Montag, November 10

In der Nacht auf Dienstag ist Israel mit Truppen und Panzern Richtung Rafah vorgerückt. Beginnt nun die grosse Offensive auf die Stadt? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Seit Monaten ist eine Offensive auf Rafah Teil der israelischen Kriegspläne – und Gegenstand internationaler Besorgnis. In der Nacht auf Dienstag nun sind israelische Truppen mit Panzern in das Gebiet östlich von Rafah vorgerückt. Dabei nahmen sie den Grenzübergang von Rafah nach Ägypten ein. Videos zeigten gepanzerte Fahrzeuge entlang der Grenzanlage zu Ägypten. Laut Angaben der israelischen Streitkräfte (IDF) handelt es sich um eine «punktgenaue Operation in begrenzten Gebieten in Ost-Rafah». Dabei seien 20 Kämpfer getötet worden, zudem habe man Tunnel entdeckt.

Zuvor hatten die IDF am Montag eine teilweise Evakuierung der Stadt angeordnet. Mit Flugblättern, Anrufen und SMS forderten sie rund 100 000 Bewohner im Osten der Stadt dazu auf, das Gebiet zu verlassen. In der Folge brachen Tausende Menschen in Richtung Norden auf. Am Montagabend begann die Luftwaffe mit «präzisen Schlägen» gegen Ziele in Ost-Rafah.

Wo liegt Rafah, und weshalb ist es wichtig?

Rafah ist die südlichste Stadt des Gazastreifens und liegt unmittelbar an der Grenze zu Ägypten. Vor dem Krieg lebten rund 170 000 Menschen in der Stadt, doch aufgrund der anhaltenden Kämpfe suchten Hunderttausende dort Schutz. Hilfsorganisationen schätzen, dass sich mittlerweile zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Menschen in Rafah befinden. Viele leben unter prekären Bedingungen in Zelten.

Zwar wurde Rafah immer wieder bombardiert, doch ist die Stadt im Vergleich zu anderen Orten im Gazastreifen weitgehend intakt – und damit auch die Infrastruktur der Hamas. Laut Israel befinden sich vier Hamas-Bataillone in Rafah, auch wichtige Anführer werden dort vermutet. Viele der überlebenden israelischen Geiseln dürften ebenfalls in der Stadt sein. Benjamin Netanyahu hat wiederholt gesagt, ohne eine Offensive auf Rafah könne es keinen Sieg über die Hamas geben. Gleichzeitig hat Israel versprochen, vor einem Angriff die Bevölkerung in Sicherheit zu bringen.

Wie will die israelische Armee vorgehen?

Bislang ist unklar, ob die angekündigte Grossoffensive auf die Stadt tatsächlich begonnen hat. Vorderhand scheint es sich eher um eine begrenzte Operation zu handeln. Dies wurde von Armeesprechern auch mehrfach betont. Welche Ziele in Ost-Rafah genau verfolgt werden, haben die IDF nicht kommuniziert. Manche Beobachter gehen davon aus, dass Israel mit seinem Vorgehen nicht zuletzt Druck auf die Hamas bei den Verhandlungen um eine Feuerpause und die Freilassung von Geiseln ausüben will.

Sollte sich Israel tatsächlich zu einer grossangelegten Offensive entschliessen, dürfte die Evakuierung der Bevölkerung gemäss Medienberichten bis zu drei Wochen in Anspruch nehmen, bevor die Kämpfe beginnen. Es ist aber auch denkbar, dass sich Israel zu einem schrittweisen Vorgehen entschliesst, bei dem die Bevölkerung in mehreren Phasen die Stadt verlassen müsste. Am Montag begann die Bombardierung nur Stunden nach dem Evakuierungsbefehl.

Wohin soll die Zivilbevölkerung gebracht werden?

Die Armee hat die Bevölkerung von Ost-Rafah am Montag dazu aufgefordert, sich in eine sogenannte «humanitäre Zone» weiter nördlich zu begeben. Laut Schätzungen betrifft dies rund 100 000 Menschen. Schon seit Wochen gibt es eine solche Zone bei al-Mawasi, nun wurde diese beträchtlich erweitert. Sie erstreckt sich entlang der Küste und reicht bis in die weitgehend zerstörte Stadt Khan Yunis.

