Sonntag, Februar 23

Der Film ist ein ausgestreckter Mittelfinger Richtung Grossbritannien, absurd und vulgär. Aber hinter dem Herumalbern versteckt sich ein ernsthaftes Anliegen: der Kampf um die Erhaltung des Gälischen.

«Tiocfaidh ár lá», übersetzt «Unser Tag wird kommen», so lautet ein berühmter Slogan der irisch-republikanischen Bewegung. Er sehnt die Wiedervereinigung Irlands und das Freisein von britischer Einmischung herbei. Der junge Rapper Mo Chara schreit diese Worte, um sich beim Sex mit seiner der englischen Krone huldigenden Freundin zum Höhepunkt zu bringen.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Irgendwie ist das irre und agitatorisch zugleich, ein hedonistisch ausgestreckter Mittelfinger Richtung Grossbritannien, absurd und vulgär. Man könnte sagen, dass das eben typisch irisch sei, was auch stimmt. Aber es ist zumindest untypisch für ein Musik-Biopic.

In diesem geht es um die Entstehung des seit einigen Jahren für Furore sorgenden Hip-Hop-Trios Kneecap. Benannt nach dem Schuss in Kniescheiben, den irische Befreiungskämpfer als Bestrafung anwendeten, kämpfen die Musiker für die Erhaltung der gälischen Sprache.

Berühmt wurden die auf Gälisch rappenden Mo Chara, Móglaí Bap and DJ Próvai, als sie 2019 in der Empire Music Hall in Belfast ihren Song «Get Your Brits Out» performten, einen Tag nach einem Auftritt von Prinz William und Kate am selben Ort. Im Film wird derlei Dissidenz drastisch in Szene gesetzt, indem etwa nackte Hintern in die Kamera gehalten werden oder totgeglaubte IRA-Ikonen in den Konzertsälen stehen.

Prekär lebende Künstler

Die feine Linie zwischen Aktivismus und Antagonismus hält der Film vor allem durch eine angenehm konsequenzlose Selbstironie, indem er die drei Künstler als prekär lebende Drifter zeigt und in der Erzählstimme über die Bilder explodierender Autos sagt, dass das die üblichen Aufnahmen seien, mit denen Filme über Nordirland sonst begännen. Davon abgesehen wird drogendealend über Balkone gesprungen und werden britischen Blaskapellen die Trommelstöcke geklaut.

Ohne diese üblichen Bilder Nordirlands gänzlich hinter sich zu lassen, ist «Kneecap» doch ein Film, der in einer anderen, fortschreitenden Wirklichkeit angesiedelt ist. Er zeigt den irischen Widerstand nicht als Historismus, sondern verweist nuanciert auf verschiedene Strömungen und Gegenströmungen, die aus dem republikanischen Gedankengut entstanden sind und im Heute wirken. Dazu gehören Nostalgie, Traumata, Abwendung vom Politischen, Fortsetzung des Kampfes mit neuen Mitteln oder konservative Strömungen innerhalb des Widerstands.

Dass der Regisseur Rich Peppiatt all das in einem sonst recht leicht daherkommenden Film miterzählt, ist durchaus beachtlich. Unterstützt von einem Starauftritt Michael Fassbenders, der als Vaterfigur so etwas wie die moralische Rechtfertigung dieses Kampfes um die irische Identität liefert, überraschen die drei Musiker mit erstaunlichem Schauspieltalent. Vor allem J. J. Ó Dochartaigh alias DJ Próvai, der als Musiklehrer arbeitet und durch einen Dolmetscherjob bei der Polizei auf die Texte der beiden Brüder Mo Chara und Móglaí Bap aufmerksam wird: Er glänzt mit seinem Timing für die komischen Momente zwischen Bürgerlichkeit und Ausbruch.

In seiner Garage produzieren die drei heimlich ihre ersten Stücke, die sie dann vor einigen alten Trinkern darbieten. Später kommen Tausende, vor allem junge Menschen, die irische Flaggen schwenken. Ganz dem Zeitgeist entsprechend rechtfertigt sich diese Musik durch ihren politischen Auftrag. Die Freude am Klang des Gälischen oder die Virtuosität der Beats spielt kaum eine Rolle.

Wie bei Guy Ritchie

Der drogenverherrlichende Impetus des Films verkommt hie und da zum Klischee, gerade wenn die Protagonisten in verzerrten, übersättigten Bildern zugedröhnt durch Belfast torkeln. Man kennt das aus Filmen von Guy Ritchie oder Danny Boyle, wie überhaupt alles in «Kneecap» an britische Gangsterfilme der frühen nuller Jahre erinnert. Kult kann man nicht bestellen, und das Bemühen des Films um sympathische Lässigkeit ist ein bisschen zu ausgestellt. Hinter dem Herumalbern versteckt sich aber ein ernsthaftes Anliegen, nämlich der Kampf um die Erhaltung des Gälischen.

Die Band performt nicht nur gälische Texte, sie kämpft auch an vorderster Front um dessen Erhaltung. Die deshalb notwendigen Untertitel werden mit rotziger Ironie als Statement gegen die britische Kolonialisierung kommentiert, und ein Titel am Ende des Films verweist auf das anhaltende Aussterben von einheimischen Sprachen.

Man spürt, dass es entscheidend ist in Belfast, ob man englisch spricht oder gälisch. In einem Film wirkt das fast doppelt, ist man doch so sehr gewöhnt an die Dominanz des Englischen. Die krawallige Geschichte verliert sich leider zunehmend in einem süssen Pathos, das dieser mitreissenden Musik viel von ihrer rebellischen Wucht nimmt.

Dennoch vermittelt sich ein Gefühl, das man so auch aus musikalischen Strömungen wie dem amerikanischen Hip-Hop oder dem Punk kennt: ein Trotz, der aus den unteren Schichten einer Gesellschaft kommt und der folglich nicht nach den Regeln spielen muss, die sonst jede Form des Widerstands unter sich begraben.

KNEECAP | Official Trailer (2024)

Exit mobile version