Freitag, September 27

Nach langem Lavieren legt Chinas Regierung eine Reihe von Massnahmen zur Stützung der Wirtschaft vor. Wer profitiert davon? Zudem: Gedanken zur Zinskurve in den USA und zum Abtritt von Thomas Jordan an der Spitze der SNB.

«Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.»
Mario Draghi, ehem. Präsident der EZB, am 26. Juli 2012

«You’re gonna need a bigger boat.»
Chief Brody, aus: «Jaws» (1975)

Ein Hauch von Whatever it Takes weht dieser Tage durch Peking – wobei «Hauch» eine Untertreibung ist. Es ist ein kräftiger Wind. Die wirtschaftspolitische Rhetorik der Parteiführung hat sich signifikant verändert.

Die People’s Bank of China (PBoC) hat am Dienstag eine Reihe von geldpolitischen Lockerungsmassnahmen angekündigt. Zwei Tage später liess das Politbüro eine Barrage von fiskalpolitischen Stützungsmassnahmen an die Staatsmedien durchsickern.

Die Parteiführung um Generalsekretär Xi Jinping hat offensichtlich den Beschluss gefasst, dass sie Chinas Wirtschaft mit einem Kraftakt aus der deflationären Flaute reissen muss. Die Reaktion der Finanzmärkte liess nicht auf sich warten. Chinas Aktienmarkt, gemessen am Blue-chip-Index CSI 300, verbuchte einen Wochengewinn von mehr als 10%.

Der Kupferpreis, der besonders feinfühlig auf Veränderungen in der globalen Konjunkturdynamik reagiert, ist auf über 10’000 $ je Tonne gestiegen und hat Rohstoffkonzernen wie BHP, Rio Tinto oder Freeport-McMoRan Auftrieb verliehen.

Auch der Luxusgütersektor mit den Schweizer Vertretern Richemont 📈 und Swatch Group 📈 setzte im Nachgang der Verlautbarungen aus Peking zu einer Erholung an.

Wir blicken im dieswöchigen «Big Picture» auf den Massnahmenkatalog aus China und gehen der Frage nach, was er für die Weltbörsen bedeutet. Zudem werfen wir einen Blick auf die Zinskurve in den USA und erlauben uns einige Gedanken zum Abtritt von Thomas Jordan von der Spitze der Schweizerischen Nationalbank.

China war bis vor einer Woche für die globalen Finanzmärkte die Enttäuschung des Jahres. Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt ächzt unter der Immobilienkrise und der hartnäckigsten Deflation seit Ende der Neunzigerjahre. Trotzdem verzichtete die Parteiführung bisher weitgehend auf Stützungsmassnahmen und übte sich stattdessen in sturer, nationalistischer «Hardship»-Rhetorik. Das vielbeachtete Dritte Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei im Juli verfehlte selbst die bescheidensten Erwartungen.

Ein Grund, weshalb der Zentralbank die Hände gebunden waren, lag im Wechselkurs des Renminbi. Solange die US-Notenbank (Fed) hart und der Dollar stark blieb, konnte die PBoC kaum lockern, ohne massiven Abwertungsdruck auf die heimische Währung zu provozieren – und das wollte die PBoC verhindern.

Doch mit der Schwäche des Dollars seit August und dem beherzten Beginn des Zinssenkungszyklus in den USA vom 18. September hat sich der Spielraum für Peking ausgeweitet.

Und die Parteiführung hat ihn sofort genutzt.

PBoC-Gouverneur Pan Gongsheng stellte am Dienstag eine Reihe von Massnahmen vor: eine Senkung des Leitzinses und der Mindestreservevorschriften für die Banken, eine Reduktion der Eigenkapitalvorschriften für den Kauf von Zweitwohnungen sowie eine Anweisung an die Banken, privaten Haushalten zu helfen, ihre Hypothekarschulden zu refinanzieren.

Shujin Chen, China-Chefökonom des US-Brokerhauses Jefferies, errechnet allein aus diesen Hypotheken-Refinanzierungen eine Entlastung für die privaten Haushalte in Höhe von rund 300 Mrd. Yuan (ca. 43 Mrd. $) pro Jahr.

Das grösste Einzelstück des Massnahmenpakets umfasst einen mit umgerechnet rund 100 Mrd. $ dotierten Stabilisierungsfonds, den Wertschriftenhäuser, Versicherer sowie staatliche Unternehmen bei der PBoC via Swaps anzapfen können, um Aktien zu kaufen.

