Montag, Februar 24

Weinfelden will darüber abstimmen, ob muslimische Grabfelder auf dem Friedhof eingerichtet werden dürfen. Bislang gibt es nur wenige Grabfelder in der Schweiz. Doch das könnte sich ändern.

Akkurat geschnittene Buchshecken, gepflegte Grasflächen, schlichte Gräber: Der Friedhof in Weinfelden sieht aus wie jeder andere, ein Ort der Stille und Trauer, letzte Ruhestätte für verstorbene Gemeindemitglieder. Doch die friedliche Ruhe wird seit kurzem gestört.

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Auslöser ist ein Beschluss des Stadtparlaments vom Dezember. Laut diesem sollen maximal siebzig Gräber mit Ausrichtung nach Mekka angelegt werden. Dagegen hat die EDU, genauer der Kantonsrat Lukas Madörin, das Referendum ergriffen. Am 18. Mai wird darüber abgestimmt. Madörin argumentiert unter anderem mit der langen Tradition der religiösen Neutralität auf dem Friedhof, der Islam löse zudem «bei vielen Leuten ein gewisses Unbehagen aus», sagte er der NZZ.

In Weinfelden leben 12 000 Einwohner, etwa zehn Prozent von ihnen sind Muslime. Bislang gibt es in dem Ort keine Möglichkeit, sich nach den Vorgaben des Islam bestatten zu lassen. Das soll sich nun ändern. Das Stadtparlament hält in der neuen Friedhofsordnung aber ausdrücklich fest: Das neue Grabfeld sei nicht Muslimen vorbehalten, sondern «steht allen Glaubensrichtungen und auch nicht religiösen Personen zur Verfügung».

Die Regeln des Islam sehen vor, den Leichnam mit Blick nach Mekka in einem Leichentuch zu begraben. Die Erde sollte zudem «rein» sein, also nicht schon zuvor als Grabstätte genutzt worden sein. Ausserdem darf die Totenruhe nicht gestört werden. Nach Schweizer Recht werden Gräber jedoch nach 20 bis 25 Jahren ausgehoben. Das wäre auch beim geplanten Grabfeld der Fall und ist ein gängiger Kompromiss in vielen Gemeinden.

Die meisten grossen Schweizer Städte haben inzwischen muslimische Grabfelder. Widerstand gab es in der Vergangenheit aber immer wieder, meistens von rechts: In St. Gallen hatte sich die SVP vor Jahren gegen das mittlerweile angepasste Friedhofsgesetz gesperrt, das es den Gemeinden erlaubt, Grabfelder für Muslime abzugrenzen. In Luzern hatte die Junge SVP die Aufhebung der Grabfelder verlangt, und in Lausanne hatte die SVP eine Petition lanciert, um das Projekt zu verhindern.

In Weinfelden kamen innert drei Tagen genügend Unterschriften für das Referendum zusammen.

Zu den Unterstützern des Referendums zählen der frühere Präsident der Thurgauer Kantonalbank René Bock, die Thurgauer SVP-Nationalräte Pascal Schmid und Manuel Strupler, der Weinfelder SVP-Politiker Stefan Wolfer, der frühere «Weltwoche»-Journalist Markus Schär. Sie argumentieren in ihrem Aufruf: «Eine individuelle Regelung für eine Gemeinschaft kann einen Präzedenzfall schaffen, der dazu führt, dass auch andere religiöse Gruppen oder Untergruppen ähnliche Sonderregelungen fordern.»

«Die Gegner fürchten sich vor dem vermeintlich Fremden»

Die Bundesverfassung von 1874 hat Friedhöfe zur Sache der politischen Gemeinden anstelle der Kirchen gemacht. So sollte sichergestellt werden, dass alle Personen würdevoll bestattet werden und niemand ausgeschlossen wird. Die Beerdigung ist seither also eine bürgerliche Institution und die Konsequenz der verfassungsmässigen Glaubensfreiheit.

Damit gehe aber auch die Freiheit einher, sich nach eigenen Glaubensüberzeugungen bestatten zu lassen, argumentiert die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS). Die Ausrichtung der Gräber nach Mekka falle gar nicht auf, sagt die Geschäftsführerin Sarah Kahn der NZZ. Sie sieht in dem Referendum etwas anderes: Die Debatte in Weinfelden sei polemisch geführt worden, «die Gegner fürchten sich vor dem vermeintlich Fremden».

