Montag, Oktober 21

You.com versteht sich als die KI-Suchmaschine für die Wissenschaft und die Geschäftswelt. Sie will besser und korrekter sein als die anderen. Gelingt ihr das auch?

Als am 29. Juni 2007 das iPhone auf den Markt kommt, dauert es nicht lange, und alle grossen Tech-Unternehmen stellen Smartphones her. Wer den Absprung auf die neue Technologie verpasst, wird von den anderen überholt.

Die Einführung grosser Innovationen verläuft immer ähnlich: Es wird etwas Neues erfunden, das den Markt von Grund auf verändert. Andere ziehen nach, wollen auch dabei sein. Es kommt zu einer Differenzierung, verschiedene Produkte werden für verschiedene Kundengruppen entwickelt.

Das iPhone dieses Jahrzehnts ist Chat-GPT. Und die Anbieter von künstlicher Intelligenz (KI) befinden sich in einer Phase des Konkurrenzkampfs. Claude von Anthropic, Co-Pilot von Microsoft, Perplexity – sie alle versuchen, ihre Nischen im Markt zu finden.

Die KI-Suchmaschine für die Geschäftswelt

Einer dieser KI-Anbieter ist das amerikanische Unternehmen You.com. Dabei handelt es sich, ähnlich wie bei Perplexity, um eine intelligente Suchmaschine, die KI-Chatbot und Suchfunktion miteinander verknüpft und digitale Inhalte zusammenfasst. Ihre Spezialität: Sie fokussiert sich auf Universitäten, Biotechnologieunternehmen oder Nachrichtenagenturen – also alle, die in irgendeiner Form mit Wissen arbeiten. Die Zielgruppe sind dabei vor allem Unternehmen.

«Für Fragen wie: ‹Wer hat das Fussballspiel gewonnen?› oder: ‹Wie alt ist Trump?› ist Google gut genug», sagt Richard Socher, CEO und Mitgründer von You.com. Socher ist 41 und kommt ursprünglich aus Ostdeutschland, hat erst in Leipzig und dann in Princeton und Stanford studiert und lebt heute in Kalifornien.

Google sei besonders gut darin, auf einfache Suchanfragen einzugehen, sagt Socher. You.com wolle da ansetzen, wo es komplizierter werde. Wo Menschen normalerweise Dutzende Google-Suchen durchführen und lang recherchieren müssten, um zu einer Antwort zu gelangen. «You.com übernimmt diese Suchen für sie und spielt ihnen eine komplexe, aber nützliche Antwort aus. Damit wollen wir Unternehmen produktiver machen.»

Deal mit deutscher Nachrichtenagentur

Im Vergleich zu Branchengrössen wie Chat-GPT ist You.com mit einer Milliarde Aufrufen seit seiner Markteinführung im Jahr 2021 noch klein. Zum Vergleich: Chat-GPT kam allein im letzten Monat auf über drei Milliarden Aufrufe.

You.com gewinnt aber im europäischen Markt an Präsenz. Erst am Donnerstag hat das Unternehmen bekanntgegeben, künftig mit der grössten deutschen Nachrichtenagentur, DPA, zusammenzuarbeiten. Das Geschäftsmodell von You.com basiert hierbei auf Abonnements und Lizenzverträgen mit Unternehmen. Auf Werbeeinnahmen wolle man verzichten, sagt Socher. In seiner letzten Finanzierungsrunde hat das Unternehmen 50 Millionen Dollar eingesammelt, unter den Investoren ist auch der KI-Chip-Hersteller Nvidia.

Von anderen Suchmaschinen unterscheide sich You.com durch seine Genauigkeit, sagt der CEO Richard Socher. Es spiele nicht nur eine zusammenfassende Antwort aus, sondern konzentriere sich auf präzise Zitate und gute Quellenangaben. «Man muss die Quellen nachverfolgen können, und sie müssen stimmen.»

You.com will korrekter sein als die anderen

«Wir haben bemerkt, dass viele unserer Wettbewerber nicht die gleiche Genauigkeit haben wie wir. Oftmals findet man bei ihnen sogar gefälschte Zitate.» Man klicke auf die Fussnote, die auf die Quelle verweise – und in der Hälfte der Fälle habe sie nichts mit dem eigentlichen Inhalt zu tun.

Auf die Frage, warum sich diese Technologiefirmen so verhielten, sagt Socher: «Einige unserer Konkurrenten versuchen verzweifelt, sich als das nächste Google darzustellen.» Sie würden auf jede erdenkliche Weise Klicks generieren wollen, ohne Bedenken. «Sie stehlen Inhalte und nutzen sie dann für die Suchmaschinenoptimierung, um mehr Seitenaufrufe zu bekommen.»

You.com will also besser sein. Korrekter als die anderen.

Ist es das?

Auch You.com verweist auf Falschinformationen

You.com weist seine Quellen aus. Wenn man eine Frage stellt, kann man direkt auf den Link klicken und wird genau an die Stelle im Text weitergeleitet, von der die Information stammt. You.com verweist hierbei aber oft auf Wikipedia, eine Seite, die von jedem mitgestaltet werden kann. Ausserdem bezieht es sich auch auf Nutzerforen wie Reddit, in denen Falschinformationen kursieren können.

Dass es auch You.com passieren kann, auf falsche Inhalte zu verweisen, hat die «FAZ» getestet. Grundlage des Tests war ein fiktiver Fisch, die «Hommingberger Gepardenforelle». Sie wurde 2005 von der Computerzeitschrift «c’t» erfunden, um damit nach allen Regeln der Kunst Kriterien der Suchmaschinenoptimierung anzuwenden – als Internet-Experiment. Die Forelle wurde darauf für kurze Zeit berühmt und auf einer Vielzahl von Websites erwähnt. Die «FAZ» testete also, ob You.com auf den falschen Fisch hereinfällt. Und tatsächlich: You.com erfand zur erfundenen Forelle einen ausgeschmückten Text.

You.com macht also selber auch Fehler. Hinzu kommt eine weitere Frage, die auch bei anderen KI-Anwendungen gestellt wird: ob es nicht eine Verletzung des Urheberrechts ist, wenn Anwendungen fremde Inhalte zusammenfassen und auf ihren Sites präsentieren.

Ein Fehler im Rechtssystem

Richard Socher sagt dazu: «Wir stehlen keine Inhalte und geben sie als unsere eigenen aus. Das ist nicht unser Weg.» You.com stellt sich auf den Standpunkt, dass man durch die Angabe der Quellen dem Urheberrecht Folge leiste. Diese Begründung ist umstritten.

Mariana Valente, Expertin für Technologie und Recht an der Universität St. Gallen, sagt dazu: «Solange man zusammenfasst und nicht kopiert und die Quellen richtig angibt, ist das per se noch keine Urheberrechtsverletzung.» Im grossen Stil aber fremde Inhalte zusammenzufassen und ein Geschäftsmodell zu entwerfen, das auf dem Zitieren von Quellen basiere – das gehe über die ursprüngliche Funktion des Rechts zum Zitieren hinaus. Dieses sei auf einzelne Fälle zugeschnitten worden, mit der Idee, Wissen teilbar zu machen.

In Bezug auf die neuen KI-Geschäftsmodelle sagt Valente: «Wir müssen uns fragen, ob das ganze Rechtssystem in dieser Frage überdacht werden muss.»

Für Anbieter wie You.com wäre das ein Problem. Bis es so weit ist, werden sie weiterhin versuchen, ihre Nische im Markt der KI-Web-Suche zu finden.

Exit mobile version