Der Krieg erreichte Saied Hijazi am 1. Dezember. «Wir hatten um sieben Uhr morgens mit der Arbeit begonnen», erzählt der Vater von sechs Söhnen und vier Töchtern. «Dann begann der Angriff. Das Gewächshaus, in dem wir uns befanden, wurde von einer Granate getroffen.» Zum Glück sei niemand verletzt worden. Doch er habe um sein Leben gefürchtet und sich deshalb entschieden, seinen Bauernhof zurückzulassen.
Während mehr als vier Monaten lieferten sich die israelischen Streitkräfte (IDF) heftige Kämpfe mit den Terroristen der Hamas in Khan Yunis, wo sich die Felder von Saied Hijazi befinden. Der Bauer harrte in seinem Wohnhaus im weiter südlich gelegenen Rafah aus – doch Anfang Mai rückten die IDF auch dort vor. «Wir fanden keinen anderen Ort mehr, an den wir gehen konnten, ausser unseren Bauernhof.»
Dort präsentierte sich ihnen ein Bild der Verwüstung: Plattgewalzte Felder, zerstörte Gewächshäuser und vertrocknete Olivenbäume. «Es war eine ungeheure Zerstörung. Ich stand unter Schock», sagt Hijazi bei einem Treffen mit lokalen Mitarbeitern der NZZ. «Doch dann habe ich mir gesagt, dass mich Gott entschädigen wird.»
Grosse Teile der Anbauflächen sind zerstört
Der Krieg im Gazastreifen, den die Hamas am 7. Oktober mit ihrem Überfall auf die Kibbuzim und Städte im Süden Israels ausgelöst hat, hat die Landwirtschaft des Küstengebiets schwer getroffen. Israelische Panzer und Bulldozer haben Felder verwüstet, Explosionen haben Gewächshäuser zerfetzt, Pflanzen sind verdorrt und Nutztiere verendet. «Es ist eine Katastrophe», sagt Bahaa Zakut, Sprecher der Palästinensischen Vereinigung für landwirtschaftliche Entwicklung (Parc), einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation, die unter anderen mit der EU kooperiert. 28 Prozent der gesamten Anbaufläche in Gaza seien seit Kriegsbeginn zerstört worden.
Doch das ist noch nicht alles. «Die meisten Felder befinden sich im Osten des Gazastreifens», erklärt Zakut. «Sie gelten als militärisches Gebiet. Für die Bauern ist es nicht sicher, dorthin zu gehen.» So sind auch viele intakte Felder und Gewächshäuser seit Monaten nicht bestellt worden. Nur gerade 1500 von insgesamt 15 000 Hektaren Landwirtschaftsfläche seien überhaupt noch zugänglich, sagt Zakut.
Auch Analysen von Unosat, dem Satellitendienst der Vereinten Nationen, kommen zum Schluss, dass es um Gazas Landwirtschaft schlecht bestellt ist. Laut dem aktuellsten Bericht zum Monat Juni weisen 63 Prozent der permanenten Anbauflächen «einen erheblichen Rückgang in Gesundheit und Dichte» auf. Mithilfe von Satellitendaten wurde eruiert, wie sich die Bodenbeschaffenheit verändert hat. Die untenstehende Grafik zeigt das Ausmass der Schäden an der Landwirtschaft.
Die Bilder und die Daten aus dem All zeigen: Der Gazastreifen wird wieder zur Wüste. Die Hamas trägt einen wichtigen Teil der Verantwortung und nimmt bei ihren Operationen keine Rücksicht auf die Bauern, doch Israel hat mit seiner Kriegsführung erheblich zur Zerstörung beigetragen. Bereits sind Stimmen laut geworden, die Israel vorwerfen, mit der systematischen Zerstörung von Feldern und Gewächshäusern Kriegsverbrechen zu begehen.
Die israelische Armee teilt auf Anfrage mit, sie halte sich stets an internationales Recht: «Die IDF schädigen landwirtschaftliche Flächen nicht absichtlich und sind bestrebt, Umweltbelastungen zu vermeiden, es sei denn, es besteht eine operative Notwendigkeit.» Die Hamas hingegen lanciere oft aus Plantagen und Feldern heraus Angriffe.
Die Bedeutung der Landwirtschaft in Gaza
Der Zusammenbruch der Landwirtschaft in Gaza kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Produkte eigentlich dringend gebraucht würden. Internationale Experten stufen das Risiko einer Hungersnot nach wie vor als hoch ein, auch wenn sich die Situation durch verstärkte Hilfslieferungen jüngst leicht gebessert hat.
Schon vor dem Krieg war ein Grossteil der Bewohner des Gazastreifens auf Hilfsgüter angewiesen. Doch sie bezogen gemäss dem palästinensischen Statistikbüro mehr als 40 Prozent ihres Obstes und Gemüses aus lokaler Produktion. Im Jahr 2022 trug der Agrarsektor rund elf Prozent zum Bruttoinlandprodukt des Gazastreifens bei.
Leicht war es nie für die Bauern in Gaza; nicht nur wegen des Klimas und des teilweise hohen Salzgehalts im Wasser, sondern vor allem wegen der Blockade, die Israel und Ägypten nach der Machtübernahme der Hamas 2007 verhängt hatten. Viele militärisch nutzbare Güter wurden blockiert, um zu verhindern, dass die Islamisten sie zum Bau von Raketen und anderen Waffen nutzten. Güter wie Pestizide, Dünger oder Wasserpumpen unterlagen strengen Importkontrollen.
