Die Nachfrage nach Agrargütern wird zunehmend geopolitisch gesteuert. Davon profitieren Brasiliens Bauern, doch die Ökosysteme werden leiden.
Im Jahr 2021 kletterten die Sojapreise auf 15 Dollar pro Bushel – den höchsten Stand seit acht Jahren. Im selben Jahr wurden im Amazonasgebiet über 13 000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt. Das war die grösste Regenwaldfläche seit fünfzehn Jahren, die in Rauch aufging.
Auslöser für die steigenden Sojapreise und die Waldbrände waren Entscheidungen im fernen Washington: Donald Trumps Strafzölle gegen China hatten zu einem steilen Anstieg der brasilianischen Agrarexporte nach Asien geführt. Und die hatten indirekt zu mehr Rodungen im Regenwald geführt.
Was mit Trumps Strafzöllen gegen China begann, setzte mit einer Verzögerung von ein, zwei Jahren einen Dominoeffekt in Gang, an dessen Ende Brasiliens Cerrado, also die Savannen, und der Amazonasregenwald stark dezimiert wurden.
Diese Kausalkette beginnt nun erneut zu wirken. Wie genau, zeigt der Blick zurück.
Brasiliens Bauern ersetzen die Agrarexporteure der USA
Als Donald Trump 2018 Strafzölle auf chinesische Waren verhängte, reagierte China mit einem Importstopp für amerikanische Sojabohnen. Die Volksrepublik sah sich nach neuen Lieferanten um, brasilianische Landwirte sprangen ein.
Doch Bauern können ihre Erträge nur mittelfristig ausweiten. Die neue Nachfrage aus China traf also auf ein zunächst starres Soja-Angebot. In der Folge stiegen die Sojapreise von rund 9 Dollar pro Bushel im Jahr 2018 auf 15 Dollar im Jahr 2021. Die hohen Sojapreise motivierten viele Landwirte in Brasilien, neue Flächen mit der Hülsenfrucht zu bepflanzen.
Die Agrarexporte nach China wurden zu einem grossen Erfolg für die brasilianische Landwirtschaft. Seit Trumps erster Amtszeit haben sich die Sojaexporte nach China verdoppelt, die Rindfleischexporte haben sich gar verfünffacht. Brasilien ist heute der mit Abstand wichtigste Lebensmittellieferant für China. Deswegen ist auch die Handelsbilanz zwischen den beiden Ländern für Brasilien im Plus.
Diese schnelle Reaktion auf Marktchancen zeigt die Dynamik der brasilianischen Landwirtschaft. Auf der einen Seite.
Unter Bolsonaro stieg die Zahl der Brandrodungen an
Auf der anderen Seite hat dieser Agrarboom zu schweren Folgeschäden für Brasiliens Umwelt geführt. Dafür ist nicht Trump verantwortlich, sondern Brasilien selbst.
Denn etwa zur gleichen Zeit trat 2019 Jair Bolsonaro sein Amt an. Für ihn war Umweltschutz lästig, ein Hindernis für die Bauern. Seine Regierung schwächte die Umweltbehörden, stoppte Kontrollen und gab das Signal, der Regenwald dürfe abgebrannt werden, um Platz zu schaffen für Sojaplantagen und Rinderweiden. Niemand werde bestraft.
Die Folgen waren messbar. Im Amazonasgebiet stieg die jährliche Abholzung von 7900 Quadratkilometern vor Bolsonaros Regierungszeit auf über 13 200 Quadratkilometer in dessen zweitem Amtsjahr 2021. Auch im Cerrado, das an das wichtigste Soja-Anbaugebiet angrenzt, nahmen die Rodungen im gleichen Zeitraum deutlich zu: von 6500 auf fast 11 000 Quadratkilometer, wie letztmals 2015.
Viele Landwirte begrüssten Bolsonaros Politik, denn sie konnten Agrarflächen billig erweitern. Zuvor waren staatliche Behörden über Jahre erfolgreich gewesen beim Schutz des Regenwaldes. Zwischen 2009 und 2018 gelang es Brasiliens Regierungen, die Abholzungen weitgehend zu kontrollieren.
Per Satellitensystem können die Behörden auch auf kleinen Farmen nachweisen, wenn dort plötzlich Nachbargrundstücke oder Naturschutzgebiete in Flammen aufgehen. Die Streichung von Agrarfinanzierung und das Verbot, Farmen zu verkaufen, waren weitere wirksame Instrumente im Kampf gegen illegale Rodungen. Unter Bolsonaro wurden diese Massnahmen nicht mehr angewandt.
