Mittwoch, Februar 12

Gerresheimer ist der letzte Fall in einer Reihe: Frankfurter Börsenwerte werden immer häufiger zu billigen Kaufobjekten. Auch aufgrund des eigenen Missmanagements und mangelhafter Governance, die Finanzinvestoren ausnutzen.

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Wir leben in spannenden Zeiten: Digitalisierung und künstliche Intelligenz versprechen Produktivitätsgewinne und verändern die Art, wie wir leben und arbeiten. Das zeigt sich etwa bei der Medikamentenforschung, siehe die Fortschritte bei der Gensequenzierung, bei mRNA-Wirkstoffen wie bei Biontech oder der Entwicklung von Abnehmpräparaten. Ausserdem schreitet die Elektrifzierung der Wirtschaft voran, die hohe Investitionen erfordert, aber auch Absatzchancen bietet.

Wer an der Börse in Deutschland nach neuen Unternehmen sucht, die an diesen Trends verdienen, findet wenig und leider zunehmend noch weniger. Zwar bereiten einige Unternehmen den Börsengang vor, darunter der Elektrifizierungsgewinner Pfisterer. Doch zuletzt sind mehr Unternehmen von der Börse verschwunden, als neue hinzukommen. Am Freitag machte der Hersteller von Medikamentenverpackungen Gerresheimer Gespräche mit Private-Equity-Investoren öffentlich, nachdem die Nachrichtenagentur Bloomberg darüber berichtet hatte.

Gerresheimer könnte der jüngste Eintrag werden in der Reihe der grössten Übernahmen börsengelisteter deutscher Gesellschaften der vergangenen drei Jahre. Dort finden sich nicht nur die Commerzbank und der Chemiekonzern Covestro, sondern auch die Softwareunternehmen Compugroup und Software AG. Viele dieser Unternehmen sind schon ganz oder teilweise in Besitz von Private-Equity-Fonds.

Für Privatanleger ist die Entwicklung aus verschiedenen Gründen negativ, auch wenn es zunächst oft eine positive Kursreaktion gibt.

Unzureichender Schutz der Minderheitsaktionäre

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), hat das Problem am Beispiel der drei Düsseldorfer Übernahmekandidaten und -objekte Gerresheimer, Metro und Ceconomy beschrieben:

Damit schrumpft der Kurszettel potenziell um weitere drei traditionelle Player, nachdem es bereits einige Small- und Mid-Cap-Unternehmen getroffen hat. Zufall ist das alles nicht – weder der Zeitpunkt noch die Kumulation der Ereignisse. Die Unternehmen stecken oder kommen aus schwierigen Zeiten, haben einen Durchhänger oder schon länger mit Herausforderungen zu kämpfen.
Alle drei haben zugleich eine positivere Perspektive vor sich.
Private-Equity-Investoren wollen diese für sich allein nutzen und das zukünftige Potenzial reservieren. Insofern ist ein Going Private auch nichts wirklich Aussergewöhnliches. Das Problem fängt aber an, wenn Investoren keinen ausreichenden Schutz bei derartigen Vorgängen geniessen. Das ist leider hierzulande der Fall.

Tüngler kritisiert unter anderem das Verfahren, nach dem der faire Preis für ein Übernahmeangebot kalkuliert wird. Er zeigt dies am Beispiel des Handelskonzerns Metro.

Daniel Kretinsky droht mit einem Delisting. Voraussetzung dafür ist (allein) ein am Kurs der letzten sechs Monate orientiertes Übernahmeangebot. Der Metro-Kurs allerdings war eine lange Zeit arg im Keller verhaftet. Der wahre, innere Wert ist bei dem Delisting-Angebot irrelevant. Das macht einen billigen Ausverkauf unserer Traditionsunternehmen einfach sowie zugleich höchst preiswert möglich.

Finanzinvestoren wie Kretinsky und die meist in den USA beheimateten Private-Equity-Gesellschaften nutzten dies aus, warnt Tüngler. «Bevor der Kurszettel weiter schrumpft, muss sich die neue Bundesregierung unverzüglich um dieses Thema kümmern, um dem Ausverkauf weit unter Wert ein Ende zu setzen», fordert er und hat dafür gute Argumente auf seiner Seite. Der Schutz der Minderheitsaktionäre ist ein hohes Gut und sollte verbessert werden.

Schwache Governance und Missmanagement

Finanzinvestoren profitieren aber nicht nur von der niedrigen Bewertung kleinerer Aktien und vom schwachen Rechtsschutz der Privatanleger, sondern auch von Fehlern der Unternehmensführer bei kotierten Gesellschaften. Oft sind es ausgerechnet die Vertreter der Aktionäre im Aufsichtsrat und die von ihnen bestellten Manager, die den Angreifern Tür und Tor öffnen.

