Freitag, September 20

Könnte die Schweiz Asylverfahren in Rwanda durchführen – so wie das England geplant hat? Die Genfer Flüchtlingskonvention verbiete dies nicht, bestätigen Migrationsrechtler. Trotzdem sehen sie hohe Hürden.

Auch in der Politik gibt es Modeströmungen: Im Asylbereich gehört das sogenannte Rwanda-Modell dazu. In vielen Ländern wird derzeit darüber nachgedacht, ob die nationalen Asylsysteme entlastet werden könnten, indem man die Verfahren in einem anderen Land durchführt. In Europa ist England am weitesten gegangen: Die britische Regierung stand nach langen Rechtsstreitigkeiten unmittelbar davor, Asylsuchende nach Rwanda auszufliegen. Doch nach seinem Wahlsieg stoppte der neue Premierminister Keir Starmer das Programm.

In der Schweiz lässt der Bundesrat derzeit ebenfalls prüfen, ob sich eine solche Externalisierung von Asylverfahren realisieren lässt. Auslöser ist ein Vorstoss des FDP-Ständerates Andreas Caroni, wonach die Vereinbarkeit solcher Modelle mit dem Schweizer Recht und mit internationalen Verpflichtungen geprüft werden soll. Der Bundesrat war bisher stets der Meinung, dass Asylverfahren im Ausland aus rechtlichen, aber auch aus praktischen Gründen nicht umsetzbar seien.

Tatsächlich ist die Liste der gescheiterten Versuche lang. Das abgebrochene Rwanda-Experiment in England ist nur ein Beispiel. Schon 2003 legte der damalige britische Premierminister Tony Blair Pläne zur Auslagerung von Hilfe und Schutz für irakische Flüchtlinge vor – unter dem vielversprechenden Titel «New Visions for Refugees». Doch die Vision blieb ein Papiertiger. Nicht zuletzt die Frage, was mit den Flüchtlingen langfristig geschehen soll, konnte nicht gelöst werden.

Schon Blocher versuchte es

Damals forcierte auch Justizminister Christoph Blocher die Externalisierung von Asylverfahren. Die Schweiz könne auf diese Weise doppelt so viele Flüchtlinge aufnehmen, sagte er im Jahr 2004. Zwei Jahre später zeigte sich jedoch, wie gross die Herausforderungen in Wirklichkeit waren. «Die Idee ist gut, die Umsetzung aber schwierig», so liess sich der Sprecher von Bundesrat Blocher damals zitieren. In den folgenden zwei Jahrzehnten fokussierte die Politik deshalb vor allem auf die Beschleunigung und Verschärfung der Asylverfahren.

Es gibt jedoch auch Beispiele mit besserer Bilanz. Das bekannteste betrifft Australien, das Bootsflüchtlinge in spezielle Lager auf Nauru und in Papua-Neuguinea brachte. Dort wurden die Asylverfahren durchgeführt. Selbst wer Asyl erhielt, durfte allerdings nicht nach Australien einreisen. Tatsächlich hatte diese Abschreckungspolitik Erfolg: Für Asylsuchende gab es kein Durchkommen nach Australien mehr.

Dies allerdings zum Preis von teilweise schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in den Lagern ausserhalb Australiens. Das sorgte auch im Land selber für heftige Diskussionen. Derzeit befindet sich ausserdem ein Abkommen zwischen Italien und Albanien in der Umsetzungsphase, das ebenfalls auf Kritik von Menschenrechtsorganisationen stösst. Wie viel dieses Abkommen bringt, ist noch offen.

Ziel der Externalisierung von Asylverfahren ist es, die Anreize so zu setzen, dass möglichst wenig Menschen ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen. Man macht klar, dass es niemand nach Europa oder in die Schweiz schafft, sondern dass Asylsuchende umgehend in einen Drittstaat gebracht werden. Weil sich deshalb weniger Menschen auf die Flucht machten, würden die Drittstaaten von Asylsuchenden nicht überschwemmt, so die Hoffnung. Und auch das illegale Schlepperwesen würde zusammenbrechen.

Flüchtlingskonvention wäre kein Hindernis

Doch Völker- und Migrationsrechts-Experten sind skeptisch, dass diese Rechnung wirklich aufgeht. «Es wird allgemein überschätzt, wie viel man mit Recht erreichen kann», meint Sarah Progin-Theuerkauf, Professorin für Europarecht und Migrationsrecht an der Universität Freiburg. Solange die Situation in einigen Herkunftsstaaten so schwierig sei, sei Europa attraktiv. Trotz Abschreckungsmassnahmen würden es immer noch viele schaffen, durchzukommen.

