Samstag, November 30

Die starke Performance von Gold verlangt nach einer Erklärung. Auch stellt sich die Frage, wie weit die Rally gehen kann. Ein Blick auf die fundamentalen Treiber zeigt, dass dem Edelmetall noch mehr Avancen bevorstehen – wahrscheinlich noch sehr viel mehr.

Während die Finanzwelt im vergangenen Jahr praktisch alle Aufmerksamkeit auf die Kursavancen an Börsen richtete (speziell auf die Avancen des S&P 500 in den USA), legte der Goldpreis still und heimlich 13% zu. Seit Anfang Jahr ist er um weitere 14% gestiegen und markiert ein Rekordhoch nach dem anderen.

Auf risikoadjustierter Basis schneidet das Edelmetall mit dieser Performance im Vergleich zu anderen Anlageklassen ausserordentlich gut ab. Was genau aber die Ursachen für die bedeutenden Avancen des Goldpreises sind, gibt zu rätseln. Ebenso drängen sich Fragen auf, ob der Aufwärtstrend anhalten kann.

Um Antworten darauf zu finden, lohnt es sich, die wichtigsten Einflussfaktoren auf den Goldpreis der Reihe nach zu betrachten. Zunächst stellt sich dabei heraus, dass momentan keine Engpässe beim Angebot bestehen, die den Preisanstieg erklären könnten.

Die Gesamtproduktion an Gold ist leicht gestiegen, und die Terminkurve befindet sich in einem normalen Contango-Zustand, bei dem die Preise in der langen Frist höher sind als in der kurzen Frist. Höhere Grenzkosten zur Förderung von Gold legen derweil einen Boden unter das aktuelle Preisniveau.

Treiber auf der Nachfrageseite

Bessere Erklärungen für die Rally finden sich auf der anderen Seite der Gleichung zwischen Angebot und Nachfrage. Der steigende Bedarf an physischem Gold ist für einen wesentlichen Teil der jüngsten Preisentwicklung verantwortlich.

Die Zentralbanken erhöhen ihre Goldreserven, da sich die Weltwirtschaft wandelt und vor allem Schwellenländer ihre Reserven ausbauen. In den wichtigsten Emerging Markets besteht ausserdem eine starke Goldnachfrage auf Ebene des Einzelhandels. Ebenso sorgt die Rolle von Gold bei der Herstellung von Mikrochips für einen gesunden Zuwachs der Nachfrage.

Hinzu kommen weitere Faktoren. Goldkäufe nehmen nicht nur wegen der fundamentale Nachfrage zu, sondern auch zur Absicherung und Spekulation angesichts der labilen Verfassung der Weltwirtschaft und der erhöhten Unsicherheit über die Geopolitik. Das Gleiche gilt mit Blick auf die enormen Staatsschulden in vielen Industrieländern.

Bei der Suche nach weiteren Gründen für das Vorpreschen von Gold stösst man allerdings auch auf ein echtes Rätsel: Makroökonomische und finanztechnische Faktoren – das heisst die Korrelation zwischen Gold und Inflation, Zinsen sowie dem Dollar, die normalerweise der Haupttreiber für Preisschwankungen sind – haben sich in den vergangenen Monaten gegen Gold gerichtet. Und trotzdem hat sich das Edelmetall überraschend gut entwickelt.

Zinssenkungen als Katalysator

Insgesamt sind wir der Ansicht, dass der Rückenwind, der den Goldpreis auf neue Höchststände treibt, bald noch stärker werden könnte. Die Hauptgründe dafür sind der bevorstehende Lockerungszyklus in der globalen Geldpolitik, das schwache und sich weiter abschwächende Wachstum der Weltwirtschaft sowie die unseren Prognosen nach rückläufige Inflation.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie stark der Rückenwind für Gold ist, haben wir ein ganzheitliches Modell erstellt, das finanzielle und risikobasierte Faktoren einbezieht. Es zeigt momentan zwar eine leichte Überbewertung an (die Zinsen sind noch nicht gesunken). Doch wenn wir von einem Szenario ausgehen, in dem die US-Notenbank den Leitzins auf ein neutrales Niveau senkt, hat der Goldpreis weitere 10% Potenzial nach oben.

Dieses Szenario setzt allerdings eine «weiche Landung» der Wirtschaft voraus. Wenn wir eine «harte Landung» (sprich einen Abschwung) modellieren und dabei die Kenngrössen einer durchschnittlichen Rezession als Parameter verwenden, steigt der Goldpreis locker auf 2550 $ pro Unze – und das bevor andere potenzielle Treiber in Betracht gezogen werden.

Zu diesen weiteren Treibern zählen vorab geopolitische Spannungen, Risiken im Zusammenhang mit den US-Präsidentschaftswahlen, zunehmend strapazierte Staatsfinanzen und weitere Belastungen für die globalen Lieferketten. Sollte sich eines dieser Risiken zusätzlich zum geldpolitischen Lockerungszyklus manifestieren, wäre ein Goldpreis von 3000 $ im Spiel.

Gold gehört ins Portfolio

Als Sahnehäubchen auf dieser Torte deutet der markttechnische Hintergrund auf eine weitere Outperformance von Gold hin – und das in einer Zeit, in der man das Gleiche nicht für den S&P 500 sagen kann, der sich ebenfalls auf Rekordniveau bewegt.

Die Schlussfolgerung für Anlegerinnen und Anleger ist einfach: Ein gut diversifiziertes Portfolio sollte Gold enthalten, und wir empfehlen derzeit eine aggressive Übergewichtung.

Das Edelmetall bietet eine Absicherung gegen geopolitische Risiken und Probleme im Zusammenhang mit ausufernden Staatsschulden. Es dient als sicherer Hafen, wenn die Hausse an der Börse kollabiert. Ebenso ermöglicht es ein positives Exposure im Hinblick auf die kommenden Zinssenkungen in den USA und eine Phase der Dollarschwäche.

Scheuen Sie sich also nicht, bei den derzeitigen Preisen einzusteigen.

David Rosenberg

Wenn es um die US-Wirtschaft geht, kennen sich wenige so gut aus wie David Rosenberg. Der Kanadier publiziert seit 25 Jahren den Research-Report «Breakfast with Dave». Seine Karriere in der Finanzbranche startete er an der Bay Street in Toronto, wo er nach verschiedenen Stationen im Jahr 2000 zur kanadischen Geschäftseinheit von Merrill Lynch stiess. Wenige Jahre später wurde er als Chefökonom zum Hauptsitz des US-Brokers in New York beordert. Ab 2009 war er dann als Chefvolkswirt und Marktstratege für den kanadischen Vermögensverwalter Gluskin Sheff tätig. Anfang 2020 hat er mit Rosenberg Research seinen eigenen Anlageberatungsdienst mit Sitz in Toronto lanciert.
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