Fünf Übernahmeobjekte und -kandidaten

  • Gerresheimer: Die Unternehmensführung machte viel zu optimistische Ansagen, die sie dann nicht einhalten konnte. CEO Dietmar Siemssen verspielte zuletzt das Vertrauen des Marktes, nachdem er seine viel zu optimistische Prognose hatte zurücknehmen müssen. Das könnte Private-Equity-Fonds nun einen günstigen Einstieg ermöglichen.
  • Compugroup: Der Anbieter von Software für Arztpraxen und Krankenhäuser schockte mit einer heftigen Gewinnwarnung im Juli 2024 die Anleger. Seit dem Corona-Hoch bei 85 € haben die Aktien sogar fast zwei Drittel ihres Werts verloren. Nicht zuletzt die teure Expansion ins margenschwache Geschäft mit Krankenhäusern belastet. Ausserdem muss kräftig in die Softwareplattform investiert werden. Die Beteiligungsgesellschaft CVC hat mit ihrem Übernahmeangebot bereits die Mindestannahmeschwelle von 17% überschritten. Die Familie von Gründer Frank Gotthart will weiterhin 51,1% halten. «Langfristig orientierte Anleger hatten wahrscheinlich auf einen Restrukturierungsprozess gehofft, der den intrinsischen Wert des Unternehmens enthüllt und werden das Angebot daher nicht mögen», urteilte Berenberg-Analyst Wolfgang Specht im Dezember.
  • Software AG: Der ehemals zweitgrösste deutsche Softwarekonzern nach SAP profitierte anders als viele Branchenrivalen kaum vom Tech-Boom, das Wachstum enttäuschte. Die Private-Equity-Gesellschaft Silver Lake übernahm 2023 den Konzern. Seitdem hat sie Teile des Unternehmens abgespalten und verkauft. An den Umständen der Übernahme gab es viel Kritik von Aktionärsvertretern und Governance-Experten.
  • Evotec: Beim Hamburger Auftrags-Pharmaforscher liess der Aufsichtsrat den damaligen CEO Werner Lanthaler lange gewähren, bis nicht gemeldete Insidergeschäfte 2024 zu seinem abrupten Abschied führten. Der Kurs ist seither eingebrochen, weil die Versäumnisse der Ära Lanthaler bekannt wurden: Das Unternehmen hatte seit mehr als zehn Jahren keine Strategie-Review vorgenommen, diese läuft nun. Der Wettbewerber Halozyme zog sein Übernahmeangebot zurück. Aber die Private-Equity-Gesellschaft Triton ist im November 2024 mit rund 10% eingestiegen, was Spekulationen über ein Übernahmeangebot ausgelöst hat.
  • Ströer: Das Medienunternehmen hat Interessebekundungen der Private-Equity-Gesellschaften Hellman & Friedman und KKR für sein Stammgeschäft mit Aussenwerbung erhalten, meldete Bloomberg am 10. Januar. Erste indikative Angebote für die Sparte lägen deutlich oberhalb der Marktkapitalisierung von Ströer, teilte das Unternehmen mit. Das wirft die Frage auf, warum die Investoren an der Börse diesen Wert nicht sehen. Möglicherweise hat das auch mit der Governance und der mangelnden Transparenz in der Finanzberichterstattung zu tun, die immer  wieder in der Kritik standen.
  • Commerzbank: Die Bankführung wurde ebenso wie die Bundesregierung völlig überrumpelt vom Einstieg der Unicredit. Und das, obwohl die Italiener über die Jahre mehrfach ihr Interesse am Bundes-Anteil an der Bank signalisiert hatten. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein bekräftigte am Montag beim Neujahrsempfang der Deutschen Börse: «Feindliche Übernahmen sind hier nicht willkommen.» Er forderte Unicredit zum Rückzug auf und ermunterte «alle, die dafür zuständig sind» dazu, genau zu prüfen, ob beim Aufbau der Position an Aktien und Finanzinstrumenten durch Unicredit alle Regeln eingehalten worden seien. Viele Beobachter bezweifeln jedoch, dass die Übernahme noch verhindert werden kann.

Die sechs aufgeführten Beispiele zeigen: Missmanagement und schwache Governance versenken den Aktienkurs in Tiefen, wo Finanzinvestoren günstig zugreifen können. Private-Equity-Manager dagegen greifen nach dem Kauf hart durch und tolerieren viel seltener solch eklatante Missstände, wie sie bei kotierten Unternehmen leider allzu oft vorkommen.

Der beste Schutz vor Übernahmen ist eine starke Unternehmensführung, die selbst das volle Potenzial des Geschäftsmodells ausschöpft und weiterentwickelt.

Freundlich grüsst im Namen von Mr. Market

Mark Böschen

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