Die Strasse, die nach Rubaya führt, ist schwer passierbar, es ist Regenzeit. Autos und Lastwagen bleiben im Schlamm stecken, manchmal während Stunden. Es ist eine Gegend mit grossen grünen Hügeln, die Einheimischen nennen sie «la Suisse du Congo». Die Coltanmine ist von weitem erkennbar, sie sieht aus, als ob jemand eine riesige rostrote Wunde in die Hügellandschaft geschlagen hätte.
Während Jahren konnten Journalisten nicht nach Rubaya reisen. Der Minenort war umkämpft, stand unter der Kontrolle von Milizen und der kongolesischen Armee, die sich oft genauso gesetzlos verhält wie die lokalen Rebellengruppen. Auch die M23 verwehrte den Zugang, nachdem sie Rubaya im vergangenen Jahr erobert hatte. Doch Ende März konnte die NZZ als eines der ersten Medien wieder nach Rubaya fahren.
Im Dorf angekommen, muss man eine Viertelstunde den Hügel hochfahren, um zur Mine zu gelangen – auf Motorrädern, denn für Autos ist der Weg zu steil und schmal. Zuoberst öffnet sich die Landschaft. Rote Geröllfelder fressen sich in die Hügel. Tiefe Furchen und Krater durchziehen die Hänge. Arbeiter verschwinden in Löchern und kommen wieder heraus, aus der Ferne sehen sie aus wie Ameisen.
Vor einer Holzhütte wartet Patrice Gasore. Er trägt eine militärgrüne Mütze und Gummistiefel, stellt sich vor als Chef des Sektors Carrière D4. Gasore ist 33, früher arbeitete er für die Provinzregierung. Jetzt ist er bei der M23. Die Holzhütte dient als Kommandozentrale, von ihr aus überblickt Gasore die Felder, aus denen Kongos Mineralien kommen.
Gasore zeigt mit einem Stock auf den steilen Hang, auf dem Hunderte von Arbeitern herumkraxeln. Schaufeln scharren über die Erde, Generatoren brummen. Gasore sagt: «Kein Sektor in Rubaya gibt mehr Coltan her als dieser.»
Gasore eilt den Hang hinunter, in Richtung Mine. «Bevor wir von der M23 hierherkamen, war die Sicherheit schlecht, die Leute wurden von Milizen bedroht. Sie waren traumatisiert, arbeiteten nicht. Wir haben viel Wandel gebracht. Aber die Arbeiter sollen dir das selber erzählen», sagt der Rebell.
Die Ausbeutung in Kongo
Kaum ein Land ist so reich an Rohstoffen wie Kongo-Kinshasa. Schon während der Kolonialzeit gierte Belgien nach Kautschuk, Zinn und Diamanten. Heute fördern kongolesische Arbeiter Coltan, Kupfer und Kobalt. Auto- und Batteriehersteller benötigen diese Rohstoffe für die Herstellung von Elektrofahrzeugen. Ohne Kongo-Kinshasa ist die Energiewende kaum zu schaffen. Daher ist das Land auch geopolitisch bedeutsam.
In Ostkongo haben die Mineralien einen der brutalsten Konflikte der Welt befeuert. Laut Schätzungen sind seit den 1990er Jahren über sechs Millionen Menschen ums Leben gekommen – viele durch die Gewalt der mehr als hundert Rebellengruppen, die in der Region aktiv sind. Diese Gruppen verdienen ihr Geld unter anderem mit dem Rohstoffschmuggel. Sie verlangen Wegzoll für Transporte oder besteuern Minenarbeiter und Händler.
Auch die M23 finanziert sich mit Rohstoffen. Laut einem Uno-Bericht vom Dezember 2024 kontrolliert die Gruppe seit der Übernahme von Rubaya die Förderung, den Handel und Transport von 120 Tonnen Coltan monatlich – und hat damit pro Monat mindestens 800 000 Dollar verdient.
