Da der deutsche Kanzler keine Taurus-Marschflugkörper senden will, lanciert der französische Präsident eine Debatte über den Einsatz von westlichen Bodentruppen. Er sticht damit in ein Wespennest.
Zu Beginn des dritten Kriegsjahres in der Ukraine hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wieder einmal ein Wahrnehmungsproblem ausgemacht. In der breiten Öffentlichkeit herrsche derzeit beim Gedanken an den Krieg gegen Russland Untergangsstimmung, dem wolle man entschieden entgegentreten, erklärte Macron. Deshalb beraumte der französische Präsident für den Montagabend kurzfristig eine Hilfskonferenz für die Ukraine an. Mehr als zwanzig Staats- und Regierungschefs nahmen an der Veranstaltung in Paris teil.
Im Anschluss bestätigte Macron auf Nachfrage von Medienvertretern, dass die Runde auch darüber beraten habe, ob westliche Bodentruppen dereinst in der Ukraine zum Einsatz kommen könnten. «Es sollte nichts ausgeschlossen werden», sagte Macron, der allerdings keine Auskunft darüber geben wollte, welche Länder eine Entsendung von Truppen befürworteten.
Auch Frankreich wolle sich nicht festlegen, sondern bevorzuge in dieser Frage eine «strategische Zweideutigkeit», so der Präsident, der auf die offene Debatte verwies: «Es gibt heute keinen Konsens, offiziell Bodentruppen zu entsenden, aber wir werden alles tun, was nötig ist, um sicherzustellen, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.» Es war das erste Mal, dass Macron den Einsatz von westlichen Soldaten auf dem Kriegsgebiet überhaupt öffentlich ansprach.
Die Antwort aus Moskau liess nicht lange auf sich warten. Sollte der Westen Soldaten in das Kriegsgebiet schicken, müsste Russland nicht über die Wahrscheinlichkeit, sondern über die Unvermeidbarkeit eines Krieges sprechen, liess Putin am Dienstag über einen Pressesprecher mitteilen.
Die Debatte über Bodentruppen schreckt auf
Allerdings war es nicht etwa der französische Präsident gewesen, der als Erstes öffentlich über diese Idee gesprochen hatte. Im Vorfeld des Treffens bestätigte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico gegenüber Medien, dass eine Reihe von Nato- und EU-Mitgliedstaaten die Entsendung von Truppen in die Ukraine auf bilateraler Basis in Betracht zögen.
Er könne nicht sagen, zu welchem Zweck dies erfolgen solle und was sie dort tun sollten, sagte Fico und fügte hinzu, dass die Slowakei keine Soldaten in die Ukraine schicken werde. Fico war in der Vergangenheit durch harte Kritik an den Milliardenhilfen für das kriegsversehrte Land aufgefallen. Den Krieg und seine Folgen sieht er vorwiegend als Bedrohung für den Wohlstand seiner Landsleute an und schrieb der Nato und der EU eine Mitverantwortung für den Konflikt mit Russland zu.
Am Dienstag erteilten auch Tschechien und Polen der Idee, eigene Soldaten in die Ukraine zu schicken, eine klare Absage. «Ich denke, dass wir heute auch nicht darüber spekulieren sollten, ob es Umstände geben wird, die diese Position ändern könnten», sagte Polens Regierungschef Donald Tusk. Die Länder gehören sonst zu den tatkräftigsten Unterstützern der Ukraine, sowohl bei der Waffenhilfe als auch, was die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen betrifft.
«Nie, nie», hiess es immer wieder
In seinen Äusserungen am Montag erinnerte Macron daran, dass sich die Grenzen des Möglichen in den Diskussionen der westlichen Länder zur Unterstützung des angegriffenen Landes schon mehrfach verändert hätten. «Viele derjenigen, die heute ‹nie, nie› sagen, waren dieselben, die zuvor sagten: ‹Nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge.›» Eine spitze Bemerkung, die an Deutschland gerichtet gewesen sein dürfte.
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte der dringenden Forderung der Ukraine nach Taurus-Marschflugkörpern mit einer grossen Reichweite eine Absage erteilt und dies damit begründet, dass das Risiko zu hoch sei, dass Deutschland damit als Kriegspartei wahrgenommen werde. Frankreich liefert bereits weitreichende Marschflugkörper vom Typ Scalp. Scholz schloss am Dienstag auch aus, dass deutsche Bodentruppen in der Ukraine eingesetzt werden.
Berlin und Paris schieben sich seit Kriegsausbruch die Rolle des grossen Zögerers gegenseitig zu und streiten darüber, wer von den grossen Volkswirtschaften in Europa der Ukraine mehr Waffenhilfe leistet. Laut den jüngsten Zahlen des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft (IfW) zeigt sich Deutschland deutlich grosszügiger als Frankreich.
Die westliche Hilfe für die Ukraine hat Grenzen
In den zwei vergangenen Kriegsjahren waren es jedoch nicht nur die grossen Führungsnationen der EU, deren Unterstützung immer wieder Grenzen kannte. Auch die USA, die mit Waffenhilfe im Wert von über 41 Milliarden Franken weltweit die grössten Unterstützer der Ukraine sind, zögerten beispielsweise bei der Lieferung der ballistischen Kurzstreckenraketen des Typs Atacms mit einer Reichweite von 165 Kilometern.
Als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski die Nato angesichts der eklatanten Übermacht der russischen Luftwaffe darum bat, mit Nato-Flugzeugen eine «No-Fly-Zone» über der Ukraine zu etablieren, erteilte Washington diesem Ansinnen eine Absage, weil dies einer aktiven Kriegsteilnahme entsprochen hätte.
Alle westlichen Unterstützer der Ukraine haben bisher streng darauf geachtet, dass eigenes Personal bei Waffenlieferungen, Reparaturen oder militärischen Ausbildungsmissionen nicht auf ukrainischem Territorium zum Einsatz kommt. Die aktive Kriegsteilnahme ist bis anhin für die westlichen Unterstützer der Ukraine eine rote Linie – auch für Frankreich. Der renommierte amerikanische Think-Tank Rand Corporation 2021 attestierte dem Land zwar noch, dass es stark genug sei, den USA bei einem Krieg in Osteuropa zur Seite zu stehen, allerdings seien die französischen Streitkräfte nicht in der Verfassung, einen langen Krieg durchzustehen.
Paris bewegte sich bei der Hilfskonferenz am Montag aber in einem anderen für die Ukraine essenziellen Bereich. Macron kündigte an, dass sich Frankreich an der tschechischen Initiative, Artilleriemunition ausserhalb der EU einzukaufen, beteiligen werde. Tschechien will der Ukraine so 800 000 Artilleriegranaten sichern. Am Montag habe er grosse Unterstützung für den Plan erhalten, erklärte Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala.
Ursprünglich war es Macron gewesen, der darauf gedrängt hatte, dass Europa die Artilleriemunition selber produzieren müsse. Bis jetzt bleibt Europa deutlich hinter seinen Versprechen zurück. Das zeigt sich daran, dass laut dem ukrainischen Präsidenten Selenski erst dreissig Prozent der von der EU versprochenen einen Million Artilleriegranaten in der Ukraine eingetroffen sind.