Montag, Oktober 28

In Davos verabschiedet die SP zwei teilweise widersprüchliche Resolutionen.

Cédric Wermuth kannte das Kongresszentrum in Davos bisher nur von aussen. Damals, als er die Juso präsidierte, demonstrierte er gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF). Doch der Sicherheitsdienst hätte ihn sicher nicht hereingelassen, sagt er an diesem Wochenende in Davos. Nun darf er rein, als Co-Präsident der SP ist er gewissermassen Gastgeber des zweitägigen sozialdemokratischen Parteitages. Drei Monate vor der abermaligen Durchführung des WEF prangen am Gebäude Flaggen aus unzähligen Ländern, darunter die israelische. Und am Laptop einer Genossin die palästinensische.

Es ist das Spannungsfeld, in dem sich die SP gerade bewegt. Keine Partei in der Schweiz treibt der Nahostkrieg so um wie die SP. Und keine Partei tut sich so schwer damit, sich in diesem Konflikt zu positionieren.

Vor eineinhalb Wochen ist bekannt geworden, dass die Juso Schweiz die politische Bewegung «Boycott, Divestment and Sanctions» (BDS) unterstützt. Sie fordert zum Boykott gegen israelische Güter und Dienstleistungen auf. Deutschland, Österreich oder Tschechien stufen die Bewegung offiziell als antisemitisch ein.

In den darauffolgenden Tagen schwieg sich die SP zur BDS-Bewegung aus. Wermuth, für gewöhnlich um kein Statement verlegen, liess entsprechende Anfragen unbeantwortet. Ob er den Parteitag abwartete?

Der Versuch des Mittelweges

Der zweitägige sozialdemokratische Parteitag ist zum einen «Kraftort», zum anderen basisdemokratische Selbstfindung: Neben finanz- und gesundheitspolitischen Positionspapieren war auch der Nahostkonflikt traktandiert, namentlich mit zwei israelkritischen Resolutionen.

Schon die von der Parteileitung vorgeschlagene Resolution nimmt beide Kriegsparteien in die Pflicht, Israel und Palästina. «Alle Parteien müssen ihre Waffen sofort niederlegen», heisst es etwa. Und die militärische Zusammenarbeit mit «sämtlichen beteiligten Staaten in der Region» sei einzustellen. Die Zusatzresolution indes soll jene der Parteileitung ergänzen, geht aber in einem Punkt weiter: Sie fordert nur für Israel ein Waffenembargo.

Wermuth sagte in seiner Eröffnungsrede: «Es gibt keine, aber auch wirklich keine Alternative zum Selbstbestimmungs- und Existenzrecht Israels und seiner Bevölkerung.» Religiös-nationalistische Schergen wie die Hamas, der Hizbullah oder das iranische Regime könnten niemals Verbündete sein. Die romantische Verklärung solcher Islamofaschisten zu vermeintlichen Befreiungskriegern sei «ein falscher, dummer und verheerender Kurzschluss». Einerseits.

Andererseits warb Wermuth um Verständnis für die palästinensischen Anliegen. Auch zum Selbstbestimmungsrecht der palästinensischen Bevölkerung und zum Existenzrecht Palästinas gebe es «wirklich keine Alternative». Zur Wahrheit gehöre zudem, dass sich die israelische Kriegsführung nicht mehr rechtfertigen lasse.

Wermuth hätte damit das weiterführen wollen, was der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch einen «nicht überzeugenden Mittelweg» nannte. Verständnis für beide Seiten, Kritik an beiden Seiten. Wermuth versuchte, seiner Partei eine Argumentation zu bieten, mit der alle leben konnten.

«Absolute Mutlosigkeit»

Doch vielen ging der Vorschlag des Präsidiums offenbar zu wenig weit. Mélanie Rufi, Vizepräsidentin der Juso, nannte ihn eine «absolute Mutlosigkeit». Die SP habe eine «Schwäche, Dinge beim Namen zu nennen». Eine Rednerin trug ein Palästinensertuch. Der Genfer Ständerat Carlo Sommaruga sagte auf der Bühne, es sei die moralische Pflicht der SP, konkrete Anti-Israel-Massnahmen einzufordern. Den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verschwieg Sommaruga in seinem Votum.

Die Delegierten nahmen deshalb nicht nur die von der Parteileitung vorgeschlagene Resolution an, sondern auch die Zusatzresolution. Dass das Präsidium die Annahme der Letztgenannten empfahl, missfiel einigen Genossen. Sie hatten sich gewünscht, dass die Parteileitung gegen die «zu einseitige» Zusatzresolution opponiert. Und der wegen eines Auslandsaufenthalts abwesende Jositsch sagte am Telefon, er bedaure den Beschluss. «Es bestätigt das, was ich seit einiger Zeit beobachte: Dass eine Mehrheit in der Partei einseitig denkt.» Es mangle an Verständnis für Israel.

Dass das Ja der Juso zur BDS-Bewegung am Parteitag kein Thema war, stützt Jositschs Standpunkt. Auf den Juso-Beschluss angesprochen, sagte Wermuth immerhin: «Das hätte ich nicht gemacht.» Er glaube aber nicht, dass die Juso antisemitisch sei oder Israel infrage stelle. Wermuth störte sich dafür an Bundesbern, an den Parteien und den Medien, die einem das Gefühl gäben, sich für eine Seite entscheiden zu müssen – «entweder kritiklos pro Israel zu sein oder zu behaupten, die palästinensische Bewegung bestehe nur aus edlen Freiheitskämpfern». Beides stimme nicht. Es werde einem vermittelt, man könne nur auf der einen oder anderen Seite stehen und müsse die jeweiligen Taten ohne Kritik verteidigen.

Auf einen Satz stiess man in Davos in verschiedenen Variationen: Die Juso müsse selbst wissen, was sie mache. Auch Wermuth sagt das.

Dabei lässt sich die heutige SP gar nicht ohne die Juso erklären. Wermuth führte die Tochterpartei einst an – und in die Öffentlichkeit. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hat genauso eine Juso-Vergangenheit wie Nationalrat Jon Pult. Oder die heutigen Nationalräte David Roth, Tamara Funiciello und Fabian Molina: Sie alle standen der Juso schon vor.

Wermuth sagt, die Juso sei für die SP «wie die U 21 für die Schweizer Nationalmannschaft». Der Nachwuchs, die SP-Köpfe von morgen. Ein Juso-Mitglied formuliert es in Davos ein bisschen anders. Die Jungpartei sei «ein Dorn im Arsch der SP».

SP will Schuldenbremse abschaffen

Und noch einmal setzten sich die Jungsozialisten an diesem Wochenende gegen das Präsidium durch: Als der Parteitag über ein Positionspapier für die Finanzpolitik debattierte, stimmte er auch über einen Antrag ab, der unter anderem aus der Juso-Feder stammt. Er fordert die Abschaffung der Schuldenbremse, weil unnötige Verteilkämpfe den Gestaltungsspielraum verkleinerten. Das SP-Präsidium war gegen die Abschaffung der Schuldenbremse, aufgrund der «politischen Durchsetzbarkeit». Aber Idealismus schlug Realismus, der Antrag setzte sich nach mehrminütigem Nachzählen durch.

Die Juso von gestern erlebt das, was schon die Vorgänger erlebten: Die Parteispitze der SP kann so links sein, wie sie will: Die Juso ist immer linker – und scheint gerade mächtiger zu werden.

Exit mobile version