Pan stellte die Massnahmen in einer öffentlichen TV-Übertragung vor und stellte sich den Fragen der Medien. Das ist in der Kommunikationspolitik der PBoC unüblich und unterstreicht, wie wichtig es der Parteiführung offenbar ist, die Animal Spirits in der Bevölkerung und der Unternehmenswelt zu revitalisieren.

Aber weil Chinas Wirtschaft die klassischen Charakteristika einer Liquiditätsfalle aufweist – Haushalte und Unternehmen wollen keine neuen Kredite aufnehmen, auch nicht zu tieferen Zinsen –, sind geldpolitische Massnahmen allein weitgehend nutzlos, um die Konjunktur anzukurbeln.

Wichtiger als die Ankündigungen der PBoC waren deshalb die Meldungen, die am Donnerstag von den Staatsmedien verbreitet wurden: Das 24-köpfige Politbüro hat in seiner monatlichen Sitzung eine Reihe von Massnahmen beschlossen, um die Wirtschaft zu stimulieren und die privaten Haushalte sowie die klammen Regional- und Lokalregierungen zu unterstützen.

Konkret nennt die Verlautbarung des Politbüros drei Themen, die angegangen werden sollen: Erstens nennt die Parteiführung erstmals klar die Notwendigkeit einer stärkeren, antizyklisch ausgerichteten Fiskalpolitik. Zweitens spricht sie nun davon, den Preiszerfall am Immobilienmarkt zu stoppen und Stabilität zu schaffen. Drittens nennt das Politbüro explizit die Stützung der Haushaltseinkommen als neuen wirtschaftspolitischen Fokus.

Gemäss unbestätigten Berichten soll die Zentralregierung zu diesen Zwecken bis Ende Jahr Spezialanleihen im Umfang von 2 Bio. Yuan (umgerechnet rund 284 Mrd. $) ausgeben. Wie Reuters schreibt, sollen 1 Bio. Yuan in die Stützung des Konsums fliessen; Familien mit mindestens zwei Kindern sollen künftig einen monatlichen Zuschuss von 800 Yuan (ca. 114 $) erhalten. Auch ein Kapitaleinschuss von bis zu 1 Bio. Yuan in die wichtigsten Banken soll geprüft werden, damit diese ihre Kreditvergabe ausweiten.

Offizielle Details der Fiskalprogramme sind noch nicht bekannt. Diese werden üblicherweise in den Wochen nach dem Entscheid des Politbüros von den Ministerien erarbeitet und mit Inhalten gefüllt.

Dennoch kann bereits festgestellt werden: Die Parteiführung scheint endlich erkannt zu haben, wie schwer die Immobilienkrise und die Konjunkturflaute auf die Stimmung der privaten Haushalte drückt. Die in Aussicht gestellten Massnahmen – sowie die Art und Weise, wie sie angekündigt wurden – stellen eine klare Richtungsänderung in der Wirtschaftspolitik Pekings dar.

Selbstverständlich sind damit die zahlreichen wirtschaftlichen Probleme im Land noch nicht gelöst. Aber die Parteiführung um Xi scheint das begriffen zu haben, was wir an dieser Stelle vor einigen Monaten als das «Chief Brody»-Prinzip beschrieben haben: Die kleinen Schritte reichen nicht mehr aus.

«Das ist der ‹Whatever it Takes›-Moment für Peking», schreibt Marko Papic, Chefstratege von BCA Research, in einer Kurznotiz.

«Die Reihe von Ankündigungen auf höchster Ebene zeigt, dass die Regierung endlich versucht, den Erwartungen zuvorzukommen – und das bedeutet eine grosse Veränderung für die Finanzmärkte», urteilen die Analysten der Research-Boutique Gavekal.

Wie erwähnt sind die Details zu den fiskalpolitischen Massnahmen rar, weshalb es noch nicht möglich ist, eindeutige Nutzniesser der Stützungspakete zu identifizieren. So wird es beispielsweise relevant sein, in welchem Ausmass die Programme den privaten Haushalten – und damit dem Konsum – zugutekommen oder ob sie in grosse Infrastrukturprojekte fliessen.

