Donnerstag, November 13

Die Ukraine lässt Lieferungen der russischen Firma Lukoil nicht mehr nach Europa. Damit lässt sie die Putin-Freunde in Ostmitteleuropa ihre Abhängigkeit spüren. Diese sehen sich bedroht.

Seit die Ukraine einen Teil des Erdöltransits über ihr Gebiet aus Russland nach Europa blockiert, kommt die Politik in Ungarn und der Slowakei nicht zur Ruhe. Die Regierung in Budapest sieht den Lieferstopp für die Firma Lukoil als unfreundlichen Akt und verhindert deshalb die Auszahlung von 6,5 Milliarden Euro an Waffenhilfe für Kiew. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico drohte am Montag, den Ukrainern keinen Diesel mehr zu liefern, wenn die Sperre nicht rasch aufgehoben werde.

Die Nervosität der beiden ostmitteleuropäischen Staaten hat gute Gründe. Seit sechzig Jahren sind sie praktisch vollständig von russischen Lieferungen über den Südstrang der sogenannten Druschba-Pipeline abhängig. Diese verläuft durch die Ukraine. Mit Moskaus Invasion des Nachbarlands ist dieses Modell aber unter Druck geraten: Die EU will sich vom Öl des Aggressors lösen und hat es deshalb 2022 sanktioniert.

Ungarn, die Slowakei und Tschechien konnten zwar eine Ausnahme für «Druschba» aushandeln, die den Zufluss von Erdöl weiterhin garantiert. Doch nun hat die Ukraine die Geduld verloren und eigene Sanktionen beschlossen: Seit Ende Juni verbietet sie die Einspeisung von Lukoil-Öl. Die Firma gehört zwar nicht dem Staat. Doch sie steht dem Kreml nahe und unterstützt die Kriegsmaschine. 2023 nahm Russland aus dem Erdölhandel 183 Milliarden Dollar ein, ein Teil davon dank dem Export über ukrainisches Gebiet. «Es ist absurd, dass wir ihnen das erlauben», erklärte die Rada-Abgeordnete Inna Sowsun gegenüber «Politico».

Die Ukraine hat bei russischem Öl und Gas eigene Interessen

Die Erklärung überzeugt nur zum Teil. Zwar ist unbestritten, dass die Europäer alles andere als konsequent handeln, wenn sie einerseits die Ukraine militärisch unterstützen und andererseits Milliarden in die russische Kriegskasse einzahlen. Dass Kiew ein Interesse daran hat, eine von Moskau wichtigsten Einnahmequellen zu unterbinden, scheint logisch. Die ukrainischen Streitkräfte haben mit Drohnen zahlreiche russische Ölanlagen attackiert und diesen zumindest vorübergehend erhebliche Schäden zugefügt.

Allerdings weisen selbst wohlgesinnte Experten wie der ehemalige slowakische Wirtschaftsminister Karel Hirman auf die Inkonsistenz der Ukrainer hin: Sie sanktionierten Lukoil, liessen aber zu, dass die russischen Staatsfirmen Rosneft und Tatneft die verbotenen Lieferungen kompensierten. Tatsächlich beschwichtigte der CEO der ukrainischen Betreibergesellschaft Naftohas die Nachbarn mit dem Argument, es fliesse ja weiterhin die gleiche Menge Öl durch die Röhren.

Dies zeigt, dass es beim Transit von russischen Rohstoffen widersprüchliche Interessen der Ukraine gibt. Der Staat verdiente 2022 mit den Gebühren für Öl 180 Millionen Dollar, beim Gas ist es ein Mehrfaches davon. Letztes Jahr verdoppelte Kiew den Preis für die Durchleitung – um die Lieferungen für die Ostmitteleuropäer unattraktiver zu machen, aber auch aus finanziellen Überlegungen. Diese Gemengelage setzt auch ein Fragezeichen unter die ukrainische Drohung, ab 2025 den Transit russischen Gases ganz zu unterbinden.

