanische Rapper hat den Hip-Hop des letzten Jahrzehnts mitgeprägt. Auch das neueste Album zeichnet sich durch musikalische Finessen aus. Live im ausverkauften Zürcher Hallenstadion geht es ihm aber um die Party, nicht um die Kunst.

Fans sind duldsame Wesen. Das zeigt sich einmal mehr am Freitagabend im ausverkauften Zürcher Hallenstadion. Weit über eine Stunde muss das Publikum auf sein schwer verspätetes Idol warten – im dichten Gedränge, in dem die Temperatur steigt und die Luft allmählich ausdünnt.

Kein Wunder, mischt sich in die Vorfreude bald eine gewisse Unruhe. In plötzlichen Schockwellen wird die Masse von Frust ergriffen, der sich in lauten Pfeifkonzerten Gehör verschafft. Dass die Hoffnung auf die baldige Ankunft des Stars nicht stirbt, zeigt sich aber dadurch, dass immer wieder sein Name skandiert wird. Schliesslich einigt sich die Halle zur eigenen Belustigung auf Sprechchöre für die Schweizer «Nati».

Als dann Travis Scott endlich erscheint vor seinem Volk, sind Warten und Leiden vergessen. Dem amerikanischen Rapper gehört sofort die ganze Aufmerksamkeit. Sobald die Bässe wummern und die Rhythmik dröhnt, springt aus jedem Fan-Herzen ein Funke der Begeisterung. Das Stadion scheint Feuer zu fangen, die Euphorie brandet rauschhaft durch die Halle. Und die Scharen, die unten toben und tanzen, wirken von den oberen Rängen aus wie bedrohliche Wogen.

Fantasy und Utopie

Bei Hip-Hop-Konzerten bleibt die Musik paradoxerweise oft bloss ein Alibi für den Fan-Kult. Das liegt daran, dass sich die ausgeprägte Sound-Kultur zeitgenössischer Studioproduktionen kaum auf grosse Locations übertragen lässt. Das macht auch Travis Scotts Auftritt deutlich.

Die Sinne werden zunächst ohnehin durch die Bühne in Anspruch genommen: Eine zerklüftete Felslandschaft mit den steinernen Statuen scheinbar prähistorischer Gottheiten windet sich mitten durch das Stadion. Aus allen Winkeln schiessen Lichter, Flammen und Blitze hervor (umso dümmer, dass ein Besucher in der Menge selber Pyros schmeisst und festgesetzt werden muss). Die Musik donnert zwar ohrenbetäubend, aber die klanglichen Details gehen dabei ebenso verloren wie die Verständlichkeit des Rap. Allein, das Publikum kennt ohnehin alles auswendig und kann die Strophen begeistert mitrappen.

Vielleicht steht Travis Scotts Fantasy-Landschaft auch für eine futuristische Szenerie? Das würde eher zu «Utopia» passen, dem Titel seines jüngsten Albums, das das Konzertrepertoire bestimmt. Der 33-jährige Rapper aus Houston, Texas, hat sich damit einmal mehr als stilsicherer Künstler mit unvergleichlichem Profil in Szene gesetzt.

Gefördert von seinem grossen Vorbild Kanye West, eignete sich Travis Scott rasch die minimalistische, elektrisierende Ästhetik des Trap an. Wie kein Zweiter versteht er es seither, in seinen von Autotune weichgezeichneten Sprechgesängen eine kühle Eleganz mit Junkie-Wahn oder mit der düsteren Melancholie eines Outlaws zu paaren. Der feingliedrig-muskulöse Nachtmensch steht zwar für sozialen Aufstieg und hedonistisches Glück. Gleichzeitig gibt er sich aber auch als ominöse Schattenfigur, die gegen Ideale und Gesetze der Leistungsgesellschaft rebelliert.

Ähnlich wie sein Lehrer Kanye West, der ihm einige seiner Tracks überlassen hat für das neue Album, bringt Travis Scott auf «Utopia» etwas mehr Wucht in den Bass und mehr Bombast ins Klangbild. Dennoch suggerieren seine Stücke zumeist private oder intime Momente – auf nächtlichen Autofahrten, in Hotelzimmern oder dunklen Quartieren. Insofern ist das Stadion per se nicht der richtige Ort für Travis Scotts Rap-Fantasien.

Aber der richtige Ort, um ihn als Star zu feiern, ist es allemal. Die Verspätung erklärt wohl, dass Travis Scott im Schnellzug durch sein Repertoire geht. Einige Hits wie «Mamacita» oder «Antidote» können nur kurz angetönt werden. Als Schwerpunkte dienen jene Tracks mit einfachen Formen und klaren Akzenten.

Travis Scott - FE!N (Official Audio) ft. Playboi Carti

Für einen ersten Höhepunkt sorgt «Circus Maximus», der stampfende Rhythmus reisst das Publikum mit. Ähnlich funktioniert später auch «Fein» – der Einsilber im Titel wird auf den geraden Beats regelmässig wiederholt und wird zum hypnotischen Stimulus. Auch das neue, melodische Stück «I Know» kommt im Hallenstadion sehr gut an. Vielleicht liegt es auch daran, dass es der Schweizer Produzent OZ mitkomponiert hat.

Kosmische Einsamkeit

Die 90-minütige Zürcher Show (normalerweise dauern seine Auftritte eine Stunde länger) bestreitet Travis Scott solo – abgesehen von einem DJ und King-Kong-ähnlichen Fabelwesen, die irgendwann über die ausladende Bühne trollen. Weil er manche Stücke in Zusammenarbeit mit anderen Musikern produziert hat, dringen immer wieder Stimmen anderer Stars wie Drake, Kanye West, Beyoncé aus den Boxen.

Einmal aber wird es leise im Stadion, die Beats sind weg. Und Travis Scott lässt seiner von Autotune ausgerüsteten Stimme freien Lauf in die Improvisation. Und jetzt nimmt sich der Gesang aus wie die Klage einer in kosmischer Einsamkeit verlorenen Seele.

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