Samstag, November 23

Der Gründer Adam Neumann baute um das Coworking-Startup ein Luftschloss. Nun zerschellen die Überreste seiner Vision auf dem harten Boden der Realität.

Im Januar 2019 versammelten sich die Angestellten von Wework zum jährlichen, für alle obligatorischen Firmengipfel in Los Angeles. Mit Auftritten von den Red Hot Chili Peppers, Sean «Diddy» Combs und Ashton Kutcher war der Anlass weniger Retraite und viel mehr ein ausuferndes Partywochenende.

Es gab auch einiges zu feiern. Wework galt – nach einem Investment von Softbank – mit einer Bewertung von 47 Milliarden Dollar als wertvollstes Startup der Vereinigten Staaten. Ein erstaunlich hoher Wert für ein Unternehmen, das im Grunde lediglich Büroräume vermietet.

Für Adam Neumann, einen der Gründer von Wework, ging es jedoch immer um mehr. Wie jedes Jahr betrat Neumann auch in Los Angeles die Bühne, um eine grosse Ankündigung zu machen: «Es gibt mehr als 150 Millionen Waisenkinder in der Welt. Wir wollen dieses Problem lösen und ihnen eine neue Familie geben: die Wework-Familie.» Das Startup verfolge eine einzige, allumfassende Vision, verkündete Neumann: «Das Bewusstsein der Welt auf eine neue Stufe heben.» Alles schien bereit für einen grossen Börsengang im Herbst 2019.

Vier Jahre und eine Pandemie später ist von der luftigen Vision nicht mehr viel übrig. Der angepeilte Börsengang wurde abgeblasen, und Neumann musste seinen Posten räumen. Die Bewertung ist bis Anfang November 2023 auf mickrige 65 Millionen Dollar geschrumpft. Am Montagabend hat Wework im Gliedstaat New Jersey Insolvenzschutz beantragt.

Coworking mit dem Anspruch, die Welt zu verändern

Wework wurde 2010 in New York gegründet. Adam Neumann, geboren in Israel und seit knapp zehn Jahren in der Stadt, hatte sein Studium gerade abgebrochen und versuchte sich als Gründer. Seine Startup-Ideen – ein Damenschuh mit umklappbarem Absatz und die Babymodemarke Krawlers – erwiesen sich als Flops. Er war dringend auf Geld angewiesen und vermietete in der Not die Räumlichkeiten von Krawlers in Brooklyn an eine andere Firma unter.

Die Idee für Wework war geboren. Nach der Finanzkrise 2008 gab es viele freie Büroflächen in New York, die günstig zu haben waren. Gleichzeitig versuchten viele unbeschäftigte Fachkräfte, wieder auf die Füsse zu kommen. Viele von ihnen waren bereit, für eine attraktive Arbeitsumgebung etwas zu zahlen, anstatt in einem Café zu arbeiten.

Neumann tat sich mit Miguel McKelvey, einem Architekten aus Oregon, zusammen, und gemeinsam überzeugten sie ihren Vermieter, ihnen eine leerstehende Etage für einen Coworking-Space zur Verfügung zu stellen. Nach einem Jahr verkauften sie die Firma an den Vermieter für drei Millionen Dollar und bauten Wework auf.

Die Wework-Filialen versprühten einen Mix aus Silicon-Valley-Ästhetik und Boutiquehotel-Charme. Es dominierten klare Linien und dänisches Design, an den Wänden leuchteten neonfarbige Schriftzüge. Die Gänge wurden eng gehalten und die Arbeitsbereiche offen, um spontane Begegnungen zu ermöglichen und die Gemeinschaft zu fördern. Am Abend gab es Yogastunden, Weindegustationen oder Networking-Events.

Neumann machte Wework dabei grösser als eine Immobilienfirma. Das Startup beschrieb er als «kapitalistischen Kibbuz», der eine neue Ära der Zusammenarbeit einläute. Neumann selbst verbrachte mehrere Jahre in einem Kibbuz in Israel. Sein Partner McKelvey wuchs ebenfalls in einem Kollektiv auf. In Neumanns Vision verschmolzen Kollegen und Freunde, Büro und Zuhause, Arbeit und Freizeit zu einem grossen Ganzen.

«Die 1990er und frühen 2000er Jahre waren die Dekade des ‹I›. Das iPhone, der iPod – alles drehte sich um mich», sagte Neumann 2011 gegenüber der «New York Daily News». «Und wohin hat uns das gebracht? In eine schreckliche Rezession. Die nächste Dekade ist die Dekade des ‹We›, in der Kollaboration die Zukunft der Innovation ist.»

Die Wework-Mitglieder waren über eine App verknüpft, die ein «physisches soziales Netzwerk» möglich machen sollte. Das Unternehmen hob seine Arbeit mit Daten hervor und gab an, dank künstlicher Intelligenz bessere Einblicke in die Nutzung seiner Räumlichkeiten zu haben.

Bei Investoren punkte Neumann mit seiner charismatischen Art und seiner hochtrabenden Rhetorik. Walter Isaacson, Biograf von Steve Jobs und Elon Musk, verglich Neumann in einem Gespräch mit «Fast Company» mit dem Apple-Mitgründer.