Allerdings bestehen grosse Zweifel daran, dass das Gebiet tatsächlich sicher ist. Gegenüber der Zeitung «Haaretz» sagte ein Bewohner von Ost-Rafah: «Die von der Armee definierten Gebiete sind sehr überfüllt oder völlig zerstört und können nicht als humanitär bezeichnet werden.»

Satellitenbilder zeigen, dass in den vergangenen Wochen nahe der Stadt Khan Yunis grosse Zeltstädte entstanden sind. Laut Medienberichten hat Israel selbst 40 000 Zelte für je zehn bis zwölf Personen beschafft. Diese könnten mehr als 400 000 Menschen beherbergen. Am Montag teilte die Armee mit, sie habe Feldspitäler in dem Gebiet errichtet und die Hilfslieferungen ausgeweitet. Allerdings hatte der amerikanische Aussenminister Antony Blinken noch vor wenigen Tagen gesagt, Israel habe bislang keinen «glaubwürdigen Plan» zum Schutz der Zivilbevölkerung vorgelegt.

In den vergangenen Wochen ist nahe Khan Yunis eine grosse Zeltstadt entstanden

Wie wird die humanitäre Hilfe sichergestellt?

Rafah spielt eine zentrale Rolle für die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern. Die Grenzübergänge Rafah und Kerem Schalom, über die jeden Tag Hunderte von Lastwagen nach Gaza gelangen, befinden sich im nun evakuierten Gebiet. Ausserdem koordinieren verschiedene Hilfsorganisationen ihre Aktivitäten von Rafah aus. Eine Offensive auf die Stadt könnte deshalb gravierende Auswirkungen auf die humanitären Operationen haben.

Die Vereinten Nationen teilten am Dienstag mit, ihren Mitarbeitern sei der Durchgang am Grenzübergang von Rafah verwehrt worden. Derweil drohe in Gaza der Treibstoff für die humanitären Operationen auszugehen. Der Vorrat reiche für lediglich einen Tag.

Die IDF betonen, es gebe genügend andere Zugänge für Hilfsgüter, etwa im mittleren und nördlichen Gazastreifen. Dazu kämen die Abwürfe aus der Luft. Zudem bauen die USA an der Küste derzeit eine provisorische Anlegestelle für Schiffe. Es ist allerdings unklar, wann diese fertiggestellt sein wird. Zuletzt hatte sich die Versorgungslage in Gaza etwas gebessert, doch laut Hilfsorganisationen droht vor allem im nördlichen Gazastreifen weiterhin eine Hungersnot.

Wie fallen die internationalen Reaktionen aus?

Seit Monaten fordern Israels Verbündete, von einer Offensive auf Rafah abzusehen. Entsprechend kritisch fallen nun die Reaktionen aus. Das amerikanische Aussenministerium teilte mit: «Wir können eine Operation in Rafah, wie sie derzeit geplant ist, nicht unterstützen.» Frankreich mahnte, dass die erzwungene Vertreibung von Zivilisten ein «Kriegsverbrechen» darstellen würde. Hilfsorganisationen mahnten, eine Offensive würde zu Tausenden Opfern und einer humanitären Katastrophe führen.

Welche Rolle spielt Ägypten?

Da Ägypten eine Grenze mit dem Gazastreifen teilt, ist es vom Krieg besonders betroffen. Ein grosser Teil der humanitären Hilfe wird über ägyptisches Gebiet geliefert. Gleichzeitig wird vermutet, dass die Hamas über geheime Tunnel unter der Grenze mit Waffen versorgt wird. Netanyahu hat schon vor Monaten angekündigt, dass Israel die Kontrolle über einen Korridor an der Grenze anstrebe, um den Schmuggel zu unterbinden.

Ägypten stellt sich allerdings vehement gegen eine Offensive auf Rafah. Laut Medienberichten im Februar hat Kairo gar damit gedroht, den jahrzehntealten Friedensvertrag mit Israel aufzukünden. Jüngst hat Ägypten seine Truppenpräsenz an der Grenze verstärkt. Die Regierung fürchtet, dass es im Fall einer Offensive zu einem Ansturm von palästinensischen Flüchtlingen kommt. Satellitenbilder zeigen, dass an der Grenze zum Gazastreifen Vorbereitungen zum Bau von Auffanglagern für Flüchtlinge getroffen wurden.

Nach dem israelischen Vorstoss am Dienstag blieb Kairo zunächst schweigsam. Es ist denkbar, dass Ägypten von Israel vorab informiert wurde und seine Zustimmung für eine limitierte Operation gegeben hat.

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