Samstag, Oktober 5

Was bisher war, und was noch kommen könnte: Notizen zu den sieben Mitgliedern des Bundesrats.

Viola Amherd: hin und her – und jetzt?

Im Prinzip steht sie in jeder Hinsicht mittendrin: als einzige Mitte-Vertreterin, als Bundespräsidentin, als oberste Chefin der Armee, die plötzlich wieder im Fokus ist. Dennoch hält sich der Eindruck, Viola Amherd bewege sich im sechsten Amtsjahr öfters am Rand. Ihr Verhalten im Kampf um das Armeebudget, der schon über zwei Jahre andauert, sorgt nicht nur im Finanzdepartement für Unmut.

Kritiker werfen ihr einen Zickzackkurs vor. Im Bundesrat habe sie Hand geboten zu einem Kompromiss, diesen dann aber gegenüber Armee und Parlament nicht verteidigt. Nun wolle sie doch wieder mehr herausholen. Wohlgesinnte entgegnen, Amherd versuche, eine Lösung aufzugleisen, mit der Parlament und Bundesrat einverstanden seien.

Der Disput überschattet ihr Wirken als Bundespräsidentin innerhalb des Gremiums und dürfte ihren Einfluss in anderen Dossiers schmälern. Allgemein gewürdigt wurde ihre Rolle rund um die Bürgenstock-Konferenz. Trotz der noch kurzen Amtszeit wird bereits über einen baldigen Rücktritt spekuliert – nicht zuletzt, weil im Herbst ihre enge Beraterin, Brigitte Hauser-Süess, mit 70 in Pension gehen muss.

Guy Parmelin: verwalten und vermitteln

Diese Woche war er wieder einmal in den Schlagzeilen: Guy Parmelin führte eine grosse Wirtschaftsmission nach China an. Sonst hört man meist nicht allzu viel vom SVP-Magistraten, was für einen Wirtschaftsminister grundsätzlich ein gutes Zeichen ist. Die Sanktionspolitik gegen Russland sorgte zu Beginn des Ukraine-Kriegs für Verwerfungen, doch seither übernimmt Parmelins Departement die EU-Sanktionen routiniert.

Der Waadtländer ist eher der Verwalter als der Gestalter. Dies trifft auch auf sein wohl vertracktestes Geschäft zu: das Europadossier. Parmelin soll mit den Sozialpartnern Lösungen für eine innenpolitische Umsetzung finden. Der Wirtschaftsminister zeige zu wenig Engagement, sagen Kritiker, er spiele bloss den Vermittler. Es gibt denn auch einige, die hoffen, dass es im Wirtschaftsdepartement bald zu einem Wechsel komme. Parmelin steht im neunten Amtsjahr. Er soll seiner Partei zwar hoch und heilig versprochen haben, bis zum Ende der Legislatur im Amt zu bleiben. Doch das heisst noch nicht, dass er es auch tut.

Ignazio Cassis: plötzlich schweigsam

Lange war Ignazio Cassis für einen Aufreger gut. Das Resultat: Er wird in Befragungen regelmässig zu einem der unbeliebtesten Bundesräte erkoren. Doch seit einem Jahr hat sich der Tessiner keinen Fehltritt mehr geleistet. Seit er im vergangenen Sommer öffentlich bekundete, keine Zeitungen mehr zu lesen, schweigt er. Das heisst, er redet schon noch, aber er gibt den privaten Medien keine Interviews mehr. Dafür hält er kluge Reden, die die Medien des Landes dann aufgreifen. So geschehen, als er im April im UBS Center der Uni Zürich die geopolitische Lage der Schweiz analysierte.

Obwohl die Bürgenstock-Initiative im Wesentlichen auf den Aussenminister zurückging, zeigte er sich auch dort erstaunlich zurückhaltend. Das Rampenlicht überliess er weitgehend Bundespräsidentin Viola Amherd. Doch Cassis ist gut unterwegs. Die Schweizer Aussenpolitik wirkt wieder fokussierter und klarer den Guten Diensten verpflichtet als auch schon. Wie es um die Gespräche mit der EU steht, ist offen. Doch immerhin: Sie laufen noch. Seit er schweigt, ist Cassis zum Staatsmann geworden. Aber wenn er will, dass sein EU-Paket eine Chance hat, wird er bald reden müssen.

Karin Keller-Sutter: die Chefin, jetzt erst recht

In einem Punkt sind sich fast alle einig: Oben am bundesrätlichen Tisch ist dort, wo Karin Keller-Sutter sitzt. Nicht nur kraft ihres Amts als Finanzchefin ist die Freisinnige die starke Frau im Gremium. Ihre Durchsetzungskraft ist nicht erst seit der CS-Krise bekannt. Auch Gegner attestieren ihr, dass sie weiss, was sie will, stets gut vorbereitet ist, nichts dem Zufall überlässt. Wenn Kollegen handwerkliche Fehler machen oder lückenhafte Papiere vorlegen, ist ihre Geduld begrenzt. Kritiker monieren, sie überstrapaziere zurzeit ihre Rolle als oberste Sparerin und interveniere bei jedem Detail.

