China und die USA wollen zum Mond – und mit ihnen zahlreiche private Firmen. Die Weltraumrechtlerin Michelle Hanlon erklärt im Gespräch, warum wir ungenügend auf diese Situation vorbereitet sind.
Michelle Hanlon, in einem Meinungsbeitrag für die «New York Times» haben Sie kürzlich folgenden Satz geschrieben: «Ich glaube, dass wir eine Zukunft gestalten können, in der der Weltraum für alle zugänglich ist, in der der Mond ein Ort der friedlichen Zusammenarbeit ist.» Ist das nicht eine recht optimistische Sicht der Dinge?
Das ist eine sehr optimistische Sichtweise, aber meiner Meinung nach auch eine sehr realistische. Ich glaube nicht, dass der Frieden im Weltraum sofort eintreten wird, aber er wird mit der Zeit kommen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wir auf der Erde keinen Frieden finden werden, wenn es uns nicht gelingt, im Weltraum friedlich zu kooperieren.
Zur Person
Michelle Hanlon
Die amerikanische Juristin ist geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Luft- und Weltraumrecht an der Universität Mississippi. 2017 gründete sie mit ihrem Mann die gemeinnützige Organisation «For All Moonkind», die für den Schutz unseres kulturellen Erbes im Weltraum kämpft. Als Forscherin und Anwältin setzt sie sich dafür ein, dass die Erkundung des Weltraums verantwortungsvoll und nachhaltig erfolgt.
Im Moment sehen wir allerdings mehr Konfrontation als Kooperation. Der Nasa-Administrator Bill Nelson sagt immer wieder, dass die USA vor China auf dem Mond landen müssten. Warum diese Eile?
Das liegt am Weltraumvertrag von 1967. Dieser besagt, dass der Weltraum frei und für alle zugänglich sein soll. Aber es gibt drei Einschränkungen. Die erste ist, dass der Mond und andere Himmelskörper ausschliesslich für friedliche Zwecke genutzt werden dürfen. Die zweite ist, dass, wenn man eine Anlage auf dem Mond hat, andere diese respektieren müssen. Und die dritte ist, dass man bei seinen Aktivitäten gebührend die Interessen anderer berücksichtigen muss. Was wir also unbeabsichtigt geschaffen haben, ist ein Vorteil für den, der zuerst kommt, weil wir keine Definitionen dafür haben, was eine Anlage ist oder was gebührende Rücksichtnahme bedeutet.
Können Sie ein Beispiel geben?
Wer zuerst auf dem Mond ist, könnte sagen: Der Mondstaub um unsere Anlage herum hat gefährliche Eigenschaften. Wir brauchen eine 20-Kilometer-Sicherheitszone, um Schäden zu vermeiden, also kommt uns nicht zu nahe. Es ist sehr schwierig, dies nach internationalem Recht anzufechten. Aus diesem Grund ist der Erste in der Lage, die Regeln zu machen.
Sie haben an der ETH Zürich kürzlich einen Vortrag mit dem Titel «Wem gehört der Mond?» gehalten. Gibt es darauf eine juristische Antwort?
Tatsächlich gibt es zwei mögliche Antworten, die sich auf das römische Recht zurückführen lassen. Res nullis bedeutet, dass eine Sache niemandem gehört und wir deshalb Anspruch auf sie erheben können. Dies geschah, als Christoph Kolumbus und andere Amerika eroberten. Die gegenteilige Ansicht heisst res communis. Es bedeutet, dass eine Sache allen gehört. Jeder trägt also die gleiche Verantwortung, und niemand kann ein Recht darauf beanspruchen. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen basiert zum Beispiel auf res communis.
Und auf welchen Standpunkt stellt sich der Weltraumvertrag aus dem Jahr 1967?
Der Weltraumvertrag besagt, dass die Erforschung und Nutzung des Weltraums Sache der gesamten Menschheit ist. Das ist etwas weniger, als wenn er allen gehört. Aber was bedeutet das für das Eigentumsrecht? Das ist es, was wir zu interpretieren und zu verstehen versuchen.
Das ruft nach einer Überarbeitung des Weltraumvertrags. Doch alle Versuche, ihn der Zeit anzupassen, sind bisher gescheitert. Warum?
Das grössere Problem sind Angst und Misstrauen. Niemand will etwas reglementieren, was es noch nicht gibt. Die grossen Raumfahrtnationen wollen sich nicht mit Gesetzen binden, die ihren Zielen im Wege stehen.
Stattdessen haben die USA und ihre Partner den Artemis-Vertrag unterzeichnet. In diesem Abkommen werden Grundsätze für die Erforschung des Mondes und anderer Objekte im Weltraum festgelegt. Der Vertrag besagt, dass die Nutzung von Ressourcen akzeptabel ist, da sie keine nationale Aneignung darstellt. Ist das Konsens?
Ja. Selbst China hat bei den Vereinten Nationen eine Erklärung abgegeben, dass die Gewinnung und Nutzung von Ressourcen nicht gegen den Weltraumvertrag verstösst.
Dennoch löste das Artemis-Abkommen einen internationalen Aufschrei aus.
Das Artemis-Abkommen wurde angegriffen, weil es ausserhalb des Rahmens der Uno abgeschlossen wurde. Für mich ist das Abkommen ein Versuch, das Recht voranzubringen. Das Uno-System arbeitet langsam. Vielleicht ist dies eine Möglichkeit, es in Schwung zu bringen. Das ist in der Tat bereits geschehen. Die Uno hat eine Arbeitsgruppe zur Nutzung von Weltraumressourcen eingerichtet.