Auch ein aktuelles Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kommt zum Schluss, es gebe keine Belege, «dass die mit einer Externalisierung verbundenen Hoffnungen auf weniger Todesfälle an den EU-Aussengrenzen und auf eine Zerstörung des Geschäftsmodells von Schleppern und Schleusern realistisch sind». Dies nicht zuletzt, weil die Auslagerung nur schwer mit dem Völkerrecht vereinbar sei.

Zwar hätten Flüchtlinge gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) tatsächlich kein Anrecht darauf, frei zu wählen, in welchem Land sie Schutz erhielten, erklärt Progin-Theuerkauf. Es wäre der Schweiz grundsätzlich also erlaubt, Asylverfahren in einem anderen Land durchzuführen. Sie wäre nicht einmal verpflichtet, Personen in die Schweiz zu holen, die in einem solchen Verfahren tatsächlich auch Asyl erhalten.

Doch es gebe auch hier Grenzen, sagt Progin-Theuerkauf. Die GFK verlange, dass die Vertragsstaaten gewisse Mindeststandards einhalten. Das betrifft einerseits das Verfahren in dem betreffenden Drittstaat selbst, das rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen und fair sein muss. Ausserdem muss sichergestellt sein, dass ein Drittstaat schutzbedürftige Personen nicht in die Herkunftsstaaten abschiebt.

Gericht bremste Tory-Regierung

Beim Rwanda-Deal verlangte das oberste britische Gericht just wegen des Risikos völkerrechtlich unzulässiger Abschiebungen eine Vertragsanpassung: Rwanda musste sich verpflichten, gar keine Migranten aus dem Land zu werfen – egal ob sie Asyl erhalten oder nicht.

Werden die Asylsuchenden in den Drittstaaten in Lager gebracht (wie das auf Nauru der Fall war), darf auch das Folterverbot nicht verletzt werden. Personen, die in dem Drittstaat als Flüchtlinge anerkannt werden, müssen schliesslich Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung erhalten. All diese Anforderungen schränken die Zahl der möglichen Zielländer nach Einschätzung von Progin-Theuerkauf drastisch ein.

Und selbst wenn sie alle erfüllt sind, stellen sich weitere rechtliche Herausforderungen. So dürfte die Schweiz Asylsuchende nicht pauschal in Drittstaaten bringen, ohne ihre persönlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen – insbesondere bei vulnerablen Personen oder Minderjährigen.

Das geht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hervor, die immer dann gilt, wenn ein Staat effektive Kontrolle über eine Person ausübt – also auch dann, wenn Asylsuchende in Länder ausserhalb Europas transferiert werden. Mit anderen Worten: Gänzlich könnte die Schweiz nicht auf Verfahren im Inland verzichten.

Aufwendig – und wohl auch teuer

Die britische Tory-Regierung versuchte dies zu umgehen, indem sie Rwanda zum sicheren Drittstaat erklärte. Ob dieser Weg in der Schweiz politisch mehrheitsfähig wäre, ist allerdings unsicher. So oder so würden aber einzelne Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) landen, meint Progin-Theuerkauf. Die EMRK habe sich beim britischen Rwanda-Deal als zentrales rechtliches Hindernis erwiesen, heisst es auch im SWP-Papier.

Für Deutschland und die übrigen EU-Länder ist die Ausgangslage sogar noch komplizierter. Denn das EU-Verfahrensrecht sieht vor, dass eine asylsuchende Person nur in einen Staat gebracht werden darf, zu dem diese eine Verbindung hat. Diese Vorschrift, deren Verbindlichkeit in der Schweiz über ihre Dublin-Assoziierung unklar ist, schliesst die Externalisierung von Asylverfahren praktisch vollständig aus. In der EU wird aber erwogen, das sogenannte Verbindungselement zu streichen.

So gibt es für die Schweiz keine juristischen Vorgaben, die einem Drittstaatenmodell nach dem Vorbild des britischen Rwanda-Deals grundsätzlich entgegenstehen. Doch die hohen rechtlichen Hürden machen die Umsetzung anspruchsvoll und komplex. In der Regel bedeutet dies auch: teuer. Hinzu kommen schliesslich praktische Probleme – etwa die Suche nach einem Staat, der sich auf einen Deal einlässt.

Drittstaatenabkommen können deshalb nur eines von verschiedenen Elementen der Asylpolitik sein, mit dem Ziel, die verschiedenen Interessen von Herkunfts- und Zielländern zu verknüpfen. Was aber man auch immer versuche – es werde immer Leute geben, die auf der Suche nach einem besseren Leben nach Europa kämen, prognostiziert Progin-Theuerkauf: «Viele werden einfach untertauchen.»

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