Sonntag, Dezember 22

Kirchen beherbergen auch Kunstwerke: sechs sakrale Räume, die man wegen ihrer einzigartigen Architektur, neuen Designs oder zeitgenössischer Kunst besichtigen sollte.

In den Ferien kann es schon einmal vorkommen, dass man eine Kirche besichtigt. Zu Hause eher nicht: Selbst die Kirchen in der unmittelbaren Nachbarschaft haben viele noch nie von innen gesehen. Dabei bieten sie viele Überraschungen im Hinblick auf Design, zeitgenössische Kunst und Architektur. Und: Die Kirchen sind naturgemäss ja auch noch frei von Dichtestress und lärmigem Zivilisationsrausch.

Im Kunsthaus Zürich ist derzeit die Retrospektive der Künstlerin Marina Abramović zu sehen. Als Satellit dazu ist Abramovićs Arbeit «Four Crosses» in der Zürcher Wasserkirche bis am 5. Januar 2025 ausgestellt. Die Künstlerin stellt sich auf vier überdimensionalen Kreuzen dar – als gut und böse. In der christlichen Tradition sind für Frauen ebendiese zwei Rollen vorgesehen: die Gute (die heilige Maria) oder die Böse (die Verführerin).

Die Wasserkirche, in der es seit der Reformation keine Kruzifixe und religiösen Bilder gibt, stellt sich damit zur Verfügung, dringliche gesellschaftliche Fragen zeitgemäss zu verhandeln, und das nicht nur in Bezug auf geschlechterspezifische Inhalte, die einem als Erstes in den Sinn kommen dürften.

«Four Crosses» wird erstmals in einer Kirche ausgestellt, bisher zeigten nur Museen die Arbeit. Dass Kunst in der Wasserkirche stattfindet, ist derweil nicht ungewöhnlich – die Programmation in dieser Kirche ist wunderbar unverkrampft, da man verschiedenen Milieus, Alters- und Interessengruppen regelmässig die Türe öffnet. Ausstellungen, aber auch der Morgen-Rave am Tag der Street Parade oder ein Festival der Stille fanden dieses Jahr in dieser Kirche statt.

Marina Abramovićs Arbeit «Four Crosses» kann bis 5. Januar 2025 von dienstags bis sonntags von 15 bis 20 Uhr in der Wasserkirche besucht werden. Infos finden sich hier.

Der Schweizer Designer Frédéric Dedelley hat in der neobarocken katholischen Kirche St. Anna in Schindellegi, von 1907 bis 1909 erbaut, das liturgische Mobiliar der Kirche in diesem Jahr subtil neu gestaltet. Der Chorraum mit Taufstein, Altar, Ambo (der «Tisch des Wortes») ist nun mit drei Steinblöcken aus dem Rheintal bestückt. Sie sind nur teilweise geformt und geschliffen und behalten dadurch ihren natürlichen Charakter.

Damit fand ein fast unbearbeitetes Stück Natur Einzug in den barocken Bau, und das, obschon der Barock vornehmlich mit einer künstlichen Lebenswelt assoziiert wird.

Ebenfalls neu sind die Sedilien (die typischen Priesterhocker oder auch der Sitz im Altarraum), das Kreuz und die Kerzenständer. Die strukturiert-elegante Schlichtheit kontrastiert die Opulenz der katholischen und heute renovierten und restaurierten Kirche.

Liturgisches Mobiliar, entworfen von Frédéric Dedelly: Messing, Naturstein und Holz sind die Materialien, mit denen der Designer vornehmlich arbeitete.

Infos zur katholischen Kirche St. Anna, Schindellegi, finden sich hier.

In Meggen steht eine katholische Kirche, die eigenwilliger und faszinierender nicht sein könnte. Die Piuskirche, zwischen 1964 und 1966 gebaut, kommt ohne opulente Ornamentik oder reich verziertes liturgisches Mobiliar daher. An einem tristen Tag könnte die Piuskirche aus der Ferne wie ein ästhetisch sehr gelungener Industriebetrieb wirken. Aus der Nähe und vor allem im Inneren allerdings zeigt sich die ganze faszinierende Schönheit dieses Baus des Architekten Franz Füeg (1953–1991).

Der 13 Meter hohe, quadratische Kubus ist eine Stahlkonstruktion und bildet den Rahmen für Hunderte griechischer, nur 20 bis 28 Millimeter dünner Marmorplatten. Dadurch sind sie lichtdurchlässig. Der polierte Marmor an der Aussenseite wirkt bei sonnigem Wetter wie leuchtende Gletscher.

Im Innenraum des fensterlosen Baus wird die Struktur des dünn geschnittenen Marmorsteins erlebbar. Je nach Lichteinfall und Wetterverhältnissen erscheint der Innenraum der Piuskirche zart blau, gelb bis orange.

