Donnerstag, November 28

Die Verschuldung der USA und anderer westlicher Staaten liegt auf dem höchsten Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg. Was bedeutet das für die Finanzmärkte? The Market liefert eine Szenarienanalyse. Plus: Kupfer und das Signal von BHP.

«If something cannot go on forever, it will stop.»
Herbert Stein, amerik. Ökonom u. Berater d. Präsidenten Nixon und Ford (1916–1999)

«Früher dachte ich, wenn es eine Reinkarnation gäbe, wollte ich als Präsident oder Papst zurückkommen. Aber jetzt möchte ich der Bondmarkt sein: Der Bondmarkt kann jeden einschüchtern.»
James Carville, amerik. Politologe, Berater von Präsident Clinton (*1944)

1,3 Basispunkte. 0,013%. Dieser auf den ersten Blick winzige Wert reichte, um am Mittwoch eine Schockwelle durch die internationalen Finanzmärkte zu senden.

Der Hintergrund: Das Schatzamt der Vereinigten Staaten (U.S. Treasury) platzierte am Mittwoch in einer Auktion Staatsanleihen mit sieben Jahren Laufzeit im Gesamtvolumen von 44 Mrd. $. Die Verzinsung der Treasury Notes war zu 4,637% indiziert. Weil die Nachfrage aber schwach war, wurden die Anleihen schliesslich zu einer Verzinsung von 4,65% platziert.

1,3 Basispunkte höher.

Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes stieg im Nachgang der Auktion auf über 4,6%, die Rendite zweijähriger Treasuries kletterte fast auf 5%. Damit ist das Zinsniveau in den zwei Wochen seit Mitte Mai um rund 30 Basispunkte gestiegen.

Am dieswöchigen «The Big Picture Live»-Webinar hat ein Teilnehmer die Frage gestellt, ob die massiv gestiegene Staatsverschuldung zu einem Problem für die Finanzmärkte werden könnte.

Wir nehmen diese Frage zum Anlass, uns im dieswöchigen «Big Picture» spezifisch mit diesem Thema zu befassen. Zunächst jedoch ein kurzer Blick auf die Themen Inflation, EZB und Kupfer.

Die Themen

  1. Nervöse Börsen
  2. Charlie und Christine
  3. Kupfer und das Signal von BHP
  4. Werden Staatsschulden zu einem Problem für die Börsen?

1. Nervöse Börsen

Wer mit seinen Geschäftszahlen die Erwartungen verfehlt, wird brutal bestraft. Das mussten diese Woche besonders Unternehmen aus dem US-Technologiesektor wie der Softwarekonzern Salesforce oder der Computerhersteller Dell erfahren. Viele Tech-Aktien wurden im Rahmen des Hypes rund um das Thema künstliche Intelligenz dermassen in die Höhe getrieben, dass zwischen Fantasie und Realität eine erhebliche Kluft entstanden ist. Weitere Enttäuschungen dürften folgen.

Geradezu eine Wohltat war im Vergleich dazu die Publikation des von der US-Notenbank (Fed) bevorzugten Inflationsbarometers, der Core Personal Consumption Expenditures (PCE). Demnach erhöhte sich die Kernrate der Inflation (ohne Energie und Nahrungsmittel) im April im Jahresvergleich um 2,8% – und lag damit genau im Rahmen der Konsenserwartungen der Ökonomen.

2. Charlie und Christine

«Die erste Regel für ein glückliches Leben sind niedrige Erwartungen», pflegte Charlie Munger zu sagen, der im November im Alter von 99 Jahren verstorbene Geschäftspartner von Warren Buffett.

Diese Regel sollten sich Christine Lagarde und ihre Kollegen im Führungsgremium der Europäischen Zentralbank (EZB) zu Herzen nehmen. Diverse Exponenten der EZB, inklusive Lagarde, haben in den vergangenen Wochen in öffentlichen Auftritten durchblicken lassen, dass sie an ihrer nächsten Sitzung am 6. Juni eine erste Zinssenkung beschliessen werden.

Diese Nachricht wurde von den Investoren aufgenommen; die Terminmärkte rechnen mittlerweile fest mit einer EZB-Zinssenkung am kommenden Donnerstag. Alles andere wäre eine Enttäuschung. Nicht ganz gelegen dürften den EZB-Verantwortlichen dabei die jüngsten Inflationsdaten in der Eurozone kommen. Die Kernrate der Konsumentenpreise ist gemäss vorläufigen Daten im Mai im Jahresvergleich wider Erwarten um 2,9% gestiegen, verglichen mit 2,7% im April.