Doch die Bauern zeigten sich erstaunlich resilient. Auf jedem verfügbaren Quadratmeter bauten sie Weizen, Auberginen oder Chilis an oder pflanzten Olivenbäume. In Gewächshäusern gediehen Tomaten, Erdbeeren und Gurken. Trotz der Blockade waren auch Exporte möglich: Im Jahr 2022 wurden landwirtschaftliche Produkte im Wert von 45 Millionen Dollar ins Westjordanland, nach Israel und in die Golfstaaten geliefert.
Die meisten Bauern bewirtschafteten Parzellen von einer Hektare. Der Bauernhof von Saied Hijazi ist mit sechs Hektaren fast schon ein Grossbetrieb. Auf fünf Hektaren baute er Gemüse in Gewächshäusern an, auf dem restlichen Land standen 500 Zitrusbäume. Der Landwirt besass auch einige Schafe, Hühner und Kamele. Diese habe er aber zu Beginn des Krieges verkaufen müssen, da die Preise für das Tierfutter explodiert seien.
«Früher haben wir alle unsere Produkte auf dem lokalen Markt verkauft», sagt er. «Jetzt habe ich nichts mehr. Ich muss selber auf dem Schwarzmarkt einkaufen gehen, um meine Familie zu ernähren.»
Brunnen und Gewächshäuser sind zerstört
Bei der Begehung seiner Farm zeigt Saied Hijazi die Schäden, die bei den monatelangen Kämpfen entstanden sind. Eine Fläche von zwei Hektaren sei von Bulldozern plattgemacht worden, alle Bäume seien verdorrt. In mehreren Solarpanels klaffen Löcher von Schrapnellstücken. Auch Wasserleitungen und die Plastikplanen der Gewächshäuser wurden bei Explosionen zerfetzt. Dazu komme die Gefahr von mehreren nicht explodierten Granaten auf seinem Land, sagt er. «Ich glaube nicht, dass es für die israelische Armee einen Grund gab, all dies zu tun. Sie wollten sich wohl einfach an uns rächen.»
Die zerstörten Felder sind für die Bauern von Gaza ein kleineres Problem als die kaputte Infrastruktur. Diese kostet viel Geld und ist schwierig zu ersetzen. Von der Uno mittels Satellitenbildern erhobene Daten zeugen von grossen Schäden: So wurden rund zwei Drittel aller Solarpanels und 46 Prozent aller landwirtschaftlichen Brunnen beschädigt oder zerstört.
Besonders wichtig für die Landwirtschaft sind die Gewächshäuser, denn viele Pflanzenkulturen können nur in einem genau kontrollierten Klima gedeihen. Laut einer Analyse des Geografen He Yin von der Kent University wurden bis im März 23 Prozent der Gewächshäuser zerstört, weitere 42 Prozent wiesen Schäden auf.
Die Zahlen von Unosat hingegen sind tiefer: Demnach ist ein Drittel der Gewächshäuser zerstört oder beschädigt – wobei die Zerstörung in einzelnen Bezirken wie Gaza mit mehr als 80 Prozent besonders hoch ist.
Verschwindet die Hälfte der Felder in einer Pufferzone?
Trotz allem hat Saied Hijazi nicht aufgegeben – und gemeinsam mit seinen Söhnen mit dem Wiederaufbau seines Hofs begonnen. Bereits wachsen wieder erste Peperoni und Auberginen in den Überresten seiner Gewächshäuser. Dem Bauer ist es gelungen, mehrere Solarpanels aufzutreiben. «Allerdings habe ich dafür das Zehnfache des ursprünglichen Preises gezahlt», sagt er. Mit dem Strom konnte er einen von drei Brunnen wieder in Betrieb nehmen. Die wenigen Wasserleitungen, die intakt geblieben sind, hat er zusammengesetzt, um damit seine Pflanzen zu bewässern.
Bald will er mit seinem Gemüse nicht nur sich, sondern auch seine Angestellten und ihre Familien versorgen. Langfristig möchte er die Produkte auch auf den Märkten verkaufen. «Das wird helfen, die Preise für die Konsumenten zu senken», sagt er. Doch wie lange Hijazi noch weitermachen kann, ist unklar: «Das grosse Problem ist, dass es kaum mehr Samen und Setzlinge gibt», sagt er.
Das bestätigt auch Bahaa Zakut von der Organisation Parc. «Alle landwirtschaftlichen Betriebsmittel werden innerhalb der nächsten zwei Monate verbraucht sein», sagt er. Damit meint er sämtliche Güter, die für die Landwirtschaft erforderlich sind – von Samen über Wasserpumpen bis hin zu Plastikplanen, Düngemitteln und Solarpanels. Dazu komme die Kontamination des Bodens und des Grundwassers durch nicht explodierte Bomben.
So oder so werde der Wiederaufbau der Landwirtschaft Jahre dauern. Das Wichtigste sei aber, dass bald ein Waffenstillstand komme. «Niemand wird im Gazastreifen investieren, wenn alles sofort wieder zerstört werden kann», sagt Zakut. Doch noch etwas anderes erfüllt ihn mit Sorge: Israels Pläne, entlang der Grenze des Gazastreifens eine ein Kilometer breite Pufferzone zu errichten, die niemand betreten darf. «Mehr als die Hälfte des Agrarlandes würde in diese Zone fallen», sagt Zakut. Für viele Bauern wäre ihr Land endgültig verloren.
Adina Renner: Karten
Jonas Roth: Text
Gilles Steinmann: Bildredaktion
Jessica Eberhart: Satellitenbilder
Enas Tantesh: Bilder
Malak Tantesh: Interview
Amjed Tantesh: Organisation vor Ort
Satellitenbilder Einführung: Planet Labs LCB

