Mittwoch, April 2

Nach der Bundesratssitzung über ein neues Katastrophenschutzmodell für Zivilschutz und Zivildienst schrieben Medien, die Verteidigungsministerin sei ins offene Messer gelaufen. Nun zeigen unveröffentlichte Dokumente, wie es wirklich war.

Seit über einem Jahrzehnt wird an einem neuen Dienstpflichtsystem für die Schweiz gefeilt. Doch der grosse Wurf bleibt bis heute aus – trotz heikler geopolitischer Lage. Auch der jüngste Versuch scheiterte: Am Tag von Viola Amherds Rücktritt, am 15. Januar, präsentierte der Bundesrat nur einen Minimalkompromiss. Künftig soll auch für Schweizerinnen der Orientierungstag von Armee und Zivilschutz obligatorisch werden. Das vorgeschlagene Dienstpflichtmodell hingegen sei zu teuer und zu wenig zielführend. Das Verteidigungsdepartement (VBS) soll bis Ende 2027 einen Antrag «zum weiteren Vorgehen» präsentieren.

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«Wir sind irritiert und enttäuscht, dass sich der Bundesrat im Januar nicht für ein neues Dienstpflichtmodell ausgesprochen hat», sagt Alexander Krethlow, der Generalsekretär der interkantonalen Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF). Bereits im September hatte sich die Konferenz hinter den Vorschlag des VBS gestellt: eine «Sicherheitsdienstpflicht», bei der Zivildienst und Zivilschutz zu einem Katastrophenschutz zusammengelegt werden. Damit liessen sich die Personalprobleme im Zivilschutz langfristig entschärfen – dort fehlen bereits heute über 10 000 Dienstleistende.

Zwar sieht auch der Bundesrat Handlungsbedarf. Das zeigen interne Stellungnahmen aus dem Herbst 2024, die der NZZ vorliegen. Der «Blick» berichtete im Februar, Amherd sei «ins offene Messer gelaufen». Tatsächlich war das Scheitern schon vor der Bundesratssitzung absehbar.

Wirtschaftsdepartement riet offen von Vorlage ab

Das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung riet dem VBS am 11. November offen davon ab, den Bericht in der damaligen Fassung dem Bundesrat vorzulegen. Er spiegle «die politischen Präferenzen des VBS», heisst es in der Stellungnahme. Die Variante der «bedarfsorientierten Dienstpflicht» sei nicht objektiv geprüft, sondern von Anfang an abgelehnt worden. Dieses Modell hätte Männer und Frauen dienstpflichtig gemacht – aber nur so viele, wie tatsächlich gebraucht werden. Die übrigen hätten jährlich Abgaben leisten müssen.

«Es wurde genug geschrieben über Vor- und Nachteile der einzelnen Modelle», meint Krethlow und erinnert an die diversen Berichte der letzten Jahre: 2016, als noch vier Modelle vorgestellt wurden, 2021 und 2022 weitere Berichte zur Alimentierung und im Januar die vorläufig letzte «vertiefte Prüfung» von zwei Modellen sowie dem Orientierungstag für Frauen.

Tatsächlich dürfte es den anderen Departementen vor allem um eines gegangen sein: die Kosten. Ein neues Dienstpflichtsystem würde deutlich mehr kosten als bislang. Die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) schreibt von einer einmaligen Investition von 900 Millionen Franken in die Ausbildungsinfrastruktur und wiederkehrenden Kosten für Bund und Kantone von gegen einer Milliarde Franken pro Jahr. Die EFV bezweifelt, dass die Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems in einem «angemessenen Verhältnis zu den Mehrkosten steht». Die Kosten seien zu reduzieren, und dem Bundesrat sei eine «haushaltsneutrale Finanzierung» vorzulegen.

Finanzdepartement will keine Mehrkosten

Die Kosten seien natürlich abschreckend, räumt Krethlow ein. «Aber es ist unmöglich, eine tiefgreifende Reform zum Nulltarif zu realisieren.» Investitionen in Ausbildung und Infrastruktur seien nötig. «Das letzte Wort hätte das Volk», sagt er. Umso wichtiger sei es, dass der Bund nun Tempo mache – und bald eine Abstimmung anvisiere. Noch einmal Jahre zu verlieren, sei nicht hinnehmbar. Krethlow ist Co-Leiter der zuständigen Arbeitsgruppe und will die vom Bundesrat verlangte neue Prüfung «so schnell wie möglich» vorantreiben. Dies sei im Sinne der Kantone.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten schreibt in seiner Stellungnahme, dass das «ursprüngliche Ziel» die verbesserte Alimentierung der Armee gewesen sei. Mit der «Sicherheitsdienstpflicht» stehe jedoch der Zivilschutz im Vordergrund, dessen Ziele «vermutlich übererfüllt» würden. Krethlow widerspricht: Schon seit Jahren sei klar, dass der Zivilschutz zu wenig Personal habe und sein Fähigkeitsprofil erweitern müsse. Ausserdem dürften die beiden Organisationen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Denn Armee und Zivilschutz müssten sich auf eine «brandgefährliche sicherheitspolitische Lage» vorbereiten, im schlimmsten Fall auf Krieg: «Dabei sitzen sie im selben Boot.»

Nachgerüstet wird derzeit vor allem bei der Armee. Am Wochenende schlug der Bevölkerungsschutz Alarm. Es brauche grosse Schritte nach vorne, meinten Zivilschutzkader in der «NZZ am Sonntag». Sie sprachen eine Warnung aus: «Wir könnten die Schweizer Bevölkerung im Kriegsfall kaum schützen.» Auch sei unsicher, ob das komplizierte System über mehrere Staatsebenen im grossen Katastrophenfall funktionieren würde.

Auch Krethlow, ein Historiker, macht sich Sorgen. Es scheine in der Natur der Schweizer zu liegen, sich in Sicherheit zu wiegen. Doch: «Krieg ist in der Geschichte oft überraschend eingetreten», sagt er.

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