Deutlich verdeckter hält sich Kazuo Ueda, Christine Lagardes Kollege an der Spitze der Bank of Japan (BoJ). Das Führungsgremium der BoJ trifft sich am 13. und 14. Juni zu seiner nächsten Sitzung – und hält sich mit Aussagen bedeckt.

Die Inflationsrate im Grossraum Tokio – ein vorlaufender Indikator für die landesweite Teuerung – ist im Mai auf eine Jahresveränderung von 2,2% geklettert, nach 1,8% im April. Die Produzentenpreise des in Japan wichtigen Dienstleistungssektors sind im April im Jahresvergleich um 2,8% gestiegen, was – abgesehen vom Effekt der Erhöhung der Mehrwertsteuer im Jahr 2014 – dem höchsten Wert seit dreissig Jahren entspricht:

Angesichts dieser Werte könnten es Ueda und seine Kollegen für angebracht erachten, am 14. Juni die nächste Leitzinserhöhung zu beschliessen. Die Rendite zehnjähriger japanischer Staatsanleihen ist diese Woche zum ersten Mal seit 2011 auf über 1% gestiegen.

3. Kupfer und das Signal von BHP

Der Kupferpreis hat sich nach seinem rasanten Anstieg in den vergangenen zwei Monaten leicht abgekühlt, notiert aber immer noch über 10’000 $ je Tonne.

Allmählich scheint es den Teilnehmern an den Finanzmärkten zu dämmern, dass das Thema künstliche Intelligenz nicht nur für Chipkonzerne wie Nvidia lukrativ ist, sondern auch profanere Auswirkungen hat: Für (erwartete) künftige KI-Anwendungen werden unzählige neue Rechenzentren gebaut, und diese werden einen riesigen zusätzlichen Bedarf an Elektrizität nach sich ziehen.

Kein Wunder, sind an den US-Börsen Aktien von Stromversorgungs- und Dienstleistungsunternehmen wie Constellation Energy, NRG Energy, Vistra oder Quanta Services gesucht.

Und wo immer es um Gewinnung, Transport und Umwandlung von Elektrizität geht, ist Kupfer gefragt. Wir haben uns an dieser sowie an dieser Stelle bereits ausführlich mit dem Thema Kupfer befasst. Das Angebot im Markt ist knapp, weil die Förderindustrie im vergangenen Jahrzehnt die Investitionen in die Erschliessung neuer Produktionskapazitäten deutlich gekürzt hat. Zudem führten politische Ereignisse wie der Entscheid der (mittlerweile abgewählten) Regierung Panamas, die «Cobre Panama»-Mine des kanadischen Betreibers First Quantum stillzulegen, für zusätzliche Knappheiten.

Die Knappheit im Kupferangebot dürfte in den kommenden Jahren ein Thema bleiben. Der australische Minenkonzern BHP bestätigte es im April mit seiner Übernahmeattacke auf den Branchenkollegen Anglo American. Der Plan scheiterte zwar am Widerstand von Anglo, aber die Manager von BHP stellten früh klar, dass sie primär an den Kupfer-Assets von Anglo American interessiert sind. Die südafrikanischen Diamant- und Platin-Aktivitäten hätten sie abstossen wollen.

Wenn sich einer der weltgrössten Minenkonzerne strategische Kupferreserven sichern will, dann ist das ein Signal. Anglo American mag die Avancen abgewiesen haben, aber das Interesse von BHP wird bleiben. Und genau so werden sich die Führungscrews von Rio Tinto, Glencore oder Vale überlegen, ob und wie sie sich im Bereich Industriemetalle verstärken sollen.

Die Jagdsaison hat erst begonnen.

Kommen wir nun zum Hauptthema des dieswöchigen «Big Picture».

4. Werden Staatsschulden zu einem Problem für die Börsen?

Die Vereinigten Staaten weisen auf Bundesebene gegenwärtig Schulden in Höhe von gut 34,7 Bio. $ aus. Das entspricht per Anfang 2024 etwas mehr als 121% der jährlichen Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP).

Zählt man von diesem Wert den Bestand der Schulden ab, die von staatseigenen Institutionen gehalten werden, dann beläuft sich die im Publikum befindliche Staatsverschuldung der USA («held by the public») auf gut 100%. Das ist so viel wie letztmals unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Congressional Budget Office (CBO), eine überparteiliche Forschungsanstalt, geht in seinen Prognosen davon aus, dass sich dieser Wert bis 2050 auf über 180% erhöhen wird.