«Als ich ihn traf, wollte ich schon nach ein paar Minuten investieren», sagte Joey Low, der ab 2013 bei mehreren Investitionsrunden dabei war, später gegenüber dem «Wall Street Journal». «Er war hungrig nach Erfolg – das war klar.»

Bruce Dunlevie, von dessen Fonds Wework 2012 das erste Wagniskapital erhielt, soll laut «Vanity Fair» zu Neumann gesagt haben: «Du verkaufst nicht Coworking, du verkaufst eine Energie, wie ich sie noch nie gespürt habe.»

Neumanns eifrigster Unterstützer aber war Masayoshi Son, CEO von Softbank. Mit Milliarden von Dollar aus Saudiarabien und Abu Dhabi im Rücken investierte der Vision Fund von Softbank aggressiv in Startups wie Uber oder Slack. In Wework investierte Son insgesamt mehr als 18,5 Milliarden Dollar.

Der Vorhang fällt

Bis 2019 baute Neumann Wework von einem Coworking-Space in New York zu einem Unternehmen mit 12 500 Mitarbeitern aus, das Büroräumlichkeiten in 111 Städten in 29 Ländern vermietete und 500 000 Mitglieder zählte.

Doch als Investoren im August 2019 in Vorbereitung auf den angepeilten Börsengang einen Blick in die Bücher von Wework werfen konnten, brach das Image von Neumann und Wework in sich zusammen. Das Startup hatte kaum etwas mit Technologie zu tun und häufte massive Verluste an – im Jahr 2018 betrugen sie 2 Milliarden Dollar. Für 2019 wurde ein Verlust von 3,7 Milliarden Dollar prognostiziert. Millionen wurden in persönliche Projekte von Neumann investiert – wie etwa in ein Wellenbad-Unternehmen.

Auch am grundlegenden Geschäftsmodell kamen Zweifel auf. Wework schloss Mietverträge über zehn bis zwanzig Jahre ab und vermietete die Büros kurzfristig weiter. Ab einem Monat war man dabei. Im Fall einer Krise konnten die Wework-Mieter ihre Räumlichkeiten rasch kündigen, während Wework selbst weiter Miete zahlen musste. Dazu kamen die hohen Beträge, die Wework in den Umbau der Büros steckte.

Und während Neumann öffentlich stets den gemeinschaftlichen Aspekt seines Unternehmens angepriesen hatte, sorgte er im Hintergrund gut für sich selbst. So hielt Neumann die Rechte an der Marke «We» und stellte ihre Nutzung Wework in Rechnung. Weiter besass er mehrere Gebäude, in denen sein Startup Büroflächen angemietet hatte.

Unter dem Druck seiner Investoren trat Neumann im September 2019 als CEO zurück – inklusive einer stolzen Abfindung. Der Börsengang wurde abgeblasen, Softbank sprang mit einem Kredit von 5 Milliarden Dollar ein, um das Startup zu retten, und übernahm die Mehrheit der Anteile. Ein Sparprogramm wurde aufgesetzt. Wework sollte sich in Zukunft ganz auf das Vermieten von Coworking-Spaces konzentrieren, ohne weltverändernde Mission.

Im Februar 2020 setzte Softbank mit Sandeep Mathrani einen CEO mit langjähriger Erfahrung in der Immobilienbranche ein in der Hoffnung, eine rasche Erholung herbeizuführen.

Die Pandemie als Sargnagel

Diese Mission wurde durch den Beginn der Covid-Pandemie erschwert. Büros rund um den Globus blieben leer, auch jene von Wework. Das Unternehmen versuchte verzweifelt, seine langfristigen Verträge neu zu verhandeln. Viele davon wurden in den Jahren 2018 und 2019 abgeschlossen, als die Preise sehr hoch waren. Unter Neumann expandierte Wework rasend schnell und schloss teilweise unvorteilhafte Verträge ab, die Kündigungen mit hohen Strafzahlungen verknüpften.

Wework verbrannte weiter Geld. 2020 betrug der Verlust 3,1 Milliarden Dollar, ein Jahr später gar 4,4 Milliarden Dollar. Um an frisches Kapital zu kommen, ging Wework im Oktober 2021 über eine Special Purpose Acquisition Company (SPAC) doch noch an die Börse. Bewertet wurde das Unternehmen mit 9 Milliarden Dollar.

Mathrani war optimistisch, dass Wework vom Trend zu flexibleren Arbeitsmodellen nach der Pandemie würde profitieren können, und stellte für 2022 einen Profit in Aussicht. Die erhoffte Erholung kam jedoch nicht. Die laufenden Kosten für die Büroräumlichkeiten blieben zu hoch, während die Umsätze stets unter den Erwartungen lagen. Ab 2023 stiegen zudem die Zinsen, was die Lage des hochverschuldeten Unternehmens zusätzlich erschwerte.

Im Mai dieses Jahres trat Mathrani als CEO zurück. Der neue CEO, David Tolley, versuchte abermals, die Mietverträge neu zu verhandeln und die Schulden neu zu strukturieren, ohne nachhaltigen Erfolg. Nun zieht Wework seinen letzten Trumpf: den Konkurs. Die Bestimmungen der amerikanischen Konkursordnung vereinfachen es Wework, unprofitable Räumlichkeiten aufzugeben und an einen Plan zum Abbau seiner Schulden zu arbeiten, während der Betrieb weiterläuft.

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