Der erste logische Nutzniesser ist der chinesische Aktienmarkt, der direkt von den Liquiditätshilfen der PBoC profitiert. Auch nach dem Kurssprung dieser Woche ist er noch günstig; der MSCI China mit Schwergewichten wie Tencent, Meituan und Alibaba kommt auf Basis der Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 9,3, was deutlich unter dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre liegt.

Ebenfalls Rückenwind erhält der Hang Seng in Hongkong, der zahlreiche Finanzinstitute und Immobilienentwickler umfasst.

Der Rohstoffsektor hat an den globalen Aktienmärkten im laufenden Jahr unter der Nachfrageschwäche aus China gelitten. Mit einem Plus von bloss 3,5% war der Sektor Grundstoffe (Materials) – er enthält nebst Rohstoffkonzernen auch Branchen wie Chemie und Baustoffe – das schwächste Mitglied in der Sektorpalette des MSCI World.

Wenn in Erwartung von Stimulusprogrammen in China die Preise für Kupfer, Eisenerz und Aluminium anziehen, dann werden Aktien von Rohstoffgiganten wie BHP, Rio Tinto, Glencore, Alcoa oder Freeport profitieren. Ihre Aktienkurse sind bislang in einer mittlerweile gut vierjährigen Seitwärtsbewegung gefangen.

In der ersten Reaktion auf die Nachrichten aus Peking hat sich der Renminbi auf- und der Dollar abgewertet. Es ist zu früh, darin bereits einen Trend zu erkennen, aber dieses Muster wäre überaus positiv für Schwellenländer wie Brasilien oder Indonesien. Eine konjunkturelle Belebung Chinas strahlt sodann auch positiv auf die Volkswirtschaften und Aktienmärkte Ost- und Südostasiens – Japan, Südkorea, Singapur – ab. Wie der Marktbeobachter Alfons Cortés feststellt, steigt Asien ohnehin in der Gunst der Investoren; das galt bereits vor den Ankündigungen aus Peking. Selbst die zyklisch ausgerichteten Märkte Europas, primär Deutschland mit seinem Industrie- und Frankreich mit seinem Luxusgütersektor, dürfen auf Belebung aus China hoffen.

Eher nachteilig könnte sich das Bild zumindest in der kurzen Frist für den Aktienmarkt Indiens entwickeln, weil zahlreiche Emerging-Market-Investoren bislang Indien über- und China untergewichtet haben. Sollte China in der Gunst ausländischer Investoren wieder steigen, könnte Kapital von Indien nach China alloziert werden.

Während der Kupferpreis sofort angesprungen ist, setzte die Rohöl-Notierung ihre Schwächephase fort. Der Preis für ein Fass der Sorte Brent ist mit 70 $ auf den tiefsten Wert seit Anfang 2022 gesunken.

Dahinter dürfte allerdings weniger die Skepsis an den Plänen aus China, sondern die Erwartung eines drohenden Überangebots stehen. Wie die «Financial Times» mit Bezug auf informierte Quellen schreibt, soll Saudi-Arabien mit dem Gedanken spielen, sein inoffizielles Ölpreisziel von 100 $ je Fass aufzugeben und seine Produktion auszuweiten. Riad wolle seinen Anteil an der globalen Ölproduktion nicht weiter erodieren lassen und an konkurrierende Produzenten abtreten.

Ebenfalls für eine Zunahme des Angebots spricht die Nachricht, wonach sich die rivalisierenden Fraktionen in Libyen auf die Ernennung eines neuen Zentralbankgouverneurs geeinigt haben. Damit dürfte die Produktion in den von der politischen Fraktion in Benghasi kontrollierten Ölfeldern wieder anspringen.

Kommen wir zu den USA. Vergangene Woche hat das Fed den Leitzins in einem «Jumbo»-Schritt um 50 Basispunkte (Bp) gesenkt. Der Zinssenkungszyklus hat offiziell begonnen. Für die nächste Fed-Sitzung vom 7. November, unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen, halten sich die Erwartungen an den Terminmärkten genau die Waage: Mit je rund 50% Wahrscheinlichkeit wird eine Zinssenkung von 25 oder von abermals 50 Bp eingepreist.

