Der Geschmack eines Menschen ist erstaunlich wandelbar. Manche Speisen und Getränke schmecken nur an bestimmten Orten und in speziellen Situationen gut. Wie kann das sein?
Kaum jemand würde bei Freunden fragen: «Hast du einen Tomatensaft für mich?» Die Lust darauf kommt ganz woanders: im Flugzeug. Aber wieso eigentlich? Und auch andere Lebensmittel schmecken je nach Situation besser oder schlechter. Seltsamerweise ist das Käsesandwich auf der Wanderung exquisit, während es als schnelles Mittagessen im Büro keine Geschmacksexplosion auslöst. Woran liegt das? Wie wir Speisen und Getränke wahrnehmen, hängt auch damit zusammen, wo wir essen, in welchem Ambiente wir das tun, wie unsere Stimmung ist und sogar wie der Luftdruck ist.
Flugzeugessen ist allzu oft ein Ärgernis. Es schmeckt, als hätte der Koch die Gewürze vergessen. Vor einigen Jahren haben Forscher des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik im Auftrag der Lufthansa untersucht, wie sich die Geschmackswahrnehmung während eines Flugs verändert. Die Studienteilnehmer assen, was im Flugzeug typischerweise serviert wird, zum Beispiel Lachs oder Geflügel mit Reis und Sauce und rote Grütze, das Dessert aus Johannis- und Himbeeren.
Bei normalem Luftdruck kam das Essen gut an. Als der Luftdruck verringert wurde, um die Verhältnisse während eines Flugs in 10 000 Metern Höhe zu simulieren, änderte sich das. Die Beschreibungen wurden geradezu vernichtend: geschmacklos, schal, sauer, zu wenig Salz. Ähnlich war es bei den Desserts. Rote Grütze schmeckte den Studienteilnehmern bei normalem Luftdruck gut. Sie beschrieben den Nachtisch als fruchtig, leicht säuerlich, erfrischend. Bei niedrigerem Luftdruck war für sie das Dessert zwar immer fruchtig, aber als sauer und schal. Die Forscher bilanzieren: Während des Flugs sinkt das Empfinden für Salziges um 20 bis 30 Prozent und für Süsses um 15 bis 20 Prozent. In einer zweiten Runde bekamen die Probanden Speisen mit deutlich mehr Salz beziehungsweise Zucker. Bei normalem Luftdruck empfanden sie diese als zu salzig, zu intensiv und zu süss. Unter Flugbedingungen waren sie damit zufrieden.
Warum das so ist, lässt sich mit der Sauerstoffsättigung im Blut erklären. Sinkt der Luftdruck, sinkt auch der Anteil Sauerstoff im Blut. In der Folge sind die Riech- und Geschmacksrezeptoren weniger leistungsfähig. Weiter führte der geringere Luftdruck gemäss der Studie dazu, dass weniger Geruchsstoffe die Rezeptoren in der Riechschleimhaut der Nase erreichen konnten. Das trübt die Wahrnehmung, denn Gerüche sind grundlegend für das Geschmacksempfinden.
Die Forscher des Fraunhofer-Instituts untersuchten auch, wie sich der Geschmack von Tomatensaft unter Flugbedingungen verändert. Die Probanden beschrieben den Geruch des Getränks bei normalem Luftdruck als erdig und muffig und den Geschmack als sauer und salzig.
Bei niedrigem Luftdruck schmeckte er ihnen besser: Auf einmal charakterisierten die Studienteilnehmer den Geruch von Tomatensaft als fruchtig und den Geschmack als süss und erfrischend.
Über den Luftdruck hinaus beeinflusst das Hintergrundrauschen während eines Flugs die Sinneswahrnehmungen. Das ergab eine Studie aus den USA im Jahr 2015. Die Teilnehmer schmeckten umami besonders intensiv, wenn sie das permanente Brummen in der Flugzeugkabine hörten.