Grund für die stetig steigende Verschuldung ist das konsistent hohe Haushaltsdefizit der Regierung. Im vergangenen Jahr lag der Fehlbetrag – trotz Vollbeschäftigung und Hochkonjunktur – auf 6,2% des BIP. Das CBO geht davon aus, dass das jährliche Budgetdefizit in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen wird. Hauptgrund dafür sind die wachsenden Kosten, die der Staat für die Zinslast berappen muss («Net interest outlays»).

Dieser Punkt ist wichtig. Der Anstieg des Zinsniveaus am Markt für US-Staatsanleihen in den vergangenen zwei Jahren hat dazu geführt, dass die Zinslast des Staates im laufenden Budgetjahr erstmals auf über 1 Bio. $ gestiegen ist. Das entspricht einer Verdoppelung innerhalb von vier Jahren. Die USA geben damit pro Jahr mehr Geld für den Zinsdienst als für den Verteidigungsetat aus.

In Prozent des BIP betrachtet ist die Zinslast der USA auf den Stand von Ende der Neunzigerjahre geklettert.

Vor 32 Jahren, als in den Präsidentschaftswahlen von 1992 der Herausforderer Bill Clinton gegen den Amtsinhaber George H.W. Bush antrat, war die Staatsverschuldung eines der Hauptthemen im Wahlkampf. Die «National Debt Clock» wurde in den Talkshows heiss diskutiert, und der unabhängige Kandidat Ross Perot erreichte mit seinem Programm, das sich auf das Thema Staatsfinanzen und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen fokussierte, fast 19% der Wählerstimmen (was Bush das Amt kostete).

Das war die Zeit, als Clintons Berater James Carville sagte, der Bondmarkt sei mächtiger als der Präsident oder der Papst.

Zu dieser Zeit lag die Staatsverschuldung der USA auf gut 60% des BIP. Halb so hoch wie heute.

Was zur Frage führt: Ist eine Staatsverschuldung von über 120% des BIP ein Problem?

Wer den Politbetrieb betrachtet, muss die Frage mit Nein beantworten. Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind in gut fünf Monaten. Gesprächsthemen sind Inflation, die Cost of living crisis, die Schweigegeldzahlungen von Donald Trump, das Alter der Kandidaten, Immigration, Industriepolitik, China – aber nicht die Staatsfinanzen. Es interessiert niemanden. Weder Joe Biden noch Donald Trump politisieren mit einem Programm, das eine vernünftige Fiskalpolitik propagiert.

Fiskalkonservative Positionen sind nicht zu sehen. Seit George Bush Junior geben sich die Republikaner nur noch fiskalkonservativ, wenn sie in der Opposition sind. Kontrollieren sie das Weisse Haus und den Kongress, sind sie genau so ausgabenfreudig wie die Demokraten.

Insofern sind die erwähnten Projektionen des CBO als glaubhaft – wenn nicht sogar als optimistisch – zu betrachten.

Uns interessiert jedoch nicht die Frage, ob die Staatsschulden zu einem politischen Problem werden, sondern, ob sie für die Börsen zu einem Problem werden. Und hier wird’s spannend, denn diese Frage führt zurück zu James Carville.

Vielleicht erinnern Sie sich an Liz Truss. Sie ging im Herbst 2022 in die Geschichte ein als Premierministerin des Vereinigten Königreichs mit der kürzesten Amtsdauer: 49 Tage. Truss war in vielerlei Hinsicht ein Flop – aber in Grunde wurde sie ein Opfer des Bondmarktes. Sie und ihr Finanzminister legten im Oktober 2022 ein derart schludrig verfasstes Budget vor, dass der Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) revoltierte. Die Rendite zehnjähriger Gilts schoss zwischen dem 13. und 18. Oktober um gut 35 Basispunkte in die Höhe. Der Markt vermochte keine neuen Gilts-Emissionen zu absorbieren. Die Bank of England musste mit Käufen einspringen. Am 25. Oktober war Truss Geschichte.

Das bedeutet: Alles hängt davon ab, wie lange sich der Bondmarkt die Entwicklung der Staatsverschuldung gefallen lässt. Die Frage, ob die Staatsverschuldung ein Problem für die Börsen wird, entscheidet sich an der Frage, ob der Bondmarkt revoltiert oder nicht.

Deshalb ist die eingangs beschriebene Episode der Treasury-Auktion relevant. Es war nicht das erste Mal, dass eine Auktion floppte. Es kam in den vergangenen Monaten öfter vor. 1,3 Basispunkte – 4,65% statt 4,637% für siebenjährige Treasury Notes – sind noch keine Revolte.

