Freitag, April 25

Fehler können Firmen in den Abgrund stürzen. Sie können aber auch neue Horizonte eröffnen. Eine Typologie von dummen und klugen Fehlern.

Irren ist menschlich, sagt ein vielzitiertes Sprichwort. Doch in der Geschäftswelt scheint diese Erkenntnis manchmal in Vergessenheit zu geraten. Unternehmen tun sich oft schwer damit, eine produktive Fehlerkultur zu etablieren. Fehler werden verurteilt und vertuscht.

Dabei sind die Auswirkungen von Fehlern oft zu gross, als dass sie ignoriert werden könnten: Sie führen zu zusätzlicher Arbeit, finanziellen Verlusten oder einem beschädigten Ruf. Viele Unternehmen versuchen daher, durch strenge Prozesse und Regeln jeden Schritt abzusichern, damit bloss niemand einen Fehler macht.

Pleiten, Pech und unerwartete Erfolge

Gleichzeitig benötigen Unternehmen neue Produkte und Dienstleistungen, um Wachstum zu generieren. Innovation erfordert aber Experimente und das Ausprobieren verschiedener Möglichkeiten, was zwangsläufig zu Fehlern und Misserfolgen führen kann. Diese Ambivalenz verunsichert die Mitarbeitenden.

Eine Managerin fragte mich: «Wie sollen wir in unserer Organisation experimentieren, wenn wir doch nach aussen hin gar keine Fehler machen dürfen?» Das Thema bewegt die Gemüter. Doch statt den Umgang mit Fehlern regelmässig zu diskutieren, wird das Thema in den oberen Etagen oft nur oberflächlich behandelt.

Fehler ist nicht gleich Fehler

Ein häufiger Fehler besteht darin, Fehler als eine einheitliche Kategorie zu betrachten. In Wirklichkeit gibt es ein grosses Spektrum von Fehlern. Sie reichen von einem vergessenen E-Mail-Anhang bis hin zur Amputation des falschen Beins. Die Harvard-Professorin Amy Edmondson identifiziert drei Arten von Fehlern: einfache, komplexe und intelligente Fehler. Diese unterscheiden sich in ihren Ursachen und Lernmöglichkeiten.

Einfache Fehler entstehen durch Nachlässigkeit, Unachtsamkeit oder Übermut in bekannten Situationen. Zum Beispiel, wenn man eine E-Mail an die falsche Person schickt oder einen Termin vergisst. Solche Fehler passieren täglich und sind ärgerlich, aber meist nicht dramatisch. Sie haben oft eine klare Ursache und können vermieden werden, indem man sich auf die Aufgabe konzentriert und die Routine nicht unterschätzt. Es ist nicht sinnvoll, solche Fehler zu bestrafen, denn das führt höchstens dazu, dass sie vertuscht werden und noch häufiger vorkommen.

Verkettung von Umständen führt zum Debakel

Komplexe Fehler seien die wahren Monster in unserem Leben und in Organisationen, schreibt Edmondson. Sie entstehen, wenn mehrere Faktoren und Menschen in vertrauten, aber komplexen Umgebungen auf unvorhersehbare Weise zusammenwirken. Oft kommt ein externer und unkontrollierbarer Einfluss hinzu, wie Extremwetter oder eine Wirtschaftskrise.

Ein eindrückliches Beispiel für einen komplexen Fehler ist die Corona-Pandemie: Probleme in der Versorgungskette verhinderten, dass Masken und andere Schutzausrüstungen diejenigen erreichten, die sie am dringendsten benötigten. Dies wiederum führte zur Ausbreitung der Infektionen und zu massiven Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft. Komplexe Fehler haben oft schwerwiegende Folgen, aber ihre Warnsignale sind oft subtil. Deshalb müssen diese Warnsignale verstärkt werden.

Alarmsignale ernst nehmen

Kürzlich sah ich auf einer Baustelle in Singapur ein Plakat mit der Aufschrift: «Noch mal knapp gutgegangen? Melden Sie es, ignorieren Sie es nicht.» Das ist die gute Nachricht: Jeder komplexe Fehler bietet mehrere Möglichkeiten, ihn zu vermeiden. Als weitere Präventionsmassnahme bewährt es sich, die Komplexität der Situation anzuerkennen. Der Pilot Ben Bermann sagt seiner Crew vor jedem Flug, dass er noch nie einen perfekten Flug gemacht habe. Durch diese Offenheit ermutigt er die Crewmitglieder, ihn auf Unzulänglichkeiten hinzuweisen, bevor sie zu einem komplexen Fehler ausarten.

Intelligente Fehler sind die interessanteste Kategorie. Im Gegensatz zu den anderen Fehlerarten treten sie in unbekanntem Gebiet auf. Es geht darum, auf der Basis des vorhandenen Wissens Hypothesen zu formulieren und etwas Neues auszuprobieren, von dem man annimmt, dass es zum Ziel führt. Fehler in diesem Bereich sind wertvoll, da sie neue Erkenntnisse liefern.

Fehler, die die Menschheit weiterbringen

Ein Beispiel für einen intelligenten Fehler ist die Erfindung des Post-it. Der amerikanische Chemiker Spencer Silver sollte Ende der 1960er Jahre einen Super-Kleber für seine Firma entwickeln. Doch sein Klebstoff war viel zu schwach – ein Misserfolg auf den ersten Blick. Da sich der Klebstoff jedoch leicht von Oberflächen ablösen liess, entstanden die heute bekannten Post-it-Notizzettel.

Was bedeutet diese Unterscheidung für die Fehlerkultur im Unternehmen? In der heutigen Zeit, die von Unsicherheit und Komplexität geprägt ist, müssen wir uns bewusst sein: Fehler ist nicht gleich Fehler. Vielmehr gilt es, zu differenzieren und angemessen darauf zu reagieren. Intelligente Fehler sollten produktiv genutzt, komplexe systematisch analysiert und einfache grosszügig ignoriert werden.

Nicole Kopp ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Mitgründerin der Beratungsfirma Go-Beyond.

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