Umami ist neben süss, salzig, sauer und bitter eine der grundlegenden Geschmacksrichtungen, die von der Zunge wahrgenommen wird. Der japanische Begriff bedeutet «wohlschmeckend». Oft wird umami auch als fleischig und vollmundig beschrieben. Auslöser dieses Geschmacks sind bestimmte Aminosäuren, allen voran Glutaminsäure und ihre Salze, die Glutamate. Tomaten enthalten, genau wie Pilze oder lang gereifter Hartkäse wie etwa Parmesan, vergleichsweise viel Glutamat. Tomate schmeckt bei Flugzeuglärm für viele Menschen besonders stark umami, was als angenehm empfunden wird – warum genau, ist unklar.
In dem kleinen Restaurant in Frankreich war der Wein geradezu perfekt? Und jetzt, zu Hause angekommen, wollen Sie die mitgebrachte Flasche mit Freunden öffnen? Dann machen Sie sich auf eine unangenehme Überraschung gefasst. Gut möglich, dass der Ferienwein auf einmal schlechter schmeckt, viel zu säuerlich oder einfach nur eindimensional. Wie kann das sein?
Wahrscheinlich liegt das vor allem an der veränderten Situation. In den Ferien seien wir weniger gestresst und deshalb «bereiter für sinnliche Genüsse als daheim», schreibt Klaus Dürrschmid, Leiter des Labors für Sensorik und Konsumentenwissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien, im Buch «Zungenbekenntnisse». Die allgemein positive Stimmung übertrage sich auf die Wahrnehmung von Speisen und Getränken. Auch die Musik im Restaurant und Faktoren wie das Licht schaffen laut Dürrschmid ein Ambiente, das den Genuss fördert.
Die Forschung gibt ihm recht. Geschmack gilt als ein multisensorisches Empfinden, an dem nicht nur Mund und Nase beteiligt sind. Studien haben gezeigt, dass Wein als schmackhafter empfunden wird, wenn man ihn bei Hintergrundmusik trinkt. Dabei sollte man darauf achten, dass das Getränk und die Musik mit ähnlichen Attributen beschrieben werden. Kräftige und schwere Klänge unterstützen das Geschmackserlebnis von kräftigen und schweren Weinen, sanfte Musik passt eher zu zarten Weinen.
Darüber hinaus fand Charles Spence, Psychologe an der Universität Oxford, heraus, dass die Raumbeleuchtung das Geschmacksempfinden beeinflusst. Besonders gut schmeckte der Wein bei rotem Licht. Womöglich hatte der rot leuchtende Abendhimmel in den Ferien ebenfalls eine positive Auswirkung auf das Geschmackserlebnis. Und es gibt Hinweise, dass auch der emotionale Zustand den Geschmack beeinflusst. Fühlen wir uns gut? Haben wir etwas Negatives erlebt?
Klaus Dürrschmid rät deshalb, den Wein auch zu Hause in einer ferienähnlichen Stimmung zu geniessen: mit passender Musik in entspannter Atmosphäre und einem Essen, das dem im französischen Restaurant ähnelt.
Der Aufstieg ist geschafft, ab in die Berghütte oder auf eine Bank, um etwas zu essen. Egal ob selbstgeschmiertes Käsebrot oder Rösti in der Alphütte – jetzt schmeckt alles viel besser als sonst. Wie kann das sein?
Das Geschmacksempfinden bei Ausflügen in der Natur ist wissenschaftlich nicht besonders gut untersucht. Auf Anfrage schreibt Sensorik-Fachmann Dürrschmid, Wandern oder auch Campen seien Situationen der Entspannung, man fokussiere dabei zudem die Sinne nach aussen. «Beides kann dazu beitragen, dass das Essen besonders intensiv erlebt wird. Aber auch die vermehrte Bewegung, das erhöhte Hunger- und Appetit-Gefühl könnten eine Rolle spielen.»
Tatsächlich zeigen Studien, dass Bewegung das Geschmacksempfinden beeinflusst. Süsses wird intensiver wahrgenommen, und die Lust auf Salziges steigt – womöglich weil man Salz ausschwitzt. Auch Hunger beeinflusst den Geschmack, wie die Forschung zeigt. Einfache Lebensmittel erscheinen plötzlich schmackhafter als sonst. Speisen, die man für gewöhnlich nicht mag, schmecken auf einmal weniger schlecht.
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