Samstag, Oktober 5

Konservative Aktivisten stellen massenhaft Anträge, um mutmassliche Betrüger aus den Wählerregistern zu entfernen. Die Opfer dieses Eifers sind jedoch meist unverdächtige Mitbürger.

Der Golfkrieg-Veteran James McWhorter erhielt im vergangenen Jahr einen unerwarteten Brief von seinem Bezirksamt in Atlanta. Dieses schickte das Schreiben an die Adresse des Friseursalons, den er führt. Und genau das war das Problem. Sein Eintrag im Wählerregister sei von einer Frau namens Gail Lee beanstandet worden, weil er sich unter einer Geschäftsadresse eingetragen habe, hiess es in dem Brief.

«Ich hatte keine Ahnung, wer Gail Lee ist», erklärte McWhorter gegenüber dem Fernsehsender CBS. Und die Beschwerdeführerin hatte offenkundig keine Ahnung, warum McWhorter sich 2008 unter der Adresse des Salons registrierte. Der Afroamerikaner war damals obdachlos und übernachtete nach getaner Arbeit in dem Geschäft, seine Kleider wusch er in einem Waschsalon. Damit er im vergangenen November nicht aus dem Wählerregister gestrichen wurde, verteidigte McWhorter seine Situation bei einer Anhörung und trug danach seine derzeitige Wohnadresse ein.

Frühere Trump-Anwältin ist treibende Kraft

McWhorter ist kein Einzelfall. Im Swing State Georgia reichte eine kleine Zahl von konservativen Aktivisten in den vergangenen Jahren über 80 000 solcher Beschwerden ein. Sie deckten dabei keinen grossen Betrug auf, sondern lediglich technische Fehler, wie etwa Adressen mit Schreibfehlern oder Personen, deren Strasse umbenannt wurde.

Doch obwohl es bis jetzt keine Beweise für mögliche Manipulationen gibt, haben die Republikaner die Integrität der Wahl zu einem grossen Thema gemacht. Die Beschwerdeführerin Gail Lee wurde zur Aktivistin, nachdem Donald Trump die Präsidentschaftswahl 2020 gegen Joe Biden verloren hatte. Sie ist immer noch überzeugt, dass Trump der Wahlsieg durch Betrug gestohlen wurde. Im Jahr 2022 besuchte Lee eine Konferenz in Atlanta zum Thema «election integrity». An der Konferenz beteiligt war auch das Conservative Partnership Institute (CPI). Zu den führenden Mitarbeitern der Organisation gehören Trumps ehemaliger Stabschef Mark Meadows und seine juristische Beraterin Cleta Mitchell.

Mitchell war am 2. Januar 2021 mit in der Leitung, als Trump Georgias Staatssekretär Brad Raffensperger anrief. Trump hatte die Präsidentschaftswahl in dem Gliedstaat hauchdünn gegen Joe Biden verloren, aber wollte dies nicht akzeptieren. Er bat Raffensperger darum, die ihm fehlenden 11 780 Stimmen zu finden, und drohte ihm mit juristischen Konsequenzen. Heute leitet Mitchell das Election Integrity Network – ein Projekt des CPI. Das Netzwerk rekrutierte bereits für die Zwischenwahlen 2022 mit Seminaren im ganzen Land eine «Armee von Bürgern», um mögliche Betrügereien aufzuspüren. Die Demokraten könnten nur gewinnen, wenn sie schummelten, erklärte Mitchell in einem Interview.

Unzuverlässige Software sucht «verdächtige» Wähler

Im vergangenen Jahr lancierte Mitchells Organisation die Datensoftware «EagleAI». Sie sucht aus einer Fülle von öffentlich zugänglichen Daten nach verdächtigen Einträgen in den Wählerregistern. Das Programm vergleicht die Einträge dazu etwa mit Adressänderungsdaten der amerikanischen Post. Findet die Software eine Ungereimtheit, formuliert sie auch gleich ein standardisiertes Beschwerdeschreiben. Dies erlaubt es konservativen Aktivisten, die Wahlbehörden mit Tausenden von Beanstandungen zu fluten.

