Mittwoch, Oktober 30

Unfälle, Staus, kaputte Strassen: Navigationssysteme führen ihre Nutzer bisweilen auf Abwege. Eine Studie der Universität St. Gallen widmet sich Folgen der Navi-Nutzung.

«Warum ist der ganze Verkehr plötzlich in unserer Strasse?», fragt Lisa Simpson in der «Simpsons»-Folge: «The Wayz We Were». Die Ursache für Lisas Feststellung: Eine Verkehrs-App empfiehlt das ruhige Wohnviertel der berühmten Zeichentrickfiguren als Ausweichroute und verwandelt es in einen «verstopften Albtraum».

Die «Simpsons»-Folge greift ein Problem auf, das seit einigen Jahren im wirklichen Leben immer präsenter ist: Die Empfehlungen von Navigationssystemen sorgen für Staus, Chaos, Unfälle, Stress. Immer wieder landen Autofahrer zunächst im Hafenbecken und dann in den Schlagzeilen, weil sie blind dem GPS-System ihres Fahrzeugs vertraut haben. Aber auch Wanderer, Velofahrer oder Reiter verlassen sich auf GPS-gestützte Navigationshilfen. Manchmal kommt es gar zu tödlichen Unfällen: 2015 stürzte eine Amerikanerin von einer zwölf Meter hohen morschen Brücke in den Tod. Sie hatte die Warnschilder ignoriert und war weiter den Anweisungen des Navis gefolgt.

Wendemanöver im Gotthardtunnel

Wissenschafter der Universität St. Gallen haben nun die Auswirkungen von GPS-gesteuerten Navis auf lokale Gemeinschaften erforscht. Da es keine spezielle Datenbank zu dem Thema gibt, durchsuchten die Forscher die amerikanische Nachrichtendatenbank Lexis Nexis systematisch nach Zeitungsartikeln und Meldungen aus dem Internet über Vorfälle, bei denen Navis für Chaos und Probleme sorgten. Ein Grossteil der Beiträge war englischsprachig und bezog sich auf Vorfälle im angloamerikanischen Raum. Doch passierten solche Vorfälle auch in der Schweiz, schreiben die Forscher. In der Tat findet man beim Googeln unzählige Beispiele für den deutschsprachigen Raum.

In der Datenbank fanden die Forscher für die Jahre zwischen 2010 und 2023 insgesamt 90 Vorfälle. In mehr als der Hälfte der Fälle hatten die Anweisungen des Navis zu Staus und Verkehrsbehinderungen geführt. Das Navi sucht immer die zeitlich schnellste Route: Entdeckt es einen Stau auf der Autobahn, empfiehlt es die Umleitungen über Ausweichrouten. Die Folge: Auch Nebenstrassen oder ruhige Stadtviertel werden mit Autos verstopft. Die Unfallgefahr erhöht sich.

Die britische Zeitung «The Guardian» schrieb bereits 2022, dass aufgrund der zunehmenden GPS-Nutzung in London «die Wahrscheinlichkeit, dass Fussgänger auf Nebenstrassen getötet oder schwer verletzt werden, pro zurückgelegter Meile um 17 Prozent höher ist als auf Hauptstrassen».

Was falsche Routenvorschläge auslösen können, zeigte sich zum Beispiel bei der Rad-WM in Zürich im September. Wegen der Rennen mussten viele Strassen gesperrt und Autos umgeleitet werden. «Aus allen Richtungen vermengen sich Autos, deren Navigationssysteme eine Abkürzung zu kennen glauben, und gerinnen zu einer immobilen Masse.»

Durch das Befolgen fehlerhafter Anweisungen bringen Lenker manchmal gar sich und andere in Gefahr. Im Gotthardtunnel etwa gilt ein striktes Wende- und Überholverbot. Dennoch versuchen jedes Jahr Dutzende von Fahrern, in der Röhre umzukehren. Auf den ersten Kilometern Richtung Süden gibt das Navi, irritiert durch die oberhalb verlaufende Passstrasse, bisweilen die Anweisung «Bitte wenden».

Gefährliche Wendemanöver

Lkw spielten in den analysierten Artikeln ebenfalls eine grosse Rolle. In einem Drittel der Fälle ging es um die Durchfahrt von Schwerverkehr. Zu grosse und zu schwere Lkw befahren für sie ungeeignete Strassen, führen zu erhöhtem Verkehrsaufkommen, blockieren Strassen. Die Lkw gefährden damit auch die Sicherheit, etwa durch Unfälle oder auch die Beschädigung von Strassenbelägen.

Algorithmen anpassen, Rücksicht nehmen

Welche Lösungsansätze gibt es? Auch daraufhin klopften die Forscher die Artikel ab. Und sie geben selber Handlungsempfehlungen.

Laut den Forschern hat die Auswertung der Artikel gezeigt, dass meist nur Anpassungen auf lokaler Ebene angestrebt würden: ein Abbiegeverbot an bestimmten Stellen oder die Sperrung einer Strasse für den Durchgangsverkehr in Wohngebieten. Bei manchen Apps kann man auch Fehler melden. So habe Waze, ein Anbieter von mobilen Kartenanwendungen, sein System bereits geöffnet, damit lokale Behörden mit ihren Verkehrs- und Routendaten interagieren könnten.

In der eingangs erwähnten Zeichentrick-Folge entfernten die Simpsons ihre Strasse aus dem Datensatz der Verkehrs-App, um von den Navis nicht mehr als Ausweichroute empfohlen zu werden – mit Erfolg. In der Realität ist der Ansatz nicht immer so erfolgreich. Die Studienautoren schreiben, dass dies meist nur zu einer Verschiebung des Problems führe: «Die Autos verschwinden zwar aus einem Quartier, tauchen dafür aber dann im nächsten wieder auf.»

Systematische Ideen seien gefragt, schreiben die Forscher. Beispielsweise eine Anpassung der Algorithmen durch Google Maps. Zudem schlagen die Autoren vor, dass Navis ihren Nutzern künftig zusätzliche Informationen über die vorgeschlagenen Routen mitliefern. Im Moment beruhe die Routenberechnung durch Navigationssysteme darauf, dass die Fahrer Zeit gewännen. Doch was, wenn das Navi künftig sagt, welche Sicherheitsrisiken durch Ausweichrouten auftreten können? Oder welche Umweltkosten entstünden?

Dann könnten die Nutzer wählen und sich, so die Hoffnung der Autoren, für Eigenverantwortung und freiwillige Rücksichtnahme entscheiden. Ein Lastwagenfahrer könne überlegen, ob er durch ein verkehrsberuhigtes Wohngebiet fahren wolle oder doch zehn Minuten Zeitverlust im Stau in Kauf nehme.

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