Donnerstag, März 6

Union und SPD wollen mit Hunderten von Milliarden Euro die Verteidigungsfähigkeit und die Infrastruktur Deutschlands stärken. Die Finanzmärkte stellen sich auf einen deutlichen Anstieg der Staatsverschuldung ein.

Es sei eine der grössten Paradigma-Verschiebungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte, erklärte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank Research am Mittwoch. Gemeint war das am Dienstagabend angekündigte Finanzierungspaket, mit dem die konservativen Unionsparteien CDU/CSU und die Sozialdemokraten (SPD) die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands stärken und die Infrastruktur auf Vordermann bringen wollen. Finanziert werden soll es über zusätzliche Schulden im Umfang von Hunderten von Milliarden Euro.

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Finanzierungskosten steigen

An den Finanzmärkten trieb die Ankündigung vom Dienstagabend die deutschen Finanzierungskosten in die Höhe: Die Rendite für zehnjährige deutsche Staatsanleihen stieg am Mittwoch deutlich an. Das ist eine Folge davon, dass Anleger höhere Staatsschulden erwarten und deshalb die Kurse für Staatsanleihen gesunken sind.

Die Einschätzung der Deutschen Bank trifft recht gut die Stimmung im Land: Befürworter wie Gegner des Finanzierungspakets scheinen vom Umgang und der Geschwindigkeit der Vereinbarung überrascht zu sein. Der Bundesverband der Deutschen Industrie lobte, CDU und SPD hätten den Ernst der Lage erkannt. Für den Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wirkt die Entscheidung «wie eine Art Befreiungsschlag». Der Verband Die Familienunternehmer hingegen zeigte sich «entsetzt über die Zerstörung der Schuldenbremse». Ähnlich weit auseinander gehen die ersten Kommentare führender Ökonomen.

Vierteiliges Paket

Das Paket ist ein erstes Ergebnis der Sondierungsgespräche zwischen der Union und der SPD über die Bildung der nächsten deutschen Regierung. Es besteht im Wesentlichen aus vier Teilen, die folgendes vorsehen:

  1. Verteidigungsausgaben: Alle Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) hinausgehen, werden künftig von der Schuldenbremse ausgenommen. Eine Obergrenze wurde nicht vereinbart. Ein Prozent des BIP entspricht derzeit rund 45 Milliarden Euro. Würden die Verteidigungsausgaben zum Beispiel auf die zuletzt diskutierte Höhe von 3,5 Prozent des BIP erhöht, könnte Deutschland davon 2,5 Prozentpunkte oder aktuell 112,5 Milliarden Euro pro Jahr über neue Schulden finanzieren.
  2. Infrastruktur: Es wird ein «Sondervermögen» mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro und einer Laufzeit von 10 Jahren geschaffen. Damit ist gemeint, dass in dieser Zeit 500 Milliarden an Schulden für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten aufgenommen werden können, ohne sie auf die Schuldenbremse anzurechnen. Vorbild ist das bestehende «Sondervermögen Bundeswehr». Infrastruktur definieren Union und SPD in ihrer Einigung breit. Als Stichworte nehmen sie von Zivilschutz über Verkehr, Energie und Bildung bis zu Krankenhäusern eine Vielzahl von Themen.
  3. Bundesländer: Sie sollen doppelt vom Paket profitieren. Zum einen sollen vom Infrastruktur-«Sondervermögen» 100 Milliarden Euro den Ländern und Kommunen für Infrastrukturausgaben zur Verfügung stehen. Zum andern wird auch für sie die Schuldenbremse gelockert: Künftig sollen auch sie – wie bisher bereits der Bund – im Rahmen der Schuldenbremse eine jährliche Neuverschuldung von bis zu 0,35 Prozent des BIP tätigen können.
  4. Reform der Schuldenbremse: Eine Expertengruppe soll einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickeln, «die dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Zukunft unseres Landes ermöglicht». Auf dieser Grundlage soll bis Ende Jahr die Gesetzgebung abgeschlossen werden. Davon ist eine weitere Lockerung der Schuldenbremse zu erwarten.

