Der englische Traditionsklub hat die schlechteste Premier-League-Saison der Klubgeschichte hinter sich. Selbst ein Derbysieg im FA-Cup-Final vom Samstag (ab 16 Uhr) dürfte den Coach Erik ten Hag nicht retten.
Wahrscheinlich hätte Manchester United nicht eine der miesesten Saisons der Klubgeschichte hingelegt, wenn das Team auf dem Platz genauso kämpfen würde wie der Trainer Erik ten Hag um seinen eigenen Verbleib. Englands Rekordmeister reihte in dieser Saison Blamage an Blamage.
Nach dem Vorrunden-Out in der Champions League als Gruppenletzter schloss United die Meisterschaft mit vierzehn Niederlagen auf dem achten Tabellenplatz ab – so schlecht war der Verein am Ende einer Premier-League-Saison noch nie platziert. In Pflichtspielen resultierten 84 Gegentore, auch das gab es seit 47 Jahren nicht mehr.
Der Verein stürzte im Vergleich zum dritten Platz im Vorjahr ab wie ein Skydiver, erstmals seit zehn Jahren droht eine Saison ohne Europacup-Spiele. Damals stolperte der ruhmreiche Klub nach dem Rücktritt des Langzeittrainers Alex Ferguson als Siebenter ins Ziel.
Für die gegenwärtige Bilanz des Vereins in der Dauerkrise wird hauptsächlich ten Hag verantwortlich gemacht. Kürzlich attackierte ihn der Sky-Analyst Jamie Carragher scharf. Er sagte, United sei «eines der am schlechtesten trainierten Teams der Premier League». Und sein unmissverständliches Urteil wolle er nicht als Meinung verstanden wissen, sondern als Fakt, sagte Carragher. Viele Expertenkollegen pflichteten ihm bei.
In England gilt es bereits als beschlossene Sache, dass der neue Minderheitsbesitzer und für die sportliche Ausrichtung zuständige Jim Ratcliffe den Niederländer nach dem FA-Cup-Final gegen den Stadtrivalen City am Samstag im Londoner Wembley-Stadion (16 Uhr) absetzen wird. Das berichtete jedenfalls der «Guardian» am Freitag.
Nach seinem Einstieg im Winter ist Ratcliffe mit seinem Ineos-Konzern dabei, den Klub zu analysieren und das Management grundlegend zu verändern. Er räumte ten Hag eine Bewährungschance ein, aber selbst bei einem unerwarteten FA-Cup-Sieg, der United einen Startplatz in der Europa League garantieren würde, dürfte es ihm ergehen wie seinem Landsmann Louis van Gaal. Dieser gewann 2016 mit United den FA-Cup – und wurde trotzdem freigestellt. Wegen seiner unsicheren Zukunft wird ten Hag im übertragenen Sinn in den Medien als «dead man walking» bezeichnet, als lebender Toter. Sein Vertrag läuft bis 2025.
Das Team hat sich nicht weiterentwickelt
Die ausbleibende Entwicklung des Teams ist die grösste Enttäuschung der zweijährigen Amtszeit des 54-Jährigen. Die Spielweise gleicht manchmal einem Abbild seiner Aussagen, sie handeln von Durchhalteparolen und Besserungsversprechen. Zu seiner Verteidigung verweist ten Hag auf die Integration von Talenten, wiederkehrende Verletzungen von Stammspielern und die Transferpolitik des Klubs – obwohl er an Letzterer selbst massgeblich beteiligt ist. Er halte die öffentlichen Einlassungen für falsch und sich selbst nach wie vor für den richtigen Trainer. Er könne die Dinge bei United zum Positiven verändern, beteuert ten Hag.
Seine Lage bei ManU wirkt wie ein Déjà-vu, sie erinnert an die Demissionen seiner Vorgänger. Auch die Engagements von Louis van Gaal (2014–2016), José Mourinho (2016–2018) und Ole Gunnar Solskjaer (2018–2021) begannen vielversprechend: Van Gaal und Mourinho gewannen Cup-Titel, Solskjaer wurde Vizemeister.
Nach einer pragmatisch angegangenen Debütsaison standen für ten Hag ebenfalls beachtliche Erfolge zu Buche – wie der Titel im League Cup und der Final im FA-Cup, auch wenn der Match gegen Manchester City verlorenging. Sie bestätigten ten Hags Reputation, dass seine Spielphilosophie – gemäss der eigenen Herkunft aus der Gemeinde Haaksbergen an der deutschen Grenze – auf den traditionellen niederländischen und deutschen Fussballtugenden basiert: dem flüssigen Kombinationsstil und der Wettbewerbshärte.
Sein Fürsprecher Matthias Sammer lobte vor einem Jahr, ten Hag habe einen «unter theoretischen Gesichtspunkten idealtypischen Weg» eingeschlagen – weil er den Trainerberuf «von der Pike» auf gelernt habe. Nach einer ordentlichen Profikarriere assistierte er bei Kennern wie Fred Rutten und Steve McClaren (seinem heutigen Co-Trainer), bevor er in der zweiten niederländischen Liga einstieg und danach die zweite Mannschaft des FC Bayern (2013–2015) übernahm.
International machte sich ten Hag bei Ajax Amsterdam (2017–2022) einen Namen. Im Traditionsklub baute er ein funktionierendes Team mit unbekannten Profis auf und führte dieses mit aufregendem Offensivspiel fast in den Champions-League-Final 2019. Damals schaltete Ajax das grosse Real Madrid nach drei Titeln in Folge aus – das weckte das Interesse von Manchester United.
Der Fall von Jadon Sancho steht sinnbildlich für die Misere
Doch im Sommer 2023 wollte Erik ten Hag das United-Kader vermutlich zu schnell nach seinen Vorstellungen verändern. Wichtige Teamstützen wie Fred, Wout Weghorst und Marcel Sabitzer wurden aussortiert; Harry Maguire und Scott McTominay standen plötzlich zum Verkauf und blieben am Ende doch.
Charakteristisch für die unglücklichen Kaderinvestitionen von insgesamt 450 Millionen Euro ist die Situation des gerade an Borussia Dortmund verliehenen Jadon Sancho: Als der Stürmer zu Saisonbeginn 2022/23 durchstartete, setzte ihm ten Hag den Dribbelspezialisten Antony vor die Nase, mit dem er bei Ajax zusammengearbeitet hatte.
Das nicht leicht zu führende Team verlor durch die Umstrukturierungen an Stabilität, Konstanz und Resistenz.
Als Nachfolger für ten Hag wird insbesondere Thomas Tuchel gehandelt, der seinen Vertrag beim FC Bayern zum Saisonende aufgelöst hat. Der Deutsche geniesst in England nach den Erfolgen mit dem Chelsea FC den Ruf eines Ausnahmetrainers.
Die Marke Manchester United zu altem Glanz zu führen, gewinnt mit jedem vergeblichen Versuch eines Kollegen an Reiz. Auch deswegen möchte Erik ten Hag wohl keinesfalls aufgeben.