Die wichtigste Variabel zur Einschätzung des weiteren Verlaufs der Fed-Politik bleibt der Arbeitsmarkt in den USA. Der nächste monatliche Arbeitsmarktbericht erscheint am Freitag, 4. Oktober. In den wöchentlich publizierten Daten zu den Erstanträgen auf Arbeitslosenunterstützung setzt sich die Entspannung fort. Mit 218’000 sind die Erstanträge diese Woche abermals leicht tiefer ausgefallen als erwartet, der Vierwochentrend zeigt nach unten.

Wir haben in den vergangenen Wochen an dieser Stelle sowie hier mehrmals über die Struktur der Zinskurve in den USA geschrieben: Nach einer gut zweijährigen Phase der Inversion ist die Zinskurve steiler geworden und aus ihrer Inversion getreten. Das war in der Vergangenheit oft ein Signal einer unmittelbar nahenden Rezession:

Allerdings ist es von grosser Bedeutung, aus welchem Grund die Zinskurve steiler wird. Im Jargon wird dabei zwischen einem Bull Steepener und einem Bear Steepener unterschieden.

In einem Bull Steepener sinken die kurzfristigen Zinsen – wir benutzen die Rendite zweijähriger Treasury Notes – schneller als die langfristigen, zehnjährigen Zinsen. Das ist dann der Fall, wenn die Bondmärkte davon ausgehen, dass das Fed den Leitzins scharf nach unten reissen wird, um eine drohende Rezession abzuwenden. Diese Bewegung ist positiv für Staatsanleihen mit kurzer Duration, daher der Name Bull Steepener, sie verheisst aber in der Regel nichts Gutes für die Aktienmärkte, weil in einer Rezession die Unternehmensgewinne sinken.

Schematisch sieht der Bull Steepener so aus:

Anders ist die Dynamik jedoch im Bear Steepener: In diesem Fall wird die Zinskurve steiler, weil die langfristigen Zinsen steigen, während die Sätze am kurzen Ende unverändert bleiben oder leicht sinken. Damit signalisiert der Bondmarkt keine drohende Rezession, sondern eine Beschleunigung des nominalen Wirtschaftswachstums, wobei das nominale Wachstum aus einer Inflations- und einer realen Komponente besteht.

Schematisch sieht der Bear Steepener so aus:

Diese Bewegung ist schlecht für Staatsanleihen mit langer Duration, daher der Name Bear Steepener, sie kann aber durchaus positiv für die Aktienmärkte sein, weil mit einer Reflation der Wirtschaft auch die Unternehmensgewinne steigen.

Wenn wir nun die Bewegung in den zwei- und zehnjährigen Treasury-Renditen über die vergangenen fünf Monate anschauen, dann zeigt sich eine relevante Entwicklung:

Ab ca. Ende Mai begann die Phase des Bull Steepener: Die Rendite zweijähriger Treasuries (gelb) sank deutlich schneller als die Rendite zehnjähriger Treasuries (blau), was dazu führte, dass die Zinskurve Ende August aus der Inversion trat. Diese Phase wird in der Grafik durch die rote Fläche markiert.

Seit Mitte September, kurz vor der Zinssenkung des Fed, hat die Dynamik allerdings gedreht. Die Zinskurve wurde nicht mehr steiler, weil die Zweijahressätze gesunken, sondern weil die Zehnjahressätze gestiegen sind. Konkret ist die Rendite zehnjähriger Treasury Notes in diesem Zeitraum um 18 Basispunkte gestiegen. Das wären die Charakteristika eines Bear Steepener, in der Grafik durch die grüne Fläche markiert.

Nahezu zeitgleich mit dieser Bewegung lässt sich eine abermalige Präferenzverschiebung am Aktienmarkt beobachten: Mit dem Einsetzen des Bear Steepener sind defensive Sektoren wieder in den Hintergrund getreten. Die folgende Grafik zeigt als Beispiel die Performance des defensiven US-Gesundheitssektors relativ zum S&P 500:

Es ist zu früh, darin bereits ein gefestigtes Muster zu sehen, aber wir werden die Bewegung der Zinskurve in den kommenden Wochen genau im Auge behalten. Sollte sich der Bear Steepener festigen, wäre das ein Signal, dass der Bondmarkt nicht mit einer harten Landung, sondern mit einer allmählichen Reflation der US-Wirtschaft rechnet.