Die für die ersten drei Punkte nötigen Grundgesetzänderungen wollen Union und SPD noch vor der Konstituierung des neuen, vor 10 Tagen gewählten Bundestag durch den alten Bundestag verabschieden lassen. Hintergrund ist, dass im neuen Bundestag die AfD und die Linkspartei gemeinsam eine Sperrminorität haben werden. Denn für Grundgesetzänderungen braucht es eine Zweidrittelmehrheit.

Diese haben Union und SPD auch im alten Bundestag nicht. Sie brauchen zusätzliche Stimmen von den Grünen und/oder der FDP. Auch im Bundesrat, dem Gremium der Bundesländer, ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Das Vorhaben hat somit noch erhebliche Hürden zu nehmen.

Spardruck fällt weg

Über Einsparungen an anderer Stelle oder Umschichtungen im künftigen Haushalt sind bisher keine konkreten Abmachungen bekannt. Man müsse zunächst Sparmöglichkeiten nutzen und strukturelle Reformen einleiten, bevor man allenfalls über die Schuldenbremse rede, hatte Friedrich Merz, CDU-Chef und voraussichtlicher künftiger Bundeskanzler, vor den Wahlen wiederholt betont.

Nun gehen Union und SPD den umgekehrten Weg: Sie haben die Einigung über zusätzliche Schulden «vor die Klammer gestellt», wie sich die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken ausdrückte. Gemeint ist, dass diese Punkte schon beschlossen werden sollen, bevor weitere Themen der angestrebten künftigen Koalition ausdiskutiert sind. Damit räumen sie einen potenziellen Konfliktherd aus dem Weg, an dem die Ampel-Regierung zerbrochen ist. Folge dieses Vorgehens ist aber auch, dass es kaum mehr Spardruck gibt.

Allein schon die Öffnung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben würde der künftigen Regierung selbst ohne Erhöhung der Militärkosten mehr Luft verschaffen: Für das laufende Jahr sieht die deutsche Finanzplanung ein reguläres Verteidigungsbudget von 53,5 Milliarden Euro vor. Mit der geplanten Neuregelung könnten davon gut 8 Milliarden Euro über Kredite finanziert werden, was Mittel freimachen würde für andere Ausgaben.

«Whatever it takes»

Merz begründete das Vorgehen mit der veränderten Weltlage. Zwar hoffe er, dass die USA auch künftig zu ihren Bündnisverpflichtungen stünden. Aber Europa müsse seine Verteidigungsfähigkeit schnell selbst stärken. «Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes», sagte der CDU-Chef in Anlehnung an eine Aussage des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi während der Euro-Krise.

Das Sondervermögen für die Infrastruktur erklärte Merz damit, dass die zusätzlichen Verteidigungsausgaben nur zu verkraften seien, wenn die Volkswirtschaft «binnen kürzester Zeit wieder auf einen stabilen Wachstumskurs zurückkehrt». Dazu brauche es auch schnell und nachhaltig Investitionen in die Infrastruktur. Die nötigen Mittel könnten nicht allein aus den laufenden Haushalten finanziert werden.

Der Infrastruktur-Fonds dürfte letztlich auch der politische Preis für die Zustimmung der SPD zu den höheren Rüstungsausgaben sein.

Grund zur Beunruhigung?

Wie stark das Paket die deutsche Staatsverschuldung erhöhen wird, hängt unter anderem von der Höhe der künftigen Verteidigungsausgaben ab. Der Freiburger Ökonom Lars Feld, der zu den schärfsten Kritikern des Pakets zählt, erklärte im Gespräch mit der NZZ, dass die Verschuldung mit den Ankündigungen vom Dienstag in den nächsten zehn Jahren um rund 30 Prozentpunkte auf über 90 Prozent des BIP steigen könnte.

Derweil erwartet die Ratingagentur Moody’s eine Erhöhung der Schuldenquote um 5 Prozentpunkte bis 2026, aber zugleich auch eine Unterstützung des Wirtschaftswachstums über 2026 hinaus.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

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