In dem Schweizer Film «When We Were Sisters» hilft die strahlende Kulisse Kretas auszuhalten, wie sich eine Familie zerfleischt. Sieben Jahre nach ihrem Überraschungshit «Blue My Mind» beweist sich die Regisseurin Lisa Brühlmann mit einem bedrückenden Werk.

Für die 15-jährige Valeska werden es die schönsten Ferien, die sie je hatte. Und die grausamsten. Ein paar Tage in einer seelenlosen Bettenburg auf einer griechischen Insel sollen ihre «Patchwork»-Familie zusammenbringen. Valeskas Mutter Monica und Jacques, der Vater von Lena, sind frisch verliebt.

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«Patchwork» sagt schon alles: Etwas muss ausgebessert werden. Die vier sind ein Flickenteppich – chaotisch miteinander verbundene Menschen, die am konventionellen Familienbild gescheitert sind. Doch der Schweizer Film «When We Were Sisters» macht klar, dass Valeska nicht an der neuen Zusammenstellung leidet, sondern unter ihrer Kernfamilie.

Die strahlende Kulisse Kretas hilft dem Zuschauer zu ertragen, was innerhalb der Familie passiert. Am Meer, am Pool, unter der Sonne – draussen sind die Szenen leicht und unbeschwert. Überall drinnen – in den Motelzimmern, in den Restaurants, die die Familie besucht – tun sich die Wunden auf.

Zwei Schwestern und zwei Irre

Anfangs ist die Beziehung zwischen Valeska (Paula Rappaport) und der etwas jüngeren Lena (Malou Mösli) angespannt. Dann freunden sie sich an. Valeska und Lena sprechen über die Elternteile, die nicht in ihrem Leben sind, springen nachts in den Pool, schieben die Betten zusammen und tanzen peinlich. Die beiden ernennen sich bei einem Lagerfeuer am Strand zu Schwestern. Sie besiegeln den Schwur, indem sie sich gegenseitig eine Haarsträhne abschneiden und ins Feuer werfen. Indes entfernen sich Monica und Jacques voneinander.

Der arbeitslose Vater (Carlos Leal) nennt die neue Freundin beim Namen seiner Ex-Frau, von der er immer noch das Foto im Portemonnaie trägt, und betrinkt sich täglich. Die Mutter (Lisa Brühlmann) versinkt in Selbstzweifeln und bricht wütend aus, wird hinter geschlossenen Motel-Türen gewalttätig, schlägt ihre Tochter und gibt ihr die Schuld an allem, was mit dem neuen Freund schiefläuft. Valeska erträgt das stoisch. «Lass mich nicht alleine mit diesen Irren», sagt Lena einmal. Lena versucht Valeska hartnäckig klarzumachen, dass sie nicht «wie die» sei. In hoffnungsvollen Momenten vergessen die beiden selbsternannten Schwestern, dass sie in zwei getrennten Leben festsitzen.

Die Regisseurin und Darstellerin Lisa Brühlmann findet kraftvolle Bilder. Ein wie von der Sonne gebleichtes Farbschema, eine ruhige Kameraführung und Schnittarbeit, die es Einstellungen erlaubt, stehen zu bleiben und sich vom Zuschauer betrachten zu lassen.

Die Handlung spielt in den 1990er Jahren. So befreit sich Brühlmann von den Störgeräuschen von heute. Sie macht sich frei von Zeitgeistigem, von sozialen Netzwerken. Und von der Präsenz von Smartphones, die den Figuren Zugang zur übrigen Welt ermöglicht hätten und ihre wiederum hätten infiltrieren können. Die Geschichte bleibt bei der dysfunktionalen Familie – eine Momentaufnahme, kein Vorher, kein Danach.

«When We Were Sisters», der vergangenes Jahr am Zurich Film Festival Premiere feierte und nun in den Kinos anläuft, entwickelt seine subtile Spannung. Ein ständiges Spiel mit Andeutungen und der Antizipation des Zuschauers, und die Gespräche werden gerade deutlich genug, um Rückschlüsse auf Zusammenhänge und Hintergründe zuzulassen. Der Film schwächelt dort, wo die Regisseurin glaubt, doch konkret werden zu müssen. In einer Szene erzählt die Mutter der Tochter beim Kuscheln auf dem Hotelbett davon, wie kompliziert ihre Geburt war und dass ihr die Ärzte danach gesagt hätten, sie könne nicht mehr schwanger werden. Sie liebe sie aber trotzdem. Sie streicht ihr über die Wange.

Ohne experimentelle Schnörkel

Lisa Brühlmann war schon experimenteller und ihr Storytelling mutiger. In ihrem Spielfilm-Erstling «Blue My Mind» aus dem Jahr 2018 schlingert der Teenager Mia verzweifelt durch ein unsicheres Leben in einer neuen Schule und auf der Kippe zum Erwachsensein. Sie lernt Drogen, Sex und auf groteske Weise ihren Körper kennen. Denn mit der ersten Periode beginnt sich dieser zu verändern. Mia verwandelt sich in eine Meerjungfrau. Der Film erhielt international Auszeichnungen, Brühlmann wurde zur grossen Schweizer Regiehoffnung ihrer Generation. Sie konnte danach Folgen diverser Serien inszenieren, darunter die britisch-amerikanische Krimiproduktion «Killing Eve» – dafür bekam sie eine Emmy-Nomination –, der Psychothriller «Servant», produziert vom «The Sixth Sense»-Regisseur M. Night Shyamalan, sowie «Castle Rock», eine amerikanische Serie, die auf Stephen Kings Romanen basiert.

Überraschende Wendungen wie in «Blue My Mind» gibt es in Brühlmanns neuem Werk nicht. Dennoch, «When We Were Sisters» ist dramaturgisch schnörkelloses Erzählkino ohne Längen, das einen Sog entwickelt, dem man sich schwer entziehen kann, obwohl man das bei manchen allzu erdrückenden Szenen gerne tun würde.

In den Ferien in Griechenland graben die beiden Kurzzeit-Schwestern insgesamt drei winzige Gräber. Das erste ist für einen Vogel, der im Pool ertrinkt. Das zweite ist ein leeres, für Lenas Hund, der zu Beginn aus dem Motel wegläuft und den sie nicht finden können. Das dritte gräbt Valeska allein. In Folge eines schwer zu ertragenden Finales und nach welchem sie es schliesslich schafft, sich gegen die Mutter aufzulehnen. Der Film entlässt einen nicht vollkommen mutlos.

WHEN WE WERE SISTERS, Official Trailer (OV/en)

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