Mittwoch, November 6

Ecuador galt lange als der ruhige Pol im von Drogenkriminalität geplagten Südamerika. Doch in den letzten vier Jahren ist die Drogenmafia zu einer Gefahr für den Staat geworden.

Drogenkartelle haben in Ecuador am 9. Januar eine landesweite Gewaltwelle ausgelöst, welche die staatliche Autorität herausgefordert hat. Präsident Daniel Noboa sprach von einem «internen bewaffneten Konflikt», den das Land durchlebe. Die Gewalt war eine Reaktion der kriminellen Banden auf die Ausrufung des Ausnahmezustandes. Der Präsident hatte diesen verhängt, nachdem der wichtigste Drogenboss des Landes aus dem Gefängnis geflüchtet war.

Lange hatte sich Ecuador den schlimmen Auswirkungen von illegaler Kokainproduktion und illegalem Kokainhandel weitgehend entziehen können, welche die Länder in seiner Nachbarschaft seit vielen Jahren heimsuchen. Doch weshalb ist nun das kleine Land mit 18 Millionen Einwohnern in den Sog der Drogengewalt geraten?

Eingeklemmt zwischen Kokainproduzenten

Die beiden Nachbarländer von Ecuador, Kolumbien und Peru, sowie das an Peru angrenzende Bolivien sind weltweit praktisch ausschliesslich verantwortlich für die Produktion von Kokablättern, aus welchen das Kokain gewonnen wird. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts diente Ecuador den damals mächtigen kolumbianischen Kartellen lediglich als eine der Durchgangsrouten, um den Stoff durch das wenig besiedelte Urwaldgebiet östlich der Anden aus Peru und Bolivien nach Kolumbien zu bringen.

Das öffentliche Leben wurde dadurch kaum in Mitleidenschaft gezogen. Auch gab es keine grössere Zahl von Abhängigen im Lande. Verglichen mit dem Nachbarland Kolumbien war Ecuador, was die Drogenkriminalität anbelangt, die ruhige Insel in der Nordwestecke Südamerikas.

Doch eine Reihe von Faktoren, auf die Ecuador zum Teil kaum Einfluss hatte, haben das Land in den letzten Jahren zu einem Hotspot für den Kokainhandel gemacht. Im Jahr 2000 schaffte Ecuador seine Währung, den Sucre, ab und ersetzte ihn durch den Dollar. Damit wollte die Regierung eine schwere Finanzkrise unter Kontrolle bringen und die hohe Inflation bekämpfen.

Der Bürgerkrieg in Kolumbien bringt den Kokaanbau näher zu Ecuador

Während die Massnahme sich aus wirtschaftlicher Sicht bewährte und der Dollar bis heute die offizielle Währung ist, machte die Reform Ecuador zu einem attraktiveren Terrain für die kolumbianische Drogenmafia. Kolumbien, der weltgrösste Kokainproduzent, grenzte plötzlich an ein Land, das dieselbe Währung verwendete wie der weltgrösste Kokainmarkt, die Vereinigten Staaten. Das vereinfachte das Waschen der Einkünfte aus dem illegalen Geschäft beträchtlich.

Wenige Jahre später trug die militärische Strategie von Präsident Álvaro Uribe (2002–2010) dazu bei, dass Ecuador für die kolumbianischen Drogenhändler zusätzliche Bedeutung erlangte. Durch Uribes Offensive gegen die Guerilleros wurde die illegale Produktion von Kokablättern und Kokain in entlegenere Gebiete verschoben, insbesondere in die Urwaldregion an der Grenze zu Ecuador.

Damit erhielten die Transitrouten durch das Land grössere Bedeutung. Die Farc-Guerilla riss die Kontrolle über die Kokainproduktion in der Region an sich und öffnete Routen für den Drogenhandel via Ecuador. Bald danach begannen auch die nun führenden mexikanischen Drogenkartelle ihre Netzwerke in Ecuador aufzubauen. Die grössten kolumbianischen Kartelle waren in den 1990er Jahren zerschlagen worden, und die Mexikaner traten in ihre Fussstapfen.

Präsident Correa vernachlässigt Drogenbekämpfung

Eine bedeutende Zunahme der Aktivitäten der Drogenmafia geschah schliesslich unter der Regierung Rafael Correa (2007–2017). Der Linkspopulist führte zwar die erste stabile Regierung Ecuadors seit vielen Jahren an, doch er setzte die Sicherheitskräfte in erster Linie zur Unterstützung seiner autoritären Regierungsführung ein. Dadurch wurde nach Darstellung der Organisation Insight Crime, die über das organisierte Verbrechen in Lateinamerika forscht, die Drogenabwehr vernachlässigt.

Zudem gab es direkte Kontakte zwischen hohen Regierungsfunktionären und der in den Drogenhandel involvierten Farc-Guerilla. Experten für Drogenbekämpfung aus den USA und Europa schlugen bereits vor über zehn Jahren Alarm, dass Ecuador auf dem Weg zu einem Drogenstaat sei.