Aber es sind potenzielle Vorbeben. Es ist unmöglich, zu prognostizieren, ob und wann der Markt für US-Staatsanleihen zur Revolte ansetzt. Vielleicht wird es nie geschehen. Vielleicht aber doch – und der Markt signalisiert, dass er neue Treasury-Emissionen nicht mehr absorbieren kann und will. Oder dann nur, wenn er deutlich höhere Zinsen dafür erhält.

Eine derartige Revolte – ein abrupter, heftiger Anstieg der Rendite zehnjähriger Treasury Notes – hat das Potenzial, den Aktienmarkt kurzfristig erheblich in Mitleidenschaft zu ziehen. Das war beispielsweise im Jahr 2022 oder im dritten Quartal 2023 der Fall, als die Börsen in einem Umfeld steigender Bondrenditen Verluste erlitten.

Doch spannend wird die Sache erst, wenn man sich überlegt, was danach passiert. Nach der Revolte des Bondmarktes.

Nehmen wir also im Sinne einer Szenario-Überlegung an, es kommt irgendwann am Treasury-Markt zu einer Revolte. Der Markt akzeptiert das Ausmass sowie die Entwicklung der Staatsverschuldung – 130% des BIP? 150%? 200%? – nicht mehr und verlangt deutlich höhere Zinsen.

Was dann?

Bereits heute ist der Staat in der Situation, dass der Zinsdienst einen zu grossen Anteil des Haushaltsbudgets verschlingt. Die Regierung könnte die Revolte also nicht ignorieren. Der Staat könnte höhere Zinsen nicht einfach stemmen, denn diese würden die Emission von noch mehr Staatsanleihen verlangen, die Staatsverschuldung würde noch mehr steigen, und der Bondmarkt würde noch mehr revoltieren.

Die Verschuldung müsste also sinken. Doch wie geht das? Die Staatsverschuldung in Prozent des BIP ist ein Bruch; das heisst, die Zahl kann entweder sinken, indem der Zähler (die Schulden) sinkt oder indem der Nenner (BIP) steigt. Und es existieren nur vier Wege, wie das möglich ist:

Wege zur Senkung der Staatsverschuldung (in % des BIP):

  1. Zahlungsausfall (Default): Der Zähler sinkt. Das ist typischerweise der Weg, den Staaten wählen, die nicht das Privileg haben, sich in ihrer eigenen Währung zu verschulden. Beispiel: Argentinien.
  2. Austerität: Der Zähler sinkt. Die Regierung schwört die Bevölkerung darauf ein, den Gürtel enger zu schnallen. Steuern werden erhöht, Ausgaben gekürzt, mit dem Ziel, einen Überschuss im Haushaltsbudget zu erzielen und damit Schulden zurückzuzahlen. Diesen Pfad geht der neue Präsident Argentiniens, Javier Milei.
  3. Reales Wirtschaftswachstum: Der Nenner steigt. Durch Strukturreformen, Privatisierungen etc. wird die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gesteigert, die Steuereinnahmen sprudeln, das BIP wächst schneller als die Verschuldung. Dadurch verringern sich die Schulden in Prozent des BIP.
  4. Nominales Wirtschaftswachstum: Der Nenner steigt. Statt reales Wachstum kann die Regierung nominales Wachstum anstreben. Auch dadurch verringert sich der Schuldenberg in Prozent des BIP. Und ein höheres Nominalwachstum wird durch die Tolerierung einer höheren Inflationsrate erreicht.

Es gibt nur diese vier Wege.

Angenommen also, der Bondmarkt revoltiert gegen die nächste Regierung der USA und verlangt von Präsident Biden oder Trump, die Verschuldung zu senken.

Welchen Weg wird der alte Mann im Weissen Haus wählen?

Pfad eins, der Default, kann praktisch ausgeschlossen werden, da ein Zahlungsausfall nicht nur Gläubiger in China, Japan oder Saudi-Arabien schmerzen, sondern auch das amerikanische Banken- und Pensionskassensystem ruinieren würde. Ein Staat, der sich in seiner eigenen Währung verschulden kann, beschliesst keinen Default.

Pfad zwei: Austerität klingt gut, aber es ist ein brutaler Prozess. Signifikante Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen würden die Wirtschaft in eine Depression stürzen. Die Aktienmärkte würden einbrechen. Das wäre Selbstmord für die Partei, die das Weisse Haus und den Kongress kontrolliert.