Doch das bekommt man beim Besuch in Rubaya nicht zu hören.
Patrice Gasore, der M23-Minenchef, geht zu einem Schacht. Arbeiter mit staubverklebten Gesichtern knien beim Eingang, sie werfen leere Säcke ins Loch. Rund 70 Arbeiter geben sich die Säcke im Innern weiter, niemand kann sagen, wie weit die Mine in den Berg reicht. Vielleicht sind es 70 Meter, vielleicht 100.
Vor dem Eingang leert Twize Magela die Säcke voller Coltan aus und bildet einen Haufen. Magela ist 57, hat einen Universitätsabschluss, doch er arbeitet seit fünfzehn Jahren hier, weil es in Ostkongo schwierig ist, einen festen Job zu finden. Er sagt: «Früher haben die Milizen und die Armee uns alles gestohlen, die Mineralien, das Geld, selbst Ziegen und Hühner. Mit der M23 ist nun alles stabil. Wir essen, wenn es Zeit ist, zu essen, wir werden bezahlt.» 10 000 kongolesische Francs erhalte er pro Tag, das sind 3 Franken – nicht viel, aber immer noch mehr, als die Mehrheit der Kongolesen verdient.
Niemand verliert ein kritisches Wort über die M23. Das wäre auch nicht ratsam, denn Patrice Gasore steht meist nur wenige Meter entfernt und hört mit. Was die Arbeiter erzählen, deckt sich mit seiner Erzählung: Die M23 hat Frieden nach Rubaya gebracht. Früher wurden Arbeitern und Minenbesitzern Geräte gestohlen, die Bewaffneten pressten ihnen Steuern ab. Nun können sie ungestört Geld verdienen.
Hört man den Arbeitern in Rubaya zu, könnte man meinen, die M23, die für Vergewaltigungen und Plünderungen verantwortlich gemacht wird, sei keine Rebellenarmee, sondern eine Friedensmission.
Fragt man Patrice Gasore, wovon die M23 denn in Rubaya profitiere, sagt er: «Wir sind Revolutionäre, wir haben kein Budget.» Sie würden die Minen, die sich im Besitz von Privatunternehmern oder Kooperativen befinden, bis jetzt nicht besteuern, denn die Arbeiter hätten zu lange gelitten.
Doch ganz so wohltäterisch, wie Gasore behauptet, dürfte die M23 in Rubaya nicht sein.
Laut dem Rubaya-Bericht der Uno-Experten haben die Rebellen im Dorf ein «Ministerium» für die Förderung eingeführt. Das «Ministerium» vergibt Lizenzen für Arbeiter und Händler, die dafür eine Jahresgebühr entrichten müssen (25 Dollar für Arbeiter, 250 Dollar für Händler).
Dass die M23 mit Rohstoffen Geld verdient, ist nicht neu. Das tat sie bereits kurz nach ihrer Gründung 2012. Doch seit der Eroberung von Rubaya im Mai 2024 kontrolliert die Gruppe eine Mine, aus der bis zu einem Viertel der kongolesischen Coltanproduktion stammt. Ein wahrer Schatz.
Coltan aus Rubaya ist so begehrt, weil daraus Tantal extrahiert wird – ein seltenes, bläulich-graues Metall, das in Kondensatoren verarbeitet wird, die sich in fast allen elektronischen Geräten finden. Mit Tantal können nicht nur leichtere Smartphones und Laptops hergestellt werden, sondern auch langlebigere.
Kongo-Kinshasa ist der mit Abstand grösste Produzent von Coltan und Tantal. Etwa ein Drittel der weltweiten Tantalproduktion kommt aus dem Land. Auf den nächsten Rängen folgen Nigeria und Rwanda.
Dass ausgerechnet Rwanda – ein Land von der Grösse eines Neunzigstels von Kongo-Kinshasa – einer der weltweit grössten Tantalförderer ist, überrascht. Zumal Rohstoffexperten die Coltanvorkommen in Rwanda als überschaubar einschätzen.