Zwei weitere Entwicklungen unter Correa begünstigten die Drogenmafia. Zwischen 1999 und 2009 war die U.S. Air Force in der Luftwaffenbasis Manta am Pazifik nördlich von Guayaquil stationiert. Sie benutzte diese, um Operationen zur Drogenbekämpfung zu unterstützen sowie für Flüge zur Überwachung der kolumbianischen Kartelle. Doch Correa erneuerte den Vertrag mit den Amerikanern nicht.

Correa versuchte zudem, bereits existierende kriminelle Jugendbanden zu bekämpfen, indem er mit ihnen verhandelte. Er unterstützte ihre Mitglieder bei Ausbildung und Arbeitssuche und versuchte sie an seine politische Bewegung zu binden. Sein Vizepräsident und Nachfolger Lenín Moreno wendete sich aber von Correa ab. Von Correa «legalisierte» Banden werden heute von Präsident Noboa als «terroristische Organisationen» bezeichnet.

Pazifikküste wird attraktiv für Drogenexport

Über Ecuadors Pazifikküste verläuft inzwischen eine der wichtigsten Exportrouten für Kokain in die USA und nach Europa. Für die USA wird die Droge in der Regel an der Küste in Motorboote verladen und von dort nach Zentralamerika oder Mexiko gebracht, von wo die Reise oft auf dem Landweg weitergeht.

Der Weg nach Europa führt zumeist über einen der grossen Häfen, hauptsächlich jenen von Guayaquil, der Wirtschaftsmetropole und grössten Stadt Ecuadors. Dazu wird das Kokain entweder insgeheim in fremden Containern deponiert oder in Containern versteckt, die Strohmännern der Drogenmafia gehören. Guayaquil und generell die Pazifikküste sind denn auch am meisten betroffen von der gegenwärtigen Gewaltwelle.

Ecuador ist auch zu einem wichtigen Umschlagplatz für Waffen geworden. Waffenhandel ist oft eine Begleiterscheinung des Drogenhandels, werden doch Drogen nicht selten mit Waffen statt mit Bargeld bezahlt. Ecuador liegt auf einer Waffenschmuggel-Route von Chile und Peru nach Kolumbien, wo insbesondere die abtrünnigen Kämpfer der aufgelösten Farc-Guerilla beliefert werden. Doch auch Ecuadors kriminelle Banden können sich aufrüsten, was auch dazu beigetragen hat, dass die Gewalt in den letzten Jahren in Ecuador sprunghaft zugenommen hat.

Schwierige Aufgabe für die Armee

Mit dem Ausnahmezustand versucht Präsident Noboa nun, die vom Drogenhandel ausgehende Gewalt unter Kontrolle zu bringen. Der Notstand gilt vorerst für zwei Monate und erlaubt der Regierung, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit der Bürger einzuschränken. Ausserdem darf nun neben der Polizei auch das Militär auf den Strassen für Sicherheit sorgen. Es muss sich zeigen, inwieweit Noboa damit Erfolg haben wird.

Sicherheitskräfte in Ecuador stellen 22 Tonnen Kokain sicher

(dpa) Sicherheitskräften in Ecuador ist ein harter Schlag gegen die Drogenkriminalität in dem südamerikanischen Land gelungen. Etwa 22 Tonnen Kokain seien in einem unterirdischen Keller in der Stadt Vinces der Provinz Los Ríos sichergestellt worden, teilte das Militär am Montag mit. «Diese Operation bedeutet eine erhebliche Schwächung der operativen, logistischen und finanziellen Kapazitäten von Drogenhändlern weltweit», schrieb das Militär über die Plattform X, ehemals Twitter. Mehr als 150 Militärstreitkräfte seien auf dem Land- und Luftweg eingetroffen, um nach mehrmonatigen Ermittlungen «die grösste Operation durchzuführen, die jemals in diesem Land durchgeführt wurde», berichtete die ecuadorianische Zeitung «El Universo».

Die Drogen seien in einem unterirdischen Keller einer Bananenplantage in einem Graben versteckt worden. Es habe sich um ein Lager für die Verteilung der Drogen an verschiedene Häfen gehandelt, von wo aus sie nach Europa verschifft werden sollten, zitierte «El Universo» den für die Operation verantwortlichen Offizier. Einige der ziegelsteinartigen Blöcke seien mit den Initialen von zwei europäischen Fluggesellschaften versehen worden. Neben den Drogen wurden unter anderem auch Gewehre, Messer, Munition und Funkgeräte beschlagnahmt.

In Mexiko und in Kolumbien ist der Einsatz des Militärs gegen die Drogenmafia keine Erfolgsgeschichte. Die ständige Zunahme von Drogenproduktion und -handel konnte dadurch nicht gestoppt werden. Die Soldaten sind für Polizeiaufgaben in der Regel schlecht vorbereitet, was immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen geführt hat. Sie sind auch ebenso korrumpierbar wie die Polizisten. Und sind Teile der Armee erst einmal von der Drogenmafia infiltriert, ist diese aus den Einheiten kaum mehr wegzubringen.

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