Pfad drei: Reales Wirtschaftswachstum durch Produktivitätssteigerungen klingt gut, doch das lässt sich nicht herbeizaubern. Ronald Reagan hatte ab 1981 – genau wie Margaret Thatcher in Grossbritannien ab 1979 – die historisch nahezu einmalige Chance, grosse liberale Reformen (die in den USA von Reagans Vorgänger Jimmy Carter eingeleitet wurden) umzusetzen. Das wäre für Biden oder Trump heute ungleich schwieriger.

Bleibt Pfad vier: Nominalwachstum. Während sich das BIP auf realer Basis nur schwer in die Höhe treiben lässt, lässt sich mit der anderen Komponente des Nominalwachstums, der Inflation, deutlich einfacher spielen. Einige Jahre oder Jahrzehnte mit 3 bis 6% Inflation wirken Wunder gegen eine zu hohe Staatsverschuldung. Das ist der Pfad, der in den USA und Grossbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg gewählt wurde, um die Staatsverschuldung zu verringern. Dieser Prozess ist als finanzielle Repression bekannt.

Wenn man diese vier möglichen Pfade mit ihrem jeweiligen Kosten-Nutzen-Profil und ihrem Schwierigkeitsgrad betrachtet, liegt es auf der Hand, dass in jeder Demokratie, die einem vier- oder sechsjährigen Wahlzyklus folgen muss, Pfad Nummer vier den mit Abstand geringsten Widerstand verspricht.

Einspruch!, mögen Sie nun sagen. Der Bondmarkt ist nicht dumm. Wenn das Nominalwachstum nur dank höherer Inflation steigt, dann werden einfach die Zinsforderungen am Bondmarkt ebenfalls steigen. Schliesslich wollen die Bondinvestoren auf realer Basis verzinst werden.

Das stimmt – doch an dieser Stelle kommt die Zentralbank zum Zug. Steigen die Zinsen am Bondmarkt zu stark, dann kauft die Zentralbank langfristige Staatsanleihen, deckelt so die Bondrenditen und limitiert die Zinslast für den Staat. Das hat im Fall Japans bestens funktioniert, wo die Brutto-Staatsverschuldung auf über 250% des BIP gestiegen ist und die Bank of Japan mittlerweile mehr als 40% aller ausstehenden Staatsanleihen hält.

Für den Aktienmarkt ist dieser Pfad durchaus attraktiv: Er mag es, wenn die Zentralbank den Anstieg der Zinsen unterbindet und zu diesem Zweck Liquidität ins System pumpt.

Ganz umsonst ist dieser Weg jedoch nicht, denn als «Druckventil» nach aussen dient – siehe Japan – der Wechselkurs. Die Währung eines Staates, der sich in finanzieller Repression versucht und seine Zentralbank dabei zu Hilfe zieht, wertet sich in der Regel deutlich ab.

Damit zurück zur Einstiegsfrage: Werden die Staatsschulden zu einem Problem für die Börsen?

Die Antwort hat mehrere Facetten:

Revoltiert der Bondmarkt gegen die Staatsverschuldung und verlangt deutlich höhere Zinsen?

  • Nein: dann ist es kein Problem für die Börsen.
  • Ja: dann ist es ein Problem für die Börsen.

Was unternimmt die Regierung als Antwort auf die Revolte des Bondmarktes?

  • Default (höchst unwahrscheinlich): Eine Finanzkrise gigantischen Ausmasses wäre die Folge. Die Aktienmärkte würden einbrechen.
  • Austerität (höchst unwahrscheinlich): Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen würden eine Depression auslösen. Die Aktienmärkte würden einbrechen.
  • Realwachstum: Höchst unwahrscheinlich, wäre aber positiv für die Aktienmärkte.
  • Nominalwachstum/finanzielle Repression/Zinskurvenkontrolle durch die Zentralbank (wahrscheinlichster, weil einfachster Weg für gewählte Politiker): Positiv für die Aktienmärkte, positiv für Gold, wahrscheinlich auch positiv für Kryptowährungen wie Bitcoin. Negativ für die Währung des betreffenden Staates. Desaströs für Bonds. 

Deshalb: Ja, die hohen Staatsschulden werden zu einem Problem für die Börsen, sofern der Bondmarkt beginnt, dagegen zu revoltieren. Die Aktienmärkte – sowie andere Realwerte – werden es aber lieben, wenn die Zentralbank nach dieser ersten Revolte einspringt und weitere Zinsanstiege unterbindet.

Wer weiss, vielleicht signalisieren die Preise für Gold, Silber oder Bitcoin bereits, dass sie erkannt haben, wie die Zukunft aussehen wird.

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