Doch während Kiew über eigene Förderkapazitäten für Gas verfügt, haben russische Angriffe bereits zu Beginn der Invasion die Raffinerien zerstört. Bis heute leidet die Ukraine an Treibstoffmangel. Um die Ausnahmeregelung bei den Sanktionen für den Druschba-Südstrang akzeptabler zu machen, liefert die Slowakei den Ukrainern Diesel. Die wichtigste slowakische Raffinerie deckt so zehn Prozent des ukrainischen Bedarfs ab – ein Hebel, den Fico nun einsetzt.

Ungarn und die Slowakei hängen von Russland ab

In den alarmistischen Wortmeldungen aus Bratislava und Budapest vermischen sich allerdings ebenfalls Politik und Wirtschaft. Schliesslich regieren in beiden Hauptstädten Männer, die von der Kritik an Europas Unterstützung für die Ukraine leben. Sie liegen wohl auch nicht falsch in der Annahme, dass die gegen sie gerichtete Blockade eine Retourkutsche Kiews ist, weil sie sich in der Ukraine-Politik nicht in die westliche Einheitsfront einreihen wollen.

Gleichzeitig setzt vor allem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban für die Energieversorgung seiner Industrie noch stärker auf Russland als seine Vorgänger. Er pflegt enge Beziehungen mit Moskau und hat viel zu verlieren, wenn Öllieferungen ausbleiben. Russlands Angriffskrieg hat seinem Land eine durch die Energiepreise getriebene rekordhohe Inflation beschert, die ihm innenpolitisch schadet.

Die Behauptung von Ungarns Aussenminister Szijjarto, die ukrainische Lukoil-Blockade gefährde die Energiesicherheit, muss dennoch relativiert werden. Er erklärte, die Firma liefere ein Drittel des Bedarfs seines Landes und 45 Prozent jenes der Slowakei. Der ehemalige Wirtschaftsminister Hirman spricht hingegen von einem Viertel. Das kann kompensiert werden, wenn wohl auch zu höheren Kosten. Zudem erhalten die beiden Länder ja weiterhin russisches Öl.

Sie haben dennoch einen Brief an die EU-Kommission geschickt, in der sie der Ukraine einen Verstoss gegen das Assoziationsabkommen vorwerfen, das in Artikel 276 die Blockade des Energie-Transits ausschliesst. Brüssel sieht keine akute Gefährdung der Energiesicherheit und vermittelt. Medien zitieren inoffizielle Quellen, die Skepsis gegenüber der Argumentation Budapests und Bratislavas zeigen. Sie verweisen darauf, dass Artikel 472 Kiew solche Massnahmen mit Rücksicht auf die nationale Sicherheit erlaubt, besonders in Kriegszeiten.

Orban hat wenig Interesse an neuen Energiequellen

Solche juristischen Überlegungen sind zweifellos wichtig. Im Kern aber geht es um Politik: So wurden die Ausnahmen für Öllieferungen über die Druschba-Pipeline 2022 bewusst zeitlich begrenzt. Sie laufen Anfang nächsten Jahres aus und waren dafür gedacht, Ungarn, der Slowakei und Tschechien Zeit zu verschaffen, um ihre Raffinerien technisch anzupassen und alternative Lieferwege aufzubauen.

Prag hat die Zeit genutzt und wird seinen Bedarf ab 2025 über die zum Hafen von Triest führende Transalpine Pipeline decken. In Budapest und Bratislava war der politische Wille dazu viel kleiner, zweifellos auch in der Hoffnung, dass die Ausnahmen verlängert werden. Vor allem Orban zählt darauf, den Krieg auszusitzen und danach wieder normale Geschäftsbeziehungen mit Moskau zu pflegen. Die ungewisse Zukunft der Transitlieferungen von Öl und Gas durch die Ukraine zeigt, wie riskant diese Strategie ist.

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