Das wäre am Aktienmarkt besonders bullish für die Sektoren Industrie, Energie, Grundstoffe und Finanzen.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat am Donnerstag zum dritten Mal in diesem Jahr den Leitzins um 25 Bp gesenkt, er liegt nunmehr auf 1%. Der Schritt markierte den Abschied von Thomas Jordan; der 61-Jährige tritt nach gut zwölf Jahren an der Spitze des SNB-Direktoriums ab und übergibt das Amt an den 48-jährigen Martin Schlegel.

Die SNB zählt zweifellos zu den Institutionen der Schweiz, die in der Bevölkerung hohes Vertrauen geniessen. Jordan trägt grosses Verdienst daran. Er hat die Nationalbank sicher durch eine Reihe von Krisen – Eurokrise, Frankenaufwertung, Covid, Untergang der Credit Suisse – geleitet. Wie der Ökonom Karsten Junius in diesem Beitrag ausführt, zeigt sich die schweizerische Wirtschaft anhand diverser Variabeln deutlich weniger volatil als die Eurozone oder die USA, was für eine kleine, offene Volkswirtschaft nicht selbstverständlich ist.

Dennoch halten wir es für wichtig, Thomas Jordans Arbeit nicht bloss zu loben, sondern zu seinem Abschied auch einige kritische Gedanken zu teilen, und zwar zum einschneidendsten Ereignis während seiner Amtszeit: dem Untergang der CS.

Ja, die Credit Suisse wurde Opfer von jahrelangem Missmanagement an der Spitze der Bank. Verwaltungsrat und Geschäftsleitung tragen dafür die Schuld. Dennoch muss sich die SNB der Kritik stellen, weshalb sie dermassen unvorbereitet war, als die CS Mitte März 2023 am Abgrund stand. Es war ein Kollaps mit Ansage; Jordan und sein Team hatten monatelang Zeit, die Bilanz der Bank zu durchleuchten und Sicherheiten für umfassende Liquiditätshilfen zu identifizieren.

«Die SNB hatte eine sehr enge Vorstellung davon, gegen welche Art von Sicherheiten sie überhaupt Kredite gewähren würde. Da sie nur das Schweizer Inlandsgeschäft als systemrelevant ansah, war sie im Grunde nur bereit, inländische Hypothekarkredite als Sicherheit gegen Liquiditätshilfe zu akzeptieren (…) Die SNB hatte einen zu engen Ansatz, sowohl in der Konzeption als auch in der Vorbereitung. Sie war auf das eingetretene Szenario nicht vorbereitet», urteilt Paul Tucker, der frühere Vizepräsident der Bank of England und Mitglied des Führungskomitees des G20 Financial Stability Board.

In einem Abschiedsinterview mit der «NZZ» vom 7. September sagte Jordan mehrmals, die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS sei ohne Kosten für die Steuerzahler gelungen. Doch das ist so nicht korrekt: Erstens ging die offizielle Schweiz mit den Kredit- und Liquiditätsgarantien gegenüber der UBS ex ante sehr wohl milliardenschwere Risiken ein. Zweitens geniesst die UBS jetzt erst recht eine implizite Staatsgarantie, für die sie keine Abgeltung leistet. Die Schweiz besitzt nicht einmal ansatzweise einen Plan, was zu tun wäre, sollte die UBS dereinst in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Und drittens häuft sich die Evidenz, dass UBS in diversen Geschäftsfeldern – etwa im Firmenkundengeschäft – ihre Marktstellung in der Schweiz ausnutzt, um ihre Preise zu erhöhen.

Der Untergang der Credit Suisse ist volkswirtschaftlich betrachtet eine Tragödie für die Schweiz. Der Umstand, dass die daraus entstehenden Kosten grösstenteils verborgen sind, macht sie nicht minder real.

Die Frage bleibt, weshalb die SNB unter Thomas Jordan – nebst der Finanzmarktaufsicht Finma unter ihrer Präsidentin Marlene Amstad und dem Finanzministerium unter Bundesrätin Karin Keller-Sutter – so schlecht auf den Fall CS vorbereitet war.

Thomas Jordan kann für sich beanspruchen, dass er in jenen schicksalshaften Tagen im März 2023 nicht dem Beispiel von Mario Draghi folgte. Er blieb ordnungspolitisch stramm und gab kein «Whatever it Takes»-Versprechen ab.

Ob das für die Schweiz, ihre Steuerzahler, den Industriestandort und den Finanzplatz langfristig gesehen wirklich die beste Lösung war, steht auf einem anderen Blatt.

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