Mittwoch, April 23

Grosse Hoffnungen, wenig Resultate? Franziskus hat nicht die Reformen angestossen, die manche Gläubige von ihm erhofften. Das war aber auch nicht zu erwarten.

Seine ersten Worte wird man nie vergessen: «Brüder und Schwestern, guten Abend», sagte Franziskus, als er kurz nach seiner Wahl auf die Loggia des Petersplatzes trat. So unkompliziert und herzlich war noch kein Papst auf die Gläubigen zugegangen. Noch wichtiger als die Begrüssung war das, was Franziskus unmittelbar darauf sagte: Das Konklave habe die Aufgabe gehabt, einen Bischof von Rom zu wählen. Und wie es scheine, seien seine Brüder fast bis ans Ende der Welt gegangen, um einen zu bekommen.

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Darin steckte ein Programm. Dass sich Franziskus nicht als Papst, sondern als Bischof von Rom bezeichnete, war mehr als ein Ausdruck der Bescheidenheit. Es sollte deutlich machen, wie er die Kirche verstand: nicht als zentralistisches, von Rom aus gelenktes Riesengebilde, sondern als Konglomerat der Kirchen auf der ganzen Welt. Der Hinweis, er komme fast vom Ende der Welt, sollte das unterstreichen.

In Erinnerung blieb freilich vor allem der lockere Umgangston des neuen Papstes. Alle, die sich eine radikale Erneuerung der Kirche wünschten, waren überzeugt davon, einen Revolutionär vor sich zu haben. Das änderte sich bald. Schon lange vor Franziskus’ Tod äusserten sich viele Gläubige, aber auch Seelsorger und Bischöfe ernüchtert. Aus Sicht vieler Katholiken hat der Papst, auf den sie so grosse Hoffnungen gesetzt hatten, die Erwartungen enttäuscht. Viel Ankündigung, wenig Resultate. Vor allem keine grundlegenden Änderungen. Und dies ausgerechnet von dem Papst, der sich in Anlehnung an den Bettelmönch Franz von Assisi den Namen Franziskus gegeben hatte. Er stand für eine Kirche, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht den Klerus.

«Wer bin ich, um zu urteilen»

Das war ein Missverständnis, von Anfang an. Allerdings eines, das nicht ganz unverständlich ist. Franziskus war der Mann der offenen Worte, der spontanen Statements. Aber auch der, der am Ende vieles nicht so gemeint haben wollte, wie er es gesagt hatte. Immer wieder überraschte er mit Stellungnahmen, die im Nachhinein revidiert werden mussten. Von ihm selbst oder von der Presseabteilung des Heiligen Stuhls.

«Wer bin ich, um über Homosexuelle zu urteilen», sagte Franziskus kurz nach seiner Wahl in einer Runde von Journalisten. Das hatte noch kein Papst vor ihm so gesagt. Der Satz ging um die Welt. Dann geschah nichts. Erst gut zehn Jahre später legte der Vatikan eine Erklärung vor, in der die Segnung homosexueller Partnerschaften ermöglicht wird. Allerdings nur unter ebenso klar wie eng umschriebenen Umständen. Am Grundsätzlichen wird nicht gerüttelt. Nur die Verbindung zwischen Mann und Frau gilt für die Kirche als Ehe.

Damit blieb alles beim Alten. Eigentlich. Und doch war auf einmal alles völlig anders. Die Verfügung von Franziskus nützte geschickt den engen Spielraum, den die jahrhundertealten dogmatischen Festlegungen boten. Der Bogen wurde nicht überspannt. Progressive Gläubige waren enttäuscht. Aber Franziskus hatte das Anliegen aufgenommen. Und eine Lösung gefunden, gegen die auch konservative Kleriker nichts einwenden konnten.

Dieses Vorgehen war charakteristisch für ihn. Und wurde oft falsch verstanden. Franziskus hat vieles verändert, was unter seinen Vorgängern undenkbar gewesen wäre. Er scheute sich nicht, Themen aufzubringen, die vor ihm als nicht verhandelbar galten: den Zölibat, die Weihe von Frauen, die Mitbestimmung von Laien. Er hat sie auch dann aufgebracht, wenn ihm klar sein musste, dass es keine Lösung gibt. Er bestand darauf, dass sie in der Kirche diskutiert werden. Und machte auch konservativen Bischöfen klar, dass sie sich vor den Fragen nicht drücken können, die die Gläubigen heute bewegen.