Wie ist das möglich?
Der Schmuggel nach Rwanda
Erkundigt man sich in Rubaya nach der Rolle Rwandas, fallen die Antworten entweder unfreundlich oder vage aus. Patrice Gasore, der M23-Minenchef, sagt: «Mon frère, die Frage ist überflüssig. Wir verstehen uns gut mit vielen Akteuren.» Rwanda sei nur einer davon.
Tatsächlich ist Rwanda seit den 1990er Jahren, als der Krieg in Ostkongo losbrach, ein zentraler Akteur in den Wirren. 1994 wurden beim Genozid in Rwanda fast eine Million Menschen ermordet, die meisten von ihnen ethnische Tutsi. Hunderttausende flohen über die Grenze ins nahe Kongo-Kinshasa – Verfolgte wie auch Täter. Die Täter bildeten Milizen, deren Ziel es war, Tutsi in Kongo zu verfolgen und die Regierung in Rwanda zu stürzen.
Rwanda hat in den letzten Jahrzehnten mehrfach ennet der Grenze eingegriffen. Mit eigenen Truppen, aber auch über verbündete Rebellengruppen. Die schlagkräftigste von ihnen ist die M23. Laut der Uno ist die M23 so stark, weil sie von Rwanda mit Geld, schwerer Artillerie und mehreren tausend Soldaten unterstützt wird.
Rwandas Intervention in Ostkongo hat auch wirtschaftliche Gründe. Denn mit kongolesischem Coltan verdient Rwanda, das selbst klein und rohstoffarm ist, ordentlich Geld.
Die Rolle der M23 und von Rwanda im Coltanhandel ist in Kongo zwar ein offenes Geheimnis. Fragt man Händler in Rubaya jedoch danach, antworten sie ausweichend – es ist, als ob die Frage nach Rwanda ein Tabu sei.
Tatsächlich deutet aber vieles darauf hin, dass Rwanda den Coltanhandel seit der jüngsten Intervention in Kongo noch stärker steuert. Laut dem Uno-Expertenbericht organisiert die M23 den Transport von Mineralien aus Rubaya und anderen Minen bis zur rwandischen Grenze. In Rwanda würden die Mineralien mit rwandischer Produktion gemischt. Das habe 2024 zur grössten Verunreinigung der Lieferkette durch Konfliktmineralien im vergangenen Jahrzehnt geführt. Mineralien aus Rubaya begünstigen sowohl die M23 als auch Rwandas Wirtschaft.
Auch ein Blick auf die Zahlen zu Produktion und Export von Coltan in Rwanda liefert Hinweise. Die Förderung von Tantal, dem aus Coltan gewonnenen Metall, stagniert eigentlich seit Jahren. Trotzdem ist der Export von Coltan aus Rwanda in letzter Zeit stark angestiegen.
Die Rolle Rwandas sorgt inzwischen auch in Europa und den USA für Aufsehen. Denn der Weg des aus dem kongolesischen Konfliktgebiet geschmuggelten Coltans endet nicht in Rwanda.
Verkauf in die ganze Welt
Oberhalb des Minenschachts des Sektors Carrière D4 in Rubaya sitzt Ponchelin Mutunzi auf einer Bank und schaut zu, wie die staubbedeckten Arbeiter Säcke voller Gestein aus dem Innern tragen. 50 bis 70 Kilo Coltan sind es pro Tag. «Es ist eine gute Grube», sagt Mutunzi. Neben diesem Schacht besitzt er zwei weitere. Er ist 48, hat einen Master in Betriebswirtschaft. Einst arbeitete er für die Regierung, doch vor zehn Jahren ging er ins Minengeschäft, weil sich damit mehr Geld verdienen lässt.
Gerade laufe das Geschäft gut, sagt Mutunzi, der Coltanpreis steigt auf dem Weltmarkt. Auch er hat nur Positives zu sagen über die M23. Doch die internationalen Nachrichten bereiten ihm Sorgen. «Hast du gesehen», sagt er, «die EU hat Sanktionen erlassen, weil angeblich Coltan aus Kongo geschmuggelt wird. Wissen die denn überhaupt, was hier passiert?»
