Donnerstag, Oktober 10

Die argentinische Theatermacherin Lola Arias hat mit ehemaligen Häftlingen ein Stück über den Weg zurück in den Alltag produziert. Am Zürcher Theaterspektakel sorgt es für Standing Ovations.

Das erste Mal lächeln sie bloss. Als sie zum zweiten Mal zurückkehren, um sich vor dem Publikum zu verneigen, stehen ihnen schon Tränen in den Augen. Und beim dritten Mal weinen und heulen sie vor Rührung über die Standing Ovations.

Die sechs Selbstdarstellerinnen von «Los días afuera» (die Tage draussen), einem Stück der argentinischen Regisseurin Lola Arias, haben das Publikum am Zürcher Theaterspektakel ihrerseits bewegt und ergriffen durch ihre Schicksale: Alle haben sie eine längere Haft in einem argentinischen Gefängnis verbracht und versuchen nun, sich in Freiheit zu behaupten und in den Alltag zurückzufinden.

Die psychologische Dynamik ihres Auftritts erklärt den herzlichen Applaus. Zu Beginn bereits haben sich die Protagonistinnen wie Heldinnen auf der Bühne aufgestellt, eine neben der andern. Dabei mochten sie stolz und majestätisch wirken, aber auch etwas kühl und grobschlächtig. In gut anderthalb Stunden aber, in denen sie von ihren persönlichen Erfahrungen und Ängsten sprechen, scheinen sie sich ihrer Reserve und ihrer dicken Haut zu entledigen. Und so bekommt man Einblick in zarte Seelen, in die das Leben Erniedrigung und Scham gezeichnet hat.

Was ist ein QR-Code?

Dass ihnen trotzdem auch der Humor und die Hoffnung geblieben sind, hat auch mit dieser dokumentarischen Theaterproduktion zu tun, die auch einen sozialen, existenzsichernden Charakter hat.

Lola Arias hat das Ensemble in Gefängnissen gecastet und engagiert. Zuerst produzierte sie mit den Insassinnen einen Film über das Leben in Gefangenschaft. In der Theaterproduktion mit dem gleichen Ensemble geht es nun auch um die Zeit danach. Die Welt hat sich verändert: Was zum Beispiel ist ein QR-Code? Wie findet man zurück in ein soziales Gefüge? Wie findet man Arbeit, wenn man vorbestraft ist?

Aber man erfährt auch, dass die sechs Persönlichkeiten – unter ihnen auch ein Transmann und eine Transfrau – durch Raub- und Drogendelikte im Gefängnis gelandet sind. Das Leben war eben schon vor der Gefangenschaft schwierig. Die meisten Frauen wurden bei ihrer Verhaftung aus prekären sozialen und ökonomischen Verhältnissen gerissen. Die Transfrau, die als Tänzerin und Prostituierte arbeitete, erzählt überdies, wie sie von einem Freier brutal zusammengeschlagen wurde; bis heute fehlen ihr seither die vorderen Zähne.

«Los días afuera» informiert über die speziellen Verhältnisse in Gefängnissen, wo offenbar ständig geschrien und geprügelt wird. Man muss sich auch in eine Gefängnis-Kultur einleben. Dazu zählen etwa die Faszination für Tattoos oder gewisse Rituale und Kulte: Man betet zu einer barfüssigen Gaucho-Figur, steckt ihr Zigaretten in den Mund, um aus der fallenden Asche dann die eigene Zukunft zu lesen.

Bedeutend für «Los días afuera» ist der Umstand, dass einige im Ensemble im Gefängnis bereits in der Rockband Sin Control zusammenspielen konnten. Musikalische Einlagen sorgen im dokumentarischen Stück so für einen Kontrapunkt.

Zweifeln an der Zukunft

Das Stück kommt mit wenigen Requisiten aus. In einem Auto auf der einen Seite finden die Frauen zuweilen zusammen zu Gesprächen, in denen sie Erfahrungen austauschen. Am hinteren Bühnenrand steht ein Gerüst, das an einen Stadionaufbau erinnert. Vor diesem Gestell erzählen die Argentinierinnen mal ihre Erlebnisse, mal setzen sie sich hier auch als Sängerinnen und Tänzerinnen in Szene – zu Techno, schwerem Rock und mitreissender Cumbia.

Die Musik verleiht der Aufführung eine optimistische Note. Trotzdem bleiben zuletzt Skepsis und Angst. Aus den Jahren in Freiheit bilde sich zwar eine Brücke in die Zukunft, sagt am Schluss eine der Frauen. Was aber dereinst sein werde, davon habe sie keine Ahnung.

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