Europa und der Rest der Welt

Damit hat Franziskus Zeichen gesetzt, um die kein Nachfolger herumkommen wird. Und er hat nicht nur Zeichen gesetzt, sondern auch konkrete Veränderungen bewirkt. An der Bischofssynode vor anderthalb Jahren nahmen Frauen teil. Erstmals in der Geschichte der Kirche und als stimmberechtigte Mitglieder. Anfang dieses Jahres besetzte er die Leitung einer der wichtigsten Behörden des Vatikans mit einer Frau. Eine Ministerin im Kirchenstaat, das ist fast eine Revolution. Jedenfalls mehr, als man sich realistischerweise hätte vorstellen können.

Wenn die Reformen von Franziskus hinter dem zurückbleiben, was sich progressive Katholikinnen und Katholiken gewünscht hatten, liegt das nicht an Franziskus. Sondern an den überzogenen Erwartungen, die diese an ihn herantrugen. Erwartungen freilich, wie sie nur in Europa oder den USA gehegt werden können, wo die gesellschaftliche Realität der Menschen eine andere ist als die der meisten 1,4 Milliarden Katholiken auf der ganzen Welt.

Gerade weil er «fast vom Ende der Welt» kam, wusste Franziskus sehr gut, dass Gläubige in Brasilien, Ghana oder auf den Philippinen völlig andere Erwartungen an die Kirche haben als Menschen in Deutschland oder den USA. Und es war ihm bewusster als den europäischen Bischöfen, dass der weitaus grösste Teil der Katholiken nicht mehr in Europa lebt. Dass Frauen keine Priesterweihe empfangen können, lässt sich in europäischen Ländern heute nur noch schwer rechtfertigen. In Afrika oder Asien ist es ebenso wenig ein Thema wie eine basisdemokratische Kirche.

Die Forderungen des Zeitgeistes

Franziskus hat nicht die Revolution ausgerufen, die viele von der Kirche enttäuschte Katholikinnen und Katholiken von ihm erwarteten. Das wollte er jedoch auch nie. Aber er hat Reformen angestossen, die über sein Pontifikat hinausweisen. Man kann ihm vorwerfen, dass die Schritte zu zögerlich waren, etwa was den Umgang mit sexuellem Missbrauch betrifft. Manchmal verfing er sich in einem verwirrlichen Sowohl-als-auch: Er pochte darauf, nicht alles müsse in Rom entschieden werden, kassierte aber den Entscheid der Amazonas-Synode, verheiratete Männer zum Priesteramt zuzulassen.

Den Bestrebungen der deutschen Bischöfe, im Rahmen des Reformprojekts «Synodaler Weg» ein Gremium zu schaffen, in dem Bischöfe und Laien gemeinsam über zentrale kirchliche Fragen entscheiden, erteilte Franziskus eine harsche Abfuhr. Es gebe schon eine protestantische Kirche und es brauche keine zweite, sagte er lakonisch. Die Bischöfe reagierten pikiert, die Laien sowieso. Nur, auch da war nicht die Haltung des Papstes das Problem, sondern die völlig unrealistische Erwartung, der Vatikan könnte bereit sein, alle Regeln der Weltkirche auszusetzen, damit sich ein Land eine katholische Kirche schaffen könnte, die leichter mit den Forderungen des Zeitgeists zu vereinbaren wäre.

Franziskus hat vieles angestossen. Vieles davon ist nach wie vor offen. Er folgte keinem vorbestimmten Plan, sondern entschied pragmatisch, von Fall zu Fall. Das kann man kritisieren. Aber man darf nicht übersehen, wie sehr er das Klima verändert hat, in dem Probleme diskutiert werden. Nicht auf alle Fragen, die er aufwarf, hatte Franziskus eine Antwort. Aber er hatte den Mut, sie trotzdem zu stellen. Er liess Debatten zu, auch wenn nicht absehbar war, wohin sie führen. Und zog klare Grenzen, wo er das gefährdet sah, was für ihn den Kern der Kirche ausmachte. Er wusste, was die Menschen umtrieb, war neugierig. Aber blieb konservativ. Ein Bischof «fast vom Ende der Welt», der wusste, dass über die Zukunft der Kirche nicht allein in Europa entschieden werden darf.

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