Die Agrarlobby unterstützt Bolsonaro
Mit der Abholzung des Regenwaldes haben die meisten Landwirte in Brasilien nichts zu tun. Viele Plantagen – etwa für Kaffee, Zucker, Orangen oder Kakao – liegen weit entfernt vom Regenwald. Dennoch profitieren sie indirekt von der illegalen Ausweitung der Agrarflächen.
Die Bodenpreise geraten weniger unter Druck. Illegal agierende Rinderzüchter oder Sojabauern können ihre Produkte in den legalen Kreislauf einschleusen, wovon auch die seriösen Unternehmen teilweise profitieren. Das ist etwa der Fall, wenn Kälber auf abgeholzten Regenwaldflächen grossgezogen werden, für die Mästung aber auf legal registrierte Weiden von Schlachthöfen getrieben werden. Kein Wunder, dass die Agrarlobby im brasilianischen Kongress bis heute zu den wichtigsten Unterstützern Bolsonaros zählt.
Seit 2023 sind die Entwaldungszahlen unter Präsident Lula wieder rückläufig. Es gelang ihm, die Kontrollbehörden zu stärken. Doch das Zeitfenster könnte sich bald wieder schliessen. Denn Trump hat erneut Strafzölle gegen China verhängt, Peking hat mit Gegenzöllen zurückgeschlagen.
Brasilien wird ziemlich sicher seine Landwirtschaftsexporte nach China und auch dem umliegenden Südostasien steigern. Dem Cerrado und dem Amazonasgebiet droht deshalb nun eine neue Welle der Zerstörung.
Das belegt die jüngste Studie des Imazon-Instituts für den Regenwald: Zwischen August 2024 und Februar 2025 hat sich die Zahl der degradierten Flächen in Amazonien verfünffacht. Das ist der mit Abstand höchste Wert seit fünfzehn Jahren.
Degradierte Flächen sind Regenwaldabschnitte, die teilweise abgebrannt sind, aus denen Baumstämme entnommen wurden oder in denen sich Goldsucher ausgebreitet haben. Sie befinden sich in der Vorrodungsphase. Sie sind also bereits geschädigt oder teilweise erschlossen. Und damit bereit für Ackerbau oder Viehzucht.
Der externe Druck für mehr Naturschutz nimmt ab
Auch der externe Druck auf Brasiliens Landwirtschaft, sein Ökosystem zu schonen, hat abgenommen: So hat die EU die Rodungsverordnung um ein Jahr verschoben. Damit sollen Unternehmen sicherstellen, dass bestimmte Rohstoffe und Produkte – darunter Rindfleisch, Soja, Palmöl, Kaffee, Kakao, Holz und Kautschuk – nicht von Flächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet oder degradiert wurden.
Die Verschiebung ergibt zwar Sinn, da viele Details noch unklar waren. Vor allem kleinere Landwirte hatten kaum Chancen, auf die Vorgaben zu reagieren. Doch einige Bauern könnten die Fristverlängerung als Amnestie für weitere Rodungen interpretieren. Sie könnten versuchen, vollendete Tatsachen zu schaffen, und Wälder abbrennen oder besetzen, wie sie es schon oft getan haben. Jedes Mal wurden sie in Brasilien im Nachhinein mit einer Amnestie belohnt.
Die Regierung Lula ist zudem politisch geschwächt. Nächstes Jahr sind Wahlen. Die Regierung wird traditionell die Kontrollen gegen Waldzerstörung zurückfahren, um politische Verbündete in den Gliedstaaten nicht zu verprellen.
Die Statistik könnte Lula bei der Klimakonferenz helfen
Die kommende Klimakonferenz COP 30 findet im November in Brasilien statt, und die Regierung von Präsident Lula da Silva will sich als weltweiter Klimaschützer profilieren. Das wird nur möglich sein, wenn Brasilien seine Rodungen im Amazonasregenwald wieder in den Griff bekommt.
Doch die Statistik könnte Präsident Lula zu Hilfe kommen. Das brasilianische Raumforschungsinstitut Inpe veröffentlicht die offiziellen Rodungszahlen eines Jahres stets im November, die Zahlen gelten für den Zeitraum von August des Vorjahres bis Juli des Berichtsjahres. Die Brandrodungen beginnen aber erst mit der Trockenzeit ab Juni. In die diesjährigen relevanten Statistiken für die Weltklimakonferenz werden sie kaum noch eingehen.