Sonntag, November 24

Wellness statt kratzige Wolldecken: Die Schweizer Jugendherbergen sind in den vergangenen 100 Jahren luxuriöser geworden. Die Geschäftsführerin Janine Bunte erklärt, wohin sich das Konzept entwickeln wird.

Janine Bunte, welches sind Ihre ersten Jugendherbergen-Erinnerungen?

In der 6. Klasse verbrachten wir unser Schullager in einer Jugendherberge. In welcher, weiss ich nicht mehr. Ich erinnere mich aber an die Disco am Schlussabend und an unseren Lehrer, der im eiskalten Fluss schwimmen ging. Wir haben ihn alle bewundert. Ich selber hätte keinen Zeh ins Wasser gehalten.

Das waren noch die Zeiten der Massenschläge. Viele Gäste assoziieren die Jugendherbergen damit, ebenso mit kratzigen Wolldecken. Etwas, das Sie heute nicht mehr gerne hören. Warum?

Es kommt darauf an, in welchem Zusammenhang die Aussage gebraucht wird. Ich war kürzlich in einer Radiosendung zu Gast, und dort haben Zuhörerinnen und Zuhörer ihre Jugendherbergen-Erlebnisse geteilt. Natürlich kam da auch der Zwanzigermassenschlag vor und was man dort alles zusammen erlebt hat. Das sind schöne Geschichten. Fakt ist: Die heutigen Schweizer Jugendherbergen sind kein Vergleich mehr zu früher.

Was hat sich geändert?

Die Teekannen aus Edelstahl etwa gibt es nicht mehr, dafür haben jetzt alle Zugang zu Gratiswasser. Wir haben uns permanent gewandelt und den Bedürfnissen der Gäste angepasst. In den 28 Jahren, in denen ich für die Schweizer Jugendherbergen arbeite, gab es neben technischen Verbesserungen, wie digitalen Schliesssystemen, insbesondere Veränderungen bei der Zimmerstruktur.

Wie wurde die Struktur angepasst?

Die grossen Massenschläge sind Vergangenheit. Heute gibt es in einem Zimmer in der Regel maximal sechs Betten, in Einzelfällen sind es acht. Was in all den 100 Jahren gleich geblieben ist, sind diejenigen Gäste, die über ein kleines Budget verfügen und eine bezahlbare Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeit suchen.

In der Jugendherberge «Wellness-Hostel 4000» in Saas-Fee (VS) kostet eine Nacht im Doppelzimmer rund 180 Franken. Das klingt nicht nach einem Schlafplatz für Gäste mit kleinem Budget.

Die Zimmer mit höherem Komfort kosten mehr. In Saas-Fee bieten wir aber für Mitglieder auch Schlafmöglichkeiten im Sechsbettzimmer inklusive Frühstücksbuffet und Hallenbadeintritt für rund 50 Franken an. Man findet also auch dort eine günstige Übernachtungsmöglichkeit.

Warum haben die Schweizer Jugendherbergen Doppelzimmer eingeführt?

Mit den Komfortzimmern, zu denen wir Doppel- und Familienzimmer mit integrierter Nasszelle zählen, stellen wir sicher, dass der Verein sich weiterhin mit den sich verändernden Gästebedürfnissen weiterentwickeln kann. Die Komfortzimmer machen aber nur 25 Prozent unseres Bettenangebots schweizweit aus.

Aber wenn ein Doppelzimmer 180 Franken kostet, wieso sollte man die Jugendherberge einem Hotel vorziehen? Wellness und Frühstück gibt es andernorts auch.

Es ist ein Mindset. (Lacht.) Klar ist, dass wir nicht mit einem Hotel vergleichbar sind. Auf dem Zimmer gibt es beispielsweise keinen Fernseher oder keine Minibar. Aber Gäste, die sich bei uns ein Doppelzimmer leisten, suchen genau das, was wir in unserem Betrieb bieten.

Und das wäre?

Diversität. Bei uns kann es lärmig und auch etwas chaotisch sein. In einer Wellness-Jugendherberge ist die Chance gross, dass man sich das Schwimmbad mit der Schulklasse aus dem Dorf teilt – oder dass sich plötzlich jemand Fremdes an den Tisch zu einem setzt. In einem Hotel passiert das weniger.

Die Zeit in einer Jugendherberge spiegelt also das wahre Leben wider?

Genau. Unser Gästemix ist sehr breit. Wir haben alles, vom Säugling bis zur 84-jährigen Dame, die bewusst im Mehrbettzimmer übernachtet. Zudem kommen bei uns die verschiedenen Generationen miteinander in Kontakt. Das fördert das gegenseitige Verständnis, und man lernt andere Kulturen kennen.

Lässt sich der klassische Jugi-Gast überhaupt definieren?

Nein. Das ist es auch, was die Jugendherbergen so faszinierend macht. In den Häusern in der Stadt treffen der Geschäftsmann und die Familie aus Frankreich aufeinander.

Wie hoch ist der durchschnittliche Preis für ein Mehrbettzimmer?

Bei den Schweizer Jugendherbergen findet man Übernachtungsmöglichkeiten inklusive Frühstücksbuffet ab 35 Franken. Der Durchschnittspreis liegt bei etwas über 50 Franken, ebenfalls inklusive Frühstück.

2024 feiern die Schweizer Jugendherbergen ihr 100-Jahr-Jubiläum. Was waren wichtige Meilensteine?

