Donnerstag, Mai 8

Grossbritannien schliesst mit Indien den bisher wichtigsten Handelsvertrag seit dem Brexit ab. Kommt die Labour-Regierung nun auch mit Washington und Brüssel ins Geschäft?

Der Freihandelsvertrag mit Indien war in den letzten drei Jahren die Fata Morgana der britischen Politik. Boris Johnson, der die Verhandlungen im Januar 2022 lancierte, versprach, die herbeigesehnte Brexit-Dividende bis zum indischen Lichterfest im Herbst gleichen Jahres einzufahren. Auch Rishi Sunak, der erste britische Premierminister mit indischen Wurzeln, wollte das Abkommen mit dem Land seiner Vorfahren unbedingt ins Ziel bringen. Mehrmals schienen die Verhandlungen vor dem Durchbruch zu stehen, doch verzögerte sich der Abschluss stets von neuem.

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Erfreute Whisky-Produzenten

Diese Woche nun haben Grossbritannien und Indien endlich eine Einigung verkünden können – und damit auch ein weltwirtschaftlich bedeutsames Signal ausgesandt. Während die USA unter Donald Trump Zölle einführen und Handelskriege vom Zaun brechen, bauen Indien und Grossbritannien als fünft- und sechstgrösste Volkswirtschaft der Welt Zölle und Handelshürden ab.

Für Grossbritannien ist der Vertragsabschluss der bisher wohl greifbarste Vorteil des Brexits, der es dem Land ermöglicht, eine von der EU unabhängige Aussenhandelspolitik zu betreiben. Es entbehrt nicht der Ironie, dass nun ausgerechnet der einstige Brexit-Gegner und heutige Labour-Premierminister Keir Starmer das Abkommen ins Ziel gebracht hat und von einem historischen Moment sprach.

Konkret sieht das Abkommen den schrittweisen Abbau von Zöllen beim Handel etlicher Industrie- und Landwirtschaftsgüter vor, wobei zum Teil Mengenbegrenzungen bestehen bleiben. Ins Gewicht fallen für die Briten ihre Autos wie Range Rover oder Jaguar, die stark unter Trumps Strafzöllen leiden. Für Exporte von Benzin- und Dieselautos nach Indien fielen bisher Zölle von zwischen 60 und 100 Prozent an. Diese werden nun auf einen Schlag auf 10 Prozent verringert. Die Zölle auf britisches Lammfleisch sollen aufgehoben, jene auf Lachs, Medizinprodukte, Elektrogeräte oder Kekse stark reduziert werden.

Besonders erfreut reagierten die Produzenten von schottischem Whisky. Indien gilt als weltweit grösster Whisky-Markt. Doch war Scotch bisher mit Zöllen von bis zu 150 Prozent belegt und kaum konkurrenzfähig. Nun sprach Mark Kent, Vorsitzender der Scotch Whisky Association, von einer Chance, die sich nur einmal pro Generation biete. Er prognostiziert, dass das Handelsabkommen in den nächsten fünf Jahren zu einem Anstieg des Exportvolumens um 1 Milliarde Pfund (1,1 Milliarden Franken) und zur Schaffung von 1200 Stellen in Schottland führen werde.

Indien wird derweil künftig leichter Kleider, Schuhe, Lederwaren, Sportausrüstung oder Schmuck zollfrei nach Grossbritannien exportieren können. Zudem ist das Land der weltweit drittgrösste Produzent von Riesencrevetten. Die Briten gehören zu den wichtigsten Konsumenten der Meeresfrüchte: Sie verschlingen jedes Jahr 50 000 Tonnen Crevetten – deutlich mehr als andere Meeresfrüchte und Fische. Daher wird erwartet, dass bald massenhaft gefrorene Crevetten aus Indien in den britischen Supermärkten landen könnten.

Kontroverse um Entsandte

Ursprünglich hatten die indischen Unterhändler als Gegenleistung zur Öffnung ihres geschützten Markts zusätzliche Visa für Studenten und Arbeitsmigranten in Grossbritannien gefordert. Zwar hat London am Ende keine neuen Erleichterungen gewährt, doch handelten die Inder Konzessionen bei der temporären Entsendung von Arbeitskräften aus. Wenn eine indische Firma Mitarbeiter für eine Zeitdauer von weniger als drei Jahren in die britische Niederlassung schickt, müssen diese keine britischen Lohnabgaben mehr bezahlen.

Gemäss der Regierung in Delhi soll dies die Konkurrenzfähigkeit indischer Dienstleister in Grossbritannien markant erhöhen. Stark profitieren dürften IT-Unternehmen wie Tata Consultancy Services (TCS), Wipro oder Infosys. Infosys wurde von Narayana Murthy gegründet, dem schwerreichen Schwiegervater von Rishi Sunak.

Die Firma war eine Pionierin des Outsourcings von IT-Dienstleistungen von westlichen Industrienationen nach Indien – dank tieferen Kosten und gut geschultem Personal. Teil der Strategie von Infosys war von Anfang an auch, indische IT-Spezialisten auf temporärer Basis in den USA oder Europa zu beschäftigen.

Das britische Zugeständnis bei den Lohnabgaben hat heftige Kritik der Oppositionsparteien ausgelöst. Der Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage von der rechtsnationalen Partei Reform UK erklärte, Starmer verrate die britischen Arbeiter: Für Inländer erhöhe die Labour-Regierung die Lohnabgaben, während sie indische Konkurrenten ganz von den Zusatzkosten befreie.

Bescheidener Wachstumseffekt

Laut der Regierung in London soll das Abkommen das Handelsvolumen zwischen Grossbritannien und Indien um fast 40 Prozent erhöhen. Bis 2040 steigert dies die britische Wirtschaftsleistung gemäss den Prognosen der Regierung allerdings bloss um 0,1 Prozent. Damit hat der Freihandelsvertrag einen ähnlich bescheidenen Wachstumseffekt wie der Beitritt zum transpazifischen Handelsabkommen (CPTPP).

Stärker ins Gewicht fallen die Versuche, die Handelsbeziehungen mit den USA und der EU zu verbessern. Wie die «Financial Times» berichtete, soll sich eine Vereinbarung mit Washington auf der Zielgeraden befinden, die Trumps Zölle auf britische Stahl- und Autoexporte senken würde.

Am 19. Mai ist in London zudem ein Gipfeltreffen zwischen Starmer und der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen geplant. Im Raum stehen dabei unter anderem die Öffnung eines EU-Rüstungsprogramms für britische Firmen, ein Elektrizitätsabkommen oder einfachere Exporte für pflanzliche und tierische Produkte. Eine Rückkehr in den Binnenmarkt mit der Personenfreizügigkeit schliesst die Labour-Regierung aber aus, was auch die potenziellen Wachstumseffekte von Starmers Brexit-Reset begrenzt.

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