Als Präsidentin der gemeinnützigen Organisation «For All Moonkind» können Sie ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, mit raumfahrenden Nationen zu verhandeln. Sie kämpfen für einen Vertrag zum Schutz des menschlichen Erbes im Weltraum, zum Beispiel des Fussabdrucks von Neil Armstrong. Was haben Sie erreicht?
Als ich 2017 zusammen mit meinem Mann «For All Moonkind» gegründet habe, dachten wir, dass wir 2019 arbeitslos sein würden, weil dieses Erbe rechtzeitig zum 50. Jahrestag der ersten Mondlandung unter Schutz gestellt sein würde. Ich bin Anwältin. Ich schliesse Geschäfte ab. Aber wir haben immer noch keinen Vertrag über den Schutz des Kulturerbes. Aber zumindest konnte ich das Aussenministerium der Vereinigten Staaten davon überzeugen, das kulturelle Erbe im Weltraum zum ersten Mal anzuerkennen. Abschnitt 9 des Artemis-Abkommens besagt, dass die Unterzeichner beabsichtigen, das Weltraumerbe zu schützen.
Aber das Artemis-Abkommen ist nicht bindend.
Wir müssen geduldig sein. Ich nehme seit 2018 an den Sitzungen des Uno-Ausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums teil. Anfangs wurde das kulturelle Erbe noch nicht einmal erwähnt. Inzwischen gibt es sechs oder sieben Nationen, die den Schutz des kulturellen Erbes für wichtig halten. Im Schneckentempo der Uno haben wir also in sechs Jahren enorme Fortschritte gemacht.
Auf dem Mond gibt es mehr als hundert Orte, die auf menschliche Aktivitäten hinweisen. Sollten die alle geschützt werden, wie Tiere in einem Zoo?
Wir müssen nicht alles bewahren. Wir brauchen Standards, um zu entscheiden, welches Erbe geschützt werden muss. Und diese Standards sollten von einem internationalen Gremium festgelegt werden.
Würden Sie zustimmen, dass der Schutz unseres kulturellen Erbes nicht das drängendste Problem ist, das wir im Weltraum haben?
Es mag als kleines Problem angesehen werden, aber es gibt eine sehr unmittelbare und vielleicht sehr bedeutende Lösung. Lassen Sie uns als internationale Gemeinschaft anerkennen, dass die Landestellen von Apollo 11, Luna 2 oder Chang’e 4 etwas Besonderes sind. Das ist ein kleiner Schritt. Aber er hätte eine sehr grosse Wirkung, denn das wäre das erste verbindliche Abkommen über den Weltraum seit den 1970er Jahren. Lassen Sie uns klein anfangen und dann darauf aufbauen, so wie wir es mit der Welterbekonvention getan haben. Sie begann mit einer internationalen Kampagne zur Rettung von Gebäuden, die durch den Bau des Assuan-Staudamms in Ägypten bedroht wurden.
Eines dieser drängenden Probleme ist die Frage, wie die Raumfahrtaktivitäten privater Unternehmen geregelt werden können. Sie beraten mehrere Startups. Sind die mit der derzeitigen Situation zufrieden?
Die wünschen sich mehr Regulierung. Im Moment gibt es zu viel Unsicherheit. Nehmen wir an, ein Unternehmen hat einen Weg gefunden, das Regolith des Mondes in Gold zu verwandeln. Jeder Investor würde fragen: Erlaubt Ihnen das Gesetz das? Wenn es keine Vorschriften gibt, werde ich nicht in Sie investieren. Was ich immer wieder von Investoren höre, ist: Gebt mir einen rechtlichen Rahmen, an den ich mich halten kann.
Aber das wird so bald nicht geschehen. Wird das private Unternehmen davon abhalten, ins All zu fliegen?
Nein. Ich denke, wir werden mehr und mehr private Investitionen in den Weltraum sehen. Wir sprechen darüber, dass Elon Musk zum Mars fliegen will. Er ist der Milliardär, über den jetzt alle reden. Aber es gibt viele Menschen, die davon träumen, Siedlungen im Weltraum aufzubauen. Ich glaube also, dass Unternehmen Normen schaffen werden. Und diese Normen werden verbindlich werden.
Die Regeln werden also nicht mehr von Staaten unter dem Dach der Uno gemacht?
Möglicherweise wird es Mischformen geben. Aber private Firmen werden ein Wort mitreden wollen. Schliesslich sind sie es, die einen massgeblichen Teil der Kosten tragen. Die Regierungen können sich das auf Dauer nicht leisten.
Wir haben am Anfang über das Wettrennen zum Mond geredet. Wer wird Ihrer Meinung nach zuerst dort oben landen?
Ich glaube, China wird zuerst Menschen auf den Mond bringen. Im Gegensatz zu den USA hat China noch nie einen Termin im Weltraum verpasst. Vielleicht ändere ich meine Meinung, wenn ich sehe, was die neue Regierung mit der Nasa macht. In einer perfekten Welt würden China und die USA zur gleichen Zeit auf dem Mond landen, und wir hätten zwei Stationen am Südpol. Und diese beiden Stationen beginnen miteinander zu arbeiten. Das würde auch ein gutes Verhältnis auf der Erde fördern.