Die nächsten Monate werden anspruchsvoll für «KKS». Als Finanzministerin muss sie dafür sorgen, dass die Spardebatte nicht entgleist, und nächstes Jahr wird sie erstmals als Bundespräsidentin fungieren, just dann, wenn voraussichtlich die Debatte um die neuen Abkommen mit der EU so richtig beginnt. Nicht nur im Aussendepartement fragt man sich gespannt, welche Rolle Keller-Sutter dabei spielen wird, ob sie ihren Einfluss geltend machen wird, um die bürgerlichen Skeptiker zu überzeugen.

Albert Rösti: der neue starke Mann

Von den sieben Mitgliedern der Landesregierung ist wohl niemand so gerne Bundesrat wie Albert Rösti. Bereits in seinem ersten Amtsjahr stellte er die Weichen für eine pragmatische Energiepolitik, die vor allem auf Strom aus erneuerbaren Quellen setzt. Mit dem deutlichen Ja zum Stromgesetz am 9. Juni konnte der Berner Oberländer seinen ersten grossen Sieg als Bundesrat feiern.

Doch Rösti musste auch einstecken. An einem öffentlichen Auftritt zeigte er sich kürzlich überrascht über die Kritik, die ihm entgegenschlug, nachdem er präventive Abschüsse von gefährlichen Wölfen bewilligt hatte. «Alle reden nur von den 39 Wölfen», sagte er erstaunt. «Niemand von den 6000 Murmeltieren, die im selben Zeitraum geschossen wurden.»

Rösti ist ein Sympathieträger, aber er zeigt immer wieder klare Kante. Im Gegensatz zu einigen Kollegen hält er nichts vom Klima-Urteil aus Strassburg, nichts von einer Umgehung des Ständemehrs bei einer allfälligen Abstimmung über die EU-Verträge und nichts davon, wenn Beamte des Fedpol Parlamentariern wegen eines Besuchs aus der Ukraine den Zugang zur Treppe im Bundeshaus verwehren. Das kann sich nur leisten, wer im Bundesrat einen guten Stand hat.

Elisabeth Baume-Schneider: die Unberechenbare

Sie einzuschätzen, ist nicht einfach. Dass Elisabeth Baume-Schneider letztes Jahr im Justizdepartement mit dem Asyldossier keinen guten Start hatte, ist offensichtlich. Aber wie geht es jetzt weiter? Allgemein ist zu hören, die SP-Frau fühle sich im Innendepartement deutlich wohler. Sozial- und Gesundheitspolitik scheinen ihr besser zu liegen.

Die Frage ist nur, ob es ihr gelingen wird, Akzente zu setzen. Zum einen sind im laufenden Jahr grosse Ressourcen gebunden durch die vielen schwierigen Abstimmungskämpfe, von denen der Bundesrat bisher einen verloren (13. AHV) und einen gewonnen (Prämienverbilligung) hat. Die Finanzierung der 13. Rente wird ihren Spielraum auf Jahre hinaus verengen.

Zum anderen liess Baume-Schneider bisher kaum erkennen, was ihre Prioritäten sind, welchen Plan sie hat. Ihre grosse Bewährungsprobe ist die Reform der AHV, die sie spätestens 2026 vorlegen muss. An Kritikern, die ihr wenig zutrauen, fehlt es nicht. Allerdings hat sie im Juni einige positiv überrascht mit ihrem Vorgehen im epischen Streit um den Tarif für ambulante Medizin. Es scheint ihr gelungen zu sein, die zerstrittene Branche zu einem Kompromiss zu zwingen.

Beat Jans: mit Vollgas für das EU-Abkommen

Beat Jans musste das Justiz- und Polizeidepartement nolens volens übernehmen, doch der Basler scheint gewillt, das Beste aus seiner Rolle herauszuholen. Der Start war gut, er benannte die Missstände im Asylwesen. Doch im Parlament nimmt der Druck von Mitte-rechts zu.

Jans wirkt entschlossen, eine wichtige Rolle im Bundesrat zu spielen. Doch so richtig rund läuft es für ihn bis anhin nicht. Eine Schlappe musste er jüngst beim Thema EU-Abkommen und Ständemehr einstecken; offenkundig hatte er die Stimmungslage in der Regierung falsch eingeschätzt. Eine weitere Machtprobe zeichnet sich beim Umgang mit dem Strassburger Klima-Urteil ab.

Sein Alleinstellungsmerkmal könnte der europhile Jans im EU-Dossier finden. So wirbt er in seinen Reden immer offensiver für das EU-Abkommen. Bezeichnenderweise spricht er von den «Bilateralen III» – wie dies die Befürworter tun, der Bundesrat selber allerdings nicht.

Klar ist: Sollte das EU-Abkommen je verabschiedet werden, wäre Jans als dessen Verkäufer prädestiniert. Kein anderer Bundesrat zeigt sich von Europa so begeistert wie er. Ob er auch die Gewerkschaften an Bord holen kann?

Exit mobile version