Nebst der Gründung im April 1924 war das sicherlich 1932 der Zusammenschluss der elf europäischen Jugendherbergen-Verbände zu Hostelling International. Man hat gemerkt, dass man zusammen stärker ist und mehr erreichen kann. Ein anderer Meilenstein war 1973 die Gründung der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus aufgrund der Jugendbewegungen. Die Stiftung sichert die Besitzverhältnisse der Liegenschaften, so dass wir vom Verein uns voll auf den Betrieb konzentrieren können.

Wie wollen die Schweizer Jugendherbergen auch für die nächste Generation attraktiv bleiben?

Indem wir bei der technologischen Entwicklung nicht stillstehen. Die jüngeren Gäste und kommenden Generationen haben unter anderem Anforderungen an digitale Tools.

Können die Schweizer Jugendherbergen überhaupt noch wachsen?

Auf jeden Fall. Wir haben hohe Qualitätsansprüche und renovieren die Jugendherbergen periodisch. Zudem streben wir eine schweizweite Abdeckung in allen Regionen der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein an. Wir haben einige spannende Projekte in der Hinterhand.

Beinhalten diese Projekte auch neue Jugendherbergen?

Ja. Im Frühling 2025 eröffnet in Martigny ein kleines Bijou mit 48 Betten im «Bâtiment de l’Horloge». In Genf entsteht neben einem Sportzentrum endlich wieder eine Jugendherberge mit 180 Betten. Sie wird voraussichtlich im Frühjahr 2026 eröffnen. Und in Luzern ist der Umzug vom Standort Rotsee in die alten Büroräumlichkeiten des Verkehrshauses geplant.

Sie arbeiten seit 28 Jahren für die Schweizer Jugendherbergen. Wie kam es dazu, dass Sie seit 2019 CEO sind?

Es hat sich einfach so ergeben. Ich begann mit 23 als Buchhalterin, wurde irgendwann Bereichsleiterin, und als im Jahr 2000 in der Finanzabteilung ein personeller Engpass war, wechselte ich dorthin zurück. 2010 wählte man mich in die Geschäftsleitung, und 2019 befand der Vorstand, ich sei die beste Option für den CEO-Posten.

Es scheint, als würden Sie jede Aufgabe übernehmen, wenn es dem Verein hilft.

Ich würde tatsächlich alles machen, ausser Köchin. Aber das mehr den Gästen zuliebe. Kochen ist das Einzige, wo ich frei von jeglicher Begabung bin.

War der Schritt zur CEO der Richtige?

Zweifel hat man vor dem Antritt eines solchen Postens immer, zumal ich aus dem Finanzbereich komme. Aber rückblickend kann ich voller Überzeugung «Ja» sagen.

Wie hat sich der Verein unter Ihrer Führung verändert?

Er hat sich mit der Zeit und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden verändert. Klar ist, dass man heute anders führen muss. Gerade die jungen Mitarbeitenden wollen mitreden und sich einbringen. Aber bei mehr als 500 Mitarbeitenden ist es nicht immer möglich, dass sich alle komplett abgeholt fühlen.

Gibt es Dinge, die Sie als Jugi-Chefin nicht dulden?

Was ich gar nicht akzeptieren kann, sind Gemeinheiten oder unfaire Behandlungen untereinander. Und was mich zur Weissglut treibt, ist, wenn es nicht vorwärtsgeht.

Ihre Verbundenheit mit dem Verein ist offensichtlich. Machen Sie auch privat mit der Familie in den Jugendherbergen Ferien?

Ich und mein Mann haben das Glück, dass unsere Kinder auch als junge Erwachsene immer noch sehr gerne mit uns Zeit verbringen. Da geht es auch in die Jugendherbergen, und zwar in ein Vierbettzimmer. Ich glaube, wenn ein Elternteil mit etwas so verbunden ist, gibt man die DNA ein Stück weiter.

Zu welcher Jugendherberge haben Sie eine besondere Bindung?

Zu unserem Haus in Scuol. Dort war ich von der «grünen Wiese» bis zur Eröffnung dabei. Zudem habe ich früher einige Zeit in Scuol gelebt.

Welches ist die Vorzeige-Jugi, für jemanden, der das klassische und das luxuriöse Jugi-Feeling einmal erleben möchte?

Interlaken ist ein super Beispiel dafür. Diese Jugendherberge bietet eine gelungene Mischung aus Mehrbett- und Doppelzimmern, was sowohl für Alleinreisende als auch für Paare attraktiv ist. Das Haus liegt direkt am Bahnhof und verfügt über ein öffentliches Restaurant, das nicht nur von den Gästen der Jugendherberge genutzt wird, sondern auch Treffpunkt von Einheimischen ist.

Auf welche Jugendherberge sind Sie besonders stolz?

Die Jugendherberge Schloss Burgdorf sticht etwas heraus. Sie verbindet Jugendherberge, öffentliches Restaurant und Museum und konnte nur dank einigen sehr engagierten Menschen realisiert werden. Das über 800-jährige Baudenkmal erzählt seine eigene Geschichte und ist deshalb der geeignete Erlebnisort.

Wohin würden Sie persönlich jemanden schicken, der vorher noch nie in einer Jugendherberge war?

In die Jugendherberge Valbella. Es ist ein klassischer Betrieb und in der Natur gelegen. Im Winter hat man «Ski in, Ski out» und im Sommer die Wanderwege vor der Haustüre.

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