Zum dritten Mal in Folge unterschätzen Meinungsforschungsinstitute die Trump-Wählerschaft. Zwar wurden Fehler aus der Vergangenheit behoben, entscheidende Lücken bleiben jedoch.
Noch vor einem Tag schien die Lage klar: Das Rennen um das Weisse Haus würde extrem knapp werden, ein schnelles Ergebnis am Mittwochmorgen war unwahrscheinlich, und eine erneute tagelange Hängepartie wie vor vier Jahren schien möglich. Die NZZ schrieb von einem sich abzeichnenden Nervenkrimi.
Darauf deuteten die Zahlen angesehener Umfrage-Aggregatoren hin. Zwar gaben die statistischen Modelle des «Economist», der politischen Plattform Fivethirtyeight und des Umfrageforschers Nate Silver Kamala Harris einen kleinen Vorsprung auf nationaler Ebene, sie sprachen jedoch von einem «toss up» – einem Münzwurf mit gleicher Gewinnchance für beide Seiten.
Doch schon unerwartet früh zeichnete sich in der Wahlnacht eine klare Tendenz für den Republikaner Donald Trump ab.
Daneben, aber im Fehlerbereich
Von den sieben Schlüsselstaaten, die über den Wahlausgang bestimmen sollten, konnte Trump North Carolina und Georgia schon früh für sich entscheiden. In den letzten Umfragen war ihm dort ein Vorsprung von durchschnittlich 1,2 beziehungsweise 1,3 Prozentpunkten auf Kamala Harris vorausgesagt worden. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen gewinnt Trump North Carolina mit einem Vorsprung von 3,4 Prozentpunkten und Georgia mit einem solchen von 2,3 Prozentpunkten. Der Staat im Südosten der USA hatte seine Stimmen 2020 noch an Joe Biden vergeben.
Dann begann die «blaue Mauer» zu bröckeln. Zuerst fiel das 2020 noch von den Demokraten gewonnene Pennsylvania an Trump. Vor der Wahl galt der Staat als der wichtigste der Swing States, und die Umfragen hatten Trump einen knappen Vorsprung von 0,4 Prozentpunkten prognostiziert. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen betrug der Vorsprung jedoch 2,2 Prozentpunkte.
In Wisconsin und Michigan hatten die Demoskopen sogar einen knappen Sieg von Harris erwartet, doch der künftige Präsident setzte sich auch dort durch. Wisconsin und Michigan sind Trump schon sicher. In Nevada und Arizona werden ebenfalls noch Stimmen gezählt, in beiden Staaten liegt Trump deutlich vorn. Sollte dies so blieben, hätte Trump alle umstrittenen Gliedstaaten für sich entschieden – und dies jeweils mit einem höheren Stimmenanteil, als die Umfragen vorhergesagt hatten.
Dennoch werden die Meinungsforscher aufatmen. Es liegt in der Natur von Umfragen, dass sie das Ergebnis nicht exakt vorhersagen können, da sie auf Stichproben der Gesamtbevölkerung basieren. Daher sind sie mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Diese Unsicherheit entsteht, weil die Umfrageergebnisse auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnet werden. Die Fehlermarge lag bei den Befragungen im Vorfeld des Wahltages bei durchschnittlich ±3 Prozentpunkten. Mit Ausnahme von Nevada liegen alle Zwischenresultate in diesem Bereich; bis auf Michigan und Wisconsin wurde die Mehrheit der Gliedstaaten im Voraus korrekt Trump zugeordnet.
Sind Trump-Wähler zu schüchtern für Umfragen?
Das war nicht immer so: In den Umfragen von 2016 und 2020 wurde Trumps Stimmenanteil systematisch unterschätzt. 2016 sagten die Demoskopen in den umkämpften Gliedstaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin einen knappen Sieg für Hillary Clinton voraus, doch Trump gewann alle drei. Vier Jahre später überschätzten die Meinungsforscher den Rückhalt für Biden, sowohl landesweit als auch in den einzelnen Staaten, um etwa 4 Prozentpunkte.
Das Expertenkomitee des amerikanischen Verbands der Meinungsforscher identifizierte drei Gründe für die fehlerhaften Prognosen: Erstens entschieden sich viele unentschlossene Wähler erst kurz vor der Wahl für Trump. Zweitens wurden Wähler ohne Universitätsabschluss in den Umfragen zu wenig berücksichtigt, und drittens gaben sich einige Befragte nicht als Trump-Wähler zu erkennen, weil sie den Umfragen misstrauten oder sich für ihre Wahl schämten. Dadurch sei wohl eine Überrepräsentation von Demokraten bei den Stichproben aufgetreten, so das Fazit.
Viele Umfrageinstitute reagierten, indem sie Bildungsmerkmale stärker gewichteten und Wähler danach fragten, für wen sie bei vorherigen Wahlen gestimmt hätten. Damit sollte der Trump-Wähler-Anteil vergangener Jahre jeweils als Indikator für künftige Wahlen dienen.
Latinos, Schwarze und Frauen falsch eingeschätzt
In welchem Ausmass diese Korrekturen gröbere Fehleinschätzungen bei diesen Wahlen verhindert haben, ist noch unklar. Die Zwischenresultate zeigen zwar ein akkurateres Bild als noch vor vier oder acht Jahren.
Und trotzdem zeigen erste Nachwahlanalysen, dass insbesondere Latino- und schwarze Männer häufiger für Trump gestimmt haben als noch vor vier Jahren. Gleichzeitig blieb der erwartete Mobilisierungseffekt unter den Frauen für Kamala Harris aus. Womöglich haben die Umfrageinstitute diese traditionell demokratischen Wählergruppen weniger für Trump gewichtet.
Ausserdem wurde schon im Vorfeld darüber spekuliert, wie stark sich der sogenannte «Bradley-Effekt» auf Kamala Harris auswirken würde. Dieser umschreibt, dass Wähler in Umfragen ihre Unterstützung für Frauen und nichtweisse Kandidaten übertreiben, was dazu führen kann, dass eine Kandidatin bei den tatsächlichen Wahlergebnissen schlechter abschneidet als in den Umfragen.
Wie stark genaue Prognosen davon abhängen, ob Befragte wahrheitsgetreu antworten, zeigt sich auch bei den Experimenten mit neuen Erhebungsmethoden. So werden inzwischen viele Umfragen nicht mehr am Telefon oder vor Ort erhoben, sondern online. Studien zeigen, dass dabei wichtige Informationen nicht geteilt oder falsch angegeben werden. Deshalb kommt es zu einer Überrepräsentation bestimmter Gruppen, was Stichproben verzerren kann.
Schliesslich bleibt das Grundproblem der Meinungsforscher weiter bestehen: Sie können letztlich nicht wissen, ob die von ihnen Befragten am Wahltag tatsächlich an die Urne gehen oder nicht. Aller Statistik zum Trotz wird erst am Wahltag selbst ersichtlich, wie sich das Elektorat wirklich zusammensetzt und ob es an der Urne tatsächlich so abstimmt wie in einer Umfrage angegeben. Ein weiteres Mal zeigt sich: Die Trump-Wählerschaft wurde unterschätzt.