Was in Rubaya passiert, das interessiert auch Tausende Kilometer entfernt in Europa. Denn dort werden Handys und Laptops verkauft, in denen Coltan verarbeitet wurde.
Im Dezember hat die Regierung von Kongo-Kinshasa Klage gegen den Technologiekonzern Apple eingereicht. Der Vorwurf: Die Firma benutze kongolesisches Coltan, das über Rwanda geschmuggelt werde. Apple und andere Konzerne begünstigten so den Krieg in Kongo – und die M23.
Wie landet kongolesisches Coltan, ein Teil davon geschmuggelt durch die M23 aus Rubaya, in europäischen Geräten?
Die Lieferketten für Coltan und andere Mineralien, die aus Konfliktgebieten stammen können, sind oft undurchsichtig. Das gilt besonders für China, wohin 2023 80 Prozent des aus Rwanda exportierten Tantals gingen, um dort geschmolzen und in Geräte verbaut zu werden. Chinesische Händler sind dafür bekannt, der Rückverfolgbarkeit oft wenig Bedeutung beizumessen.
Das Thema der Konfliktmineralien ist nicht neu. Bereits in den nuller Jahren starteten Nichtregierungsorganisationen wie das amerikanische Enough Project Kampagnen, in denen sie argumentierten, an westlichen Bildschirmen klebe afrikanisches Blut.
Versuche, den Handel mit Konfliktmineralien zu verhindern, hatten aber nur begrenzt Erfolg. Ein Ausfuhrstopp 2010 führte dazu, dass Tausende von kongolesischen Minenarbeitern ihre Arbeit verloren.
Mit der Offensive der M23 gerieten kongolesische Konfliktmineralien wieder in den Fokus. So ist ein Abkommen, das die EU im Februar 2024 mit Rwanda unterzeichnete, in die Kritik geraten. Es soll für die EU eine «nachhaltige Versorgung mit Rohstoffen» sicherstellen. Die Medienmitteilung der EU beschrieb Rwanda als «zentralen Akteur» in der globalen Tantalförderung.
Kongos Präsident Félix Tshisekedi hat das Abkommen in einem Interview mit der «New York Times» im Februar als «absoluten Skandal» bezeichnet. Die EU sei mitschuldig an der «Plünderung von Kongo».
Mitte März reagierte die EU und belegte den Leiter der rwandischen Minenaufsichtsbehörde und eine Goldraffinerie in Rwandas Hauptstadt Kigali mit Sanktionen. Die Begründung: Sie würden den Konflikt in Ostkongo dazu nutzen, Konfliktmineralien nach Rwanda zu schmuggeln. Auch andere Länder, die USA zum Beispiel, haben Rwanda mit Sanktionen belegt.
Ob die Sanktionen wirken? Es steht viel auf dem Spiel – unter anderem die Zukunft einer ganzen Region in Kongo, dem grössten Land in Subsahara-Afrika.
In Rubaya ahnen viele nicht, wie sehr sie in ein internationales Geflecht von Profit und Konflikt eingebunden sind. Sadiki Gasore, ein 25-jähriger Arbeiter, hört auch während des Gesprächs nicht auf zu schaufeln. Gefragt, was Coltan für Kongo und für die Welt bedeute, sagt er: «Keine Ahnung, meine Arbeit ist das Schürfen. Es ist eine gute Arbeit, nur dürften wir etwas mehr verdienen.» Er schaufelt weiter. Für die M23. Für Rwanda. Und vielleicht für europäische Handybesitzer.
Text: Samuel Misteli
Bilder: Arlette Bashizi
Visualisierungen: Cian Jochem
Daten: Adina Renner
Entwicklung: Kaspar Manz
Bildredaktion: Gilles Steinmann