Die Piuskirche besitzt eine bauliche Nüchternheit, Sachlichkeit und strenge Ordnung, gleichzeitig strahlt sie Wärme und Wohlgefühl aus. Kein Wunder, ist sie eine Architekturikone und im Schweizer Kulturgüterverzeichnis als «Kulturobjekt von nationaler Bedeutung» verzeichnet.

Informationen zur Piuskirche in Meggen finden sich hier.

Zwischen 1992 und 1996 wurde die vom Tessiner Architekten Mario Botta (geboren 1943) entworfene San-Giovanni-Battista-Kirche im Bergdorf Mogno erbaut. Wo einst eine Kirche aus dem 17. Jahrhundert stand (sie wurde durch eine Lawine in den 1980er Jahren zerstört), steht heute eine Kirche, die in ihrer Form und Materialität im Kontrast zum alten Bergdorf steht.

Die Form des fensterlosen Gebäudes ist oval-zylindrisch mit einem schrägen, verglasten Abschluss. Der turmartige Bau hat im Inneren eine ringförmige Struktur: Schichtenweise wechseln sich heller, gesägter Marmor und grauer, gehauener Gneis ab. Beide Gesteine stammen aus dem Tessin.

Der Innenraum ist rechteckig und verläuft nach oben hin zum runden, geneigten Glasdach, das die Kirche je nach Wetter immer neu beleuchtet.

Durch ihre Materialität und Form wirkt die Kirche denn auch nicht wie ein aufdringliches architektonisches Ausrufezeichen, sondern ergänzt das bergdörfliche Idyll um ein zeitgenössisches Element. Die Kirche, im Inneren rechteckig und zum Dach hin abgerundet, strahlt etwas Bewegtes und Aufregendes aus. Trotz aller steinmassiven Reduktion und Strukturiertheit fühlt man sich aufgehoben, gar geborgen.

Sehr schön ist auch die Wassertreppe aussen: Im 45 Grad geneigten Dach wird das Regenwasser gesammelt und auf eine Treppe geleitet. Im Inneren setzt sich die Treppe unter dem Glasdach als bogenartige Himmelsleiter fort.

Hier finden sich weitere Informationen.

Die römisch-katholische Kirche in Hérémence ist ein Highlight unter den brutalistischen Bauten. Entworfen hat sie der Schweizer Architekt und Bildhauer Walter Maria Förderer (1928–2006).

Förderer wollte mit seinen Kirchenbauten Lebensräume gestalten, die über die rein religiöse Nutzung hinausgehen. So beherbergt der Sichtbetonbau neben den kirchlichen Räumen auch eine Postfiliale, einen Laden und ein Café. Dies ist möglich, weil sich die Kirche auf verschiedenen Ebenen zirka 17 Meter in die Höhe streckt.

Technisch gesehen war der Bau eine Herausforderung im Zentrum von Hérémence – dennoch aber umso nachhaltiger, weil er vollkommen ins Dorfleben eingebettet ist: Hier holt man die Post ab, geht in die Bibliothek, verschafft sich einen Überblick auf der Aussichtsplattform.

Im Inneren verschlägt einem die Kirche den Atem: Sie ist riesig und verschachtelt. Das Mobiliar leuchtet warm aus Holz, kontrastiert den Sichtbeton und orientiert sich dabei am Pragmatismus der klaren Linien des Gebäudes. Alles schmiegt sich an- und ineinander und strahlt mit all den architektonischen Einbuchtungen, Einlassungen und Winkeln etwas Verspieltes aus.

Informationen zur Kirche im Walliser Hérémence finden sich auf dieser Website.

Das Designstudio Hot Wire Extension hat vor kurzem ein neues Beleuchtungskonzept für die katholische Pfarrkirche St. Martin in Trun realisiert. Für die barocke Kirche im Kanton Graubünden gestaltete das Studio von Fabio Hendry sechs Leuchtobjekte mit je sieben Armen. Die Zahl sieben steht in der Bibel für Vollständigkeit und Ganzheitlichkeit.

Statt mit lokalem Sand, wie sonst für das Designstudio üblich, arbeitete Fabio Hendry für die Leuchten der Kirche erstmals mit Marmorsand – eine Referenz an den Barock, als man vornehmlich edle Materialien wie Marmor, spezielle Hölzer oder beispielsweise Gold nutzte. Die Leuchten des Studios sind in organischer Form gestaltet – ein sehr sensibel durchgesetzter Kontrast zur «Künstlichkeit» vieler barocker Kirchen. Der Kontrast ergibt bei aller Traditionsgebundenheit Sinn: Im Bau und in der Gestaltung von Kirchen spiegelten sich immer schon die zeitgenössischen Verfahren und Techniken.

Es braucht nicht viel, damit ein Raum moderner wirkt. Die Truner Barockkirche ist mit den sechs neuen Leuchtobjekten jedenfalls im Jahr 2024 angekommen.

Informationen zur katholischen Pfarrkirche St. Martin in Trun finden sich unter diesem Link.

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