Die Föderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz hält Weinfelden für einen Einzelfall: «Von vergleichbaren Widerständen oder Protesten in anderen Gemeinden ist uns nichts bekannt», sagt der Sprecher Pascal Gemperli. Bis anhin hätten Gemeinden muslimische Grabfelder eingerichtet, «ohne dass dies auf nennenswerte Gegenwehr gestossen wäre».

Allerdings hält Gemperli die Formulierung des Friedhofsreglements in Weinfelden für problematisch. Mit der Erwähnung von Mekka könne die Neutralität infrage gestellt werden. Andere Gemeinden wie Lausanne vergäben zwar ebenso Grabfelder an ganze Religionsgemeinschaften, formulierten dies aber neutraler.

Nur wenige muslimische Grabfelder in der Schweiz

36 Grabfelder gibt es derzeit in der Schweiz, auf denen muslimische Bestattungen möglich sind, darunter in Zürich, Bern und Lausanne. Dabei leben laut Bundesamt für Statistik (BfS) 455 000 Muslime in der Schweiz, im Thurgau sind es 17 000. In dem Kanton können Muslime bis jetzt nur in Frauenfeld nach islamischem Brauch begraben werden, allerdings nur, wenn sie auch Einwohner der Stadt waren. Solche Regelungen haben viele Gemeinden.

Wenn es keine Verträge mit Nachbargemeinden, die über solche Grabfelder verfügen, gibt, bleibt den Angehörigen nur die Möglichkeit, Verstorbene ohne religiöse Vorgaben bestatten zu lassen. Andernfalls können sie ihre verstorbenen Familienmitglieder in ihr Heimatland zurückführen lassen – beziehungsweise in das Land ihrer Vorfahren.

Solche Rückführungen sind aber bürokratisch aufwendig und kostspielig, sie können sich auf mehrere tausend Franken belaufen. Mehrere muslimische Bestattungsunternehmen in der Schweiz haben sich darauf spezialisiert. Sie sprechen von 80 bis 95 Prozent der Muslime, die sich nach ihrem Ableben lieber in ihren Herkunftsländern begraben lassen würden. Belegt ist das aber nicht. Das BfS hat dazu keine Statistiken, weder zur Zahl ausgeführter Leichname noch zur Zahl der in der Schweiz bestatteten Muslime.

Doch längst leben Muslime in zweiter, dritter oder vierter Generation in der Schweiz, ihre Heimat ist die Schweiz. Eine Rückführung in das Land ihrer Urgrosseltern sei für viele keine Option mehr, sagt die GMS-Geschäftsführerin Kahn. Sie sagt: «Immer mehr Muslime wollen in ihrer Schweizer Heimat bestattet werden» – der Bedarf an muslimischen Grabfeldern wachse stetig.

Was folgt, wenn Weinfelden im Mai gegen ein Grabfeld nach muslimischen Vorgaben stimmt? Für Muslime in der Schweiz wäre ein solcher Entscheid eine weitere Zurückweisung, sagt die Minderheitenvertreterin Kahn: «Er würde zu noch mehr Fremdheit führen, und das, obwohl viele Muslime in der Schweiz geboren sind. Sie haben einen Schweizer Pass und sind doch nicht erwünscht in diesem Land.»

Kahn verweist auf das Minarettverbot von 2009, hinzu komme das seit diesem Jahr geltende Burkaverbot. Sie beobachte seit dem islamistischen Terroranschlag in den USA im September 2001 eine Zunahme von «antimuslimischem Rassismus» in der Schweiz. Der Protest in Weinfelden sei dafür symptomatisch.

Parteigründung als Reaktion

Ausgerechnet in Weinfelden kündigte nun ein Muslim die Gründung einer neuen Partei an: der Islamischen Volkspartei Schweiz (IVP). Die Gründung erfolge unabhängig vom laufenden Streit über muslimische Grabfelder, aber als Reaktion auf die SVP: «Wir wollen ein Gegengewicht zur SVP sein und den Leuten erklären, dass der Islam anders ist, als er im Fernsehen dargestellt wird», zitiert «20 Minuten» den Initiator Besim Fejzulahi. Die IVP soll am 1. März offiziell gegründet werden – zum Beginn des Ramadan.

Fejzulahi plant unter anderem eine Initiative mit dem Ziel, das Minarettverbot zu revidieren, er fordert Schulunterricht in der «Herkunftssprache» und Steuergelder für Moscheen. Das Egerkinger Komitee, Urheber der Minarettinitiative, hat bereits angekündigt, die Partei «genau zu beobachten».

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