Der neue Film «The Phoenician Scheme» des amerikanischen Regisseurs hat dasselbe Problem wie die beiden letzten: Er ist grossartig verfilmt, lässt einen aber kalt.
Wes Anderson erzählt eine Geschichte, die selbst für seine Verhältnisse verschroben klingt. Der von permanenten Attentaten bedrohte, von den USA als Feind eingestufte und von Terroristen gejagte Waffenhändler Anatole Zsa-zsa Korda (Benicio del Toro) hat seine Tochter Lies (Mia Threapleton) zur Alleinerbin gemacht. Ihre neun Brüder sollen nichts bekommen. Der Vater hat seine Gründe, nennt sie aber nicht.
Das eine Problem besteht darin, dass die Tochter nicht am Erbe interessiert ist, weil sie Nonne werden will. Das zweite Problem hat der Vater selber: Seinem Vermögen droht der Verlust. Nur wenn es dem Milliardär gelingt, ein kompliziertes Projekt zu finanzieren, kann er dem Bankrott entgehen. Die Tochter sucht Gott, der Vater braucht Geld.
Das dritte Problem haben weder Vater noch Tochter, sondern hat der Regisseur: Wes Anderson ist das Opfer seiner eigenen Originalität geworden. Er will zu viel und erreicht zu wenig. Dabei hat sein zwölfter Film, die vier Kurzfilme nicht mitgezählt, einiges zu bieten. «The Phoenician Scheme» ist wieder exzellent besetzt und grossartig verfilmt.
Dass wir diesem Regisseur so viele eigenwillige Figuren verdanken, hängt schon mit der Qualität der Schauspielerinnen und Schauspieler zusammen, die er offenbar nach Belieben mobilisieren kann. In seinem neuen Film spielen Tom Hanks und Bryan Cranston mit, Benedict Cumberbatch und Bill Murray, William Dafoe und Michael Cera. Anderson kann es sich sogar leisten, Scarlett Johansson bloss für eine minimale Rolle zu besetzen.
Der Edward Hopper des Films
Und natürlich hat der Regisseur seinen neuen Film visuell so brillant inszeniert, wie man es von ihm kennt. Dabei hat er sich diesmal die Hilfe des französischen Kameramannes Bruno Delbonnel gesichert, der mit seiner Arbeit für Jean-Pierre Jeunets «Le fabuleux destin d’Amélie Poulain» weltbekannt wurde. Wes Anderson, der Symmetrien liebt, rechte Winkel und klare Konturen, ist ein Meister der Visualisierung. Jedes Haus, jedes Zimmer, jede Tür, jeder Anzug, jede Frisur passt zu allem anderen, was die jeweilige Szene zeigt.
Der Amerikaner, der in Paris lebt, hat seine märchenhaft nostalgische Ästhetik mit ihren aufeinander abgestimmten Pastelltönen im Lauf seiner Karriere dermassen perfektioniert, dass man seinen Stil sofort erkennt, selbst bei seinem Werbespot für die Modemarke H&M. Am ehesten könnte man Wes Anderson als Edward Hopper des Films bezeichnen. Dieselbe Melancholie und Verlorenheit der Figuren, dieselbe Meisterschaft von Cadrage und Farbsetzung.
Als achtjähriger Junge erlitt der Regisseur die Trennung seines Vaters von der Familie, die Scheidung hat ihn traumatisiert. Vielleicht spielen Familien deshalb bei ihm eine so grosse Rolle, und vielleicht achtet er deshalb so sehr auf die visuelle Harmonie. Es gebe so viel Schönheit und Trauer in seinem Werk, ob die eine nicht die andere lindere, hat man ihn im Gespräch einmal gefragt. «Fast möchte ich sagen, dass die Schönheit manchmal in der Trauer liegt», gab er zurück. «Die beiden vermischen sich. Oft ist die schönste Sache die traurigste.»
Virtuos, aber manieriert
Genau darin liegt das Problem seines neuen Filmes: Es stellen sich beim Betrachten keine Gefühle ein. Diesen Mangel teilt «The Phoenician Scheme» mit Andersons beiden letzten Langfilmen, «Asteroid City» und «The French Dispatch». Alle drei brillieren mit der Makellosigkeit der Inszenierung, man geniesst das Können der Schauspielerinnen und Schauspieler, die ironischen Dialoge, den Bildwitz, die Dekors. Und bekommt doch den Eindruck eines letztlich kalten Manierismus.
Das wird einem klar, wenn man diese Filme mit Andersons besten vergleicht, etwa «Moonrise Kingdom» oder «The Royal Tenenbaums». Beide handeln von bedrohten Familien. In «Moonrise Kingdom» flüchten zwei Kinder von einer Insel und verlieben sich ineinander. Das Mädchen leidet an seinen Eltern und Mitschülerinnen, der Junge ist Vollwaise. In «The Royal Tenenbaums» durchleiden die Familienmitglieder die Trennung der Eltern, der Vater hat Frau und Kinder verlassen. Auch in diesen Filmen stimmt jedes Bild, auch sie profitieren von einem überragenden Ensemble. Aber Anderson inszeniert die Tragödien so, dass man mit den Figuren fühlt. Man spürt die Freude und den Schmerz.
Empathie empfindet man selbst bei seinen beiden Tiertrickfilmen, «Fantastic Mr. Fox» und «Isle of Dogs». Anderson und sein Team haben die Filme mit der Technik der Stop-Motion gedreht, das heisst, die Figuren wurden von Hand bewegt und nicht gezeichnet oder am Computer erzeugt. Das Verfahren erfordert einen immensen Aufwand, vermittelt aber ein Gefühl von Nahbarkeit und Wärme. Keines von beiden mag sich beim Betrachten von «The Phoenician Scheme» einstellen. Man kann die Virtuosität des Regisseurs und seines Ensembles bewundern. Lieben kann man sie nicht.
Wes Anderson: «The Phoenician Scheme» (101 Minuten). Jetzt im Kino.