Montag, Oktober 7

Die erneute Sparrunde der Zürcher Mediengruppe trifft auch die Romandie: Eine Druckerei schliesst, die Zukunft der «Tribune de Genève» ist offen. Liberale Regierungschefinnen fragen sich, wie das mit den Gewinnen des Konzerns zusammenpasst.

Zuweilen beäugen sich die beiden bevölkerungsreichsten Westschweizer Kantone Waadt und Genf mit einem gewissen Naserümpfen. Doch die «Bestürzung» über den erneuten Sparplan von Tamedia vom Dienstag lässt die Konkurrenten mit einer Stimme sprechen. Beide Kantone befürchten eine weiter ausgedünnte Berichterstattung in der und für die Romandie, wie sie gleichentags in Communiqués betonten. Sie verlangen deshalb ein «dringendes Treffen» mit der Zürcher Mediengruppe.

Am Mittwoch doppelten die FDP-Regierungschefinnen der Waadt und von Genf in der Morgensendung von Radio RTS 1 mit deutlichen Worten nach. Tamedia behandle seine Medientitel «wie ein gewöhnliches Konsumgut», sagte die Genferin Nathalie Fontanet, die unter anderem kritisch auf die Dividendenausschüttungen des Mutterkonzerns TX Group verwies.

TX Group bekam indirekte Medienförderung

Ihre Waadtländer Kollegin Christelle Luisier bestätigte, dass TX von der indirekten Medienförderung des Kantons profitiert habe – was «selbstverständlich Fragen aufwirft» im Fall eines Konzerns, der zugleich Gewinne mache und Massenentlassungen verkünde. TX habe sich jedoch dieses Jahr praktisch aus der gesamten kantonalen Medienförderung zurückgezogen, sagte Luisier weiter.

Die Mediengruppe hatte die Schliessung der Druckereien in Zürich und Bussigny bei Lausanne mit zusammen 200 Stellen verkündet; nur die Druckerei in Bern soll erhalten bleiben. Zudem würden weitere 90 Stellen in Medien gestrichen – wo und wann, liess Tamedia offen. In der Romandie gehören dem Unternehmen die Titel «24 heures», «Tribune de Genève», «Le Matin Dimanche» und «20 minutes».

Die Waadtländer Regierungschefin Luisier erinnerte am Radio daran, dass Tamedia bereits vergangenes Jahr in der Romandie 28 Stellen in Westschweizer Redaktionen gestrichen hatte. Damals habe Tamedia den Kanton noch vorab über seine Sparpläne informiert – jetzt nicht mehr. Zudem habe Tamedia 2023 dem Kanton versichert, dass die damaligen Einsparungen Teil einer «Restrukturierungsstrategie» seien mit dem Ziel, das Angebot in der Romandie aufrechtzuerhalten.

Nach der erneuten Sparrunde fühlen sich Luisier und ihre Genfer Kollegin Fontanet offensichtlich von Tamedia verschaukelt. Bezeichnenderweise sprachen beide von Tamedias «Strategie» nur in Anführungszeichen, wie sie jeweils betonten. Gewinne machen und sich «nicht um die Rolle der Presse in unserer Demokratie» kümmern, sagte Fontanet, das passe nicht zusammen.

Die Regierungschefinnen verdeutlichten die bereits absehbaren Folgen des Sparplans, den Tamedia bis anhin noch recht vage kommuniziert. Die Waadtländerin Luisier verwies darauf, dass bereits heute viele Politik-Artikel im Lausanner Blatt «24 heures» Übersetzungen aus dem Deutschen seien. Dabei gehe die welsche Perspektive verloren, sagte Luisier sinngemäss. Und wie könne ein Westschweizer Parlamentarier in Bern sich so Gehör verschaffen?

Die Genfer Regierungsrätin Fontanet nannte zwei weitere Folgen des Sparplans. Erstens: Wenn Westschweizer Zeitungen künftig in Bern gedruckt würden, dann bedeute das für sie einen früheren Redaktionsschluss, sprich: weniger aktuelle Ausgaben am nächsten Morgen.

Zweitens fürchte ihr Kanton um die Zukunft der «Tribune de Genève», sagte Fontanet. «Wir machen uns nichts vor»: Einerseits versichere Tamedia, dass die «Tribune» erhalten bleibe, andererseits werde klar verkündet, dass das Blatt keine Priorität mehr habe. Tatsächlich erwähnte Tamedia in seinem Communiqué vom Dienstag als einzigen Westschweizer Antreiber für das künftige «digitale Wachstum» die Marke «24 heures».

Westschweizer Regierungskonferenz sieht ernsthafte Gefahr

Über Genf und die Waadt hinaus hat die gesamte Romandie Position zu Tamedias Sparplan bezogen. Das Communiqué der Westschweizer Regierungskonferenz vom Dienstag wird grundsätzlich: Tamedias Entscheid sei ein erneuter Schlag gegen den Informationszugang. Die Vielfalt in der welschen Medienlandschaft sei «sehr ernsthaft gefährdet».

Die Regierungskonferenz werde die weiteren Entwicklungen in der Romandie und der gesamten Schweiz genau beobachten, hiess es weiter. Sie werde darauf achten, dass «Tamedia seiner gesellschaftlichen und unternehmerischen Verantwortung» vollumfänglich nachkomme – in diesem «für Demokratie und nationalen Zusammenhalt wesentlichen Bereich».

Das drohende Auseinanderdriften der Sprachregionen wurde in mehreren Westschweizer Reaktionen auf die Tamedia-Einsparungen thematisiert. Dominique Botti, Journalist bei «24 heures» und Sprecher der Belegschaft von Tamedia Publications Romandes, sagte am Radio RTS: «Noch vor einem Jahr war Tamedia eine grosse, geeinte, eidgenössische, helvetische, zweisprachige Familie.» Dann kamen die Ankündigungen vom Dienstag. Sie zeigten, «dass sich Zürich von der Westschweiz entfernt», allein schon weil die Einsparungen auch in der Romandie auf Deutsch kommuniziert worden seien.

Das Wort «Röstigraben» fiel bei Botti explizit, in einem Leitartikel der Genfer Zeitung «Le Temps» implizit. Tamedias Sparplan sei eine Ohrfeige für die welsche Schweiz. «Denn – auch wenn es den in der Deutschschweiz sitzenden Chefs nicht passt –: Die welsche Schweiz, das sind eine [eigene] Sprache, Wurzeln, Praktiken und Leute.»

FDP-Politikerin erwähnt Verkauf von Tamedia-Titeln

Als Beispiel dafür erwähnte die Chefredaktorin von «Le Temps» eine Anekdote von 2013. Als Tamedia damals bereits in der Romandie Einsparungen verkündet habe, habe sich die Deutschschweizer Geschäftsleitung darüber gewundert, dass in der Waadt ein liberales Mitglied der Kantonsregierung gemeinsam mit Gewerkschaften dagegen protestiert habe. «Kulturschock», resümierte die Chefredaktorin.

Und nun? Bei allem Ärger über die Bosse ennet der Saane brachte die Genfer Regierungschefin Fontanet mit rhetorischen Fragen Vorschläge ins Gespräch, wie die Westschweizer Lokalmedien gerettet werden könnten: indem sie von Privaten, Vereinen oder Stiftungen übernommen würden. Derlei Überlegungen müssten jedoch von privaten Akteuren kommen, betonte die Liberale, nicht aus der Politik.

Exit mobile version