Donnerstag, März 20

In der Politik ist Lob aber oft gefährlicher als Kritik.

Seit Peter Bichsel verstorben ist, wird nicht nur sein literarisches, sondern auch sein politisches Werk gewürdigt – selbst von politischen Gegnern. Bichsel bezeichnete sich als Sozialisten, er bezichtigte die Schweiz des Fremdenhasses, er stellte fest: «Die Armee ist tödlich.» Aber der konservative Publizist Markus Somm lobte ihn in einem «Nebelspalter»-Podcast als «Vertreter einer Sozialdemokratie, die es nicht mehr gibt»: «Er stand für eine Partei, die eine Büezerpartei war.» Anders als die heutige «Woke-Juso-Partei» habe Bichsels SP die einfachen Leute vertreten. Kurzum: Er war noch ein vernünftiger Linker.

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So ist es oft in der Politik. Wer älter wird, wer zurück- oder definitiv abtritt, darf mit der Nachsicht des Gegners rechnen. Aber nur um den Preis, dass er gleichzeitig zum Argument des Gegners wird. Die Gestrigen werden zu Vernünftigen, um die Heutigen zu Unvernünftigen zu erklären. So sind erstaunliche Um- und Neudeutungen möglich.

«Er ist mir halt sympathisch»

Als Christoph Blocher vom rechten Flügel der SVP achtzig Jahre alt wurde, gratulierte ihm in den Tamedia-Zeitungen Jean Ziegler vom linken Flügel der SP: «Er ist mir halt sympathisch.» Was er am meisten an ihm schätze? «Wenn Blocher redet, dann redet eben Blocher. Und nicht ein politischer Söldner all der Lobbyisten, die das Parlament im Auftrag von Pharma, Militär, Landwirtschaft oder Versicherungen fernsteuern.»

Seit es in der SVP nicht zu wenige gibt, die mit rechten Parteien im Ausland flirten, argumentieren politische Gegner mit Blocher: Er habe sich noch geweigert, in der SRF-«Arena» neben dem AfD-Politiker Alexander Gauland am Pültchen zu stehen. Peter Bodenmann, der frühere SP-Präsident, schrieb: «Für Christoph Blocher galt das Prinzip: Mischt euch nicht in fremde Händel ein. Er traf nie Jörg Haider. Papa Le Pen war ihm immer unheimlich. Anders die Generation seiner Nachfolger.» Kurzum: Er war noch ein vernünftiger Rechter. (Blocher wiederum bezeichnete seinen alten Hauptgegner Bodenmann zuletzt als «besten Parteipräsidenten, den die SP je hatte» – was gleichzeitig eine süffisante Kritik am gegenwärtigen SP-Präsidium war.) So liesse sich die Aufzählung beliebig erweitern.

In der Politik ist Lob gefährlicher als Kritik: Zu oft kommt es von der falschen Seite, aus den falschen Gründen.

Hubachers Formel

Helmut Hubacher, einst Präsident der SP und von rechts als linker «Nestbeschmutzer» verrufen, galt in seinen letzten Jahren unter alten Gegnern plötzlich als «vernünftiger Sozi». Auf das späte Lob von rechts nach links sagte er: «Ich spasse jeweils mit [meiner Frau] Gret: ‹Du, ich werde immer besser, es hagelt nur noch Komplimente!›» Natürlich hatte er den Mechanismus längst durchschaut, der nicht nur in seinem Fall und auf seiner politischen Seite gilt: «Der derzeitige SP-Präsident ist das Feindbild, der zurückgetretene war der Vernünftige und der verstorbene der Beste.»

Als er im Jahr 2020 verstarb, stieg er in den politischen Himmel auf. Er konnte, natürlich, nichts dagegen tun.

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