Offenbar funktioniert die Anwendung jedoch nicht zuverlässig. «‹EagleAI› zieht falsche Schlüsse und stellt sie dann als Beweis für ein Fehlverhalten dar», erklärte Blake Evans, Direktor der Wahlbehörde in Georgia, gegenüber dem Fernsehsender NBC im vergangenen Jahr.

«EagleAI» ist indes nicht die einzige Applikation auf dem Markt, um Wählerregister zu durchforsten. Auch die konservative Organisation True the Vote hat eine Software entwickelt. Sie heisst «IV3». Aber auch sie weise grosse Mängel auf, schreibt die Computerzeitschrift «Wired». Als Beispiel nennt sie den 69-jährigen Veteranen Gamaliel Warren Turner. Er lebte stets in Georgia, besitzt dort ein Haus und nahm fast an jeder Wahl teil. Doch 2019 zog er aus beruflichen Gründen temporär nach Kalifornien und liess seine Post dorthin umleiten. Als Folge wurde auch sein Eintrag im Wählerregister beanstandet.

Demokratische Wahlkreise im Visier

Die Aktivistin Gail Lee sieht in ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag dazu, die Integrität der Wahl sicherzustellen. Doch Michael Waldmann, der Präsident des Brennan Center for Justice, ist ganz anderer Meinung. Seine Denkfabrik beschreibt sich selbst als parteiunabhängig und ist auf Fragen zur amerikanischen Demokratie spezialisiert. Über die Bemühungen der konservativen Beschwerdeführer schrieb Waldmann im März: «Sie scheinen sich auf demokratische Wahlbezirke oder Regionen mit einer dunkelhäutigen Bevölkerung zu konzentrieren. Es scheint um Politik und nicht um die Hygiene der Wählerregister zu gehen.»

Die Republikaner fürchten indes nicht nur, dass sich viele demokratische Wähler etwa in verschiedenen Bezirken doppelt registrieren, um mehrfach abzustimmen, oder zusätzliche Wahlzettel für bereits verstorbene Mitbürger einwerfen. Die Konservativen hegen auch den bisher unbegründeten Verdacht, dass die Demokraten massenhaft Einwanderer ohne Staatsbürgerschaft dazu ermutigen, sich zu registrieren. Im Kongress und in mehreren Gliedstaaten treiben die Republikaner deshalb Gesetze voran, die für einen Eintrag in den Wahlregistern einen Beweis für den Besitz der Staatsbürgerschaft verlangen – wie zum Beispiel eine Geburtsurkunde.

Gemäss dem aktuellen Bundesgesetz reicht es bis anhin, wenn eine Person bei einem Antrag schriftlich versichert, dass sie ein amerikanischer Staatsbürger ist. Bei einer Falschangabe droht eine Verurteilung wegen Meineids mit einer möglichen Gefängnisstrafe von mehreren Jahren und bei Ausländern eine Ausschaffung. Einwanderer werden sich deshalb davor hüten, sich für eine Wahl zu registrieren. Eine Untersuchung in Georgia fand von 1997 bis 2022 lediglich 1634 Fälle von potenziellen Nichtbürgern, die sich erfolglos registrieren wollten.

Die berechtigte Frage der Identifizierung

Die Demokraten sehen in verschärften Vorschriften für die Wählerregistrierung indes vor allem einen Nachteil für amerikanische Bürger. Gemäss einer Erhebung der Universität Maryland und des Brennan Center haben fast 10 Prozent der Amerikaner keine Dokumente schnell zur Hand, um ihre Staatsbürgerschaft zu beweisen. In dunkelhäutigen Bevölkerungsschichten ist dieser Anteil höher als unter Weissen. Traditionell handelt es sich dabei um eine Wählergruppe, die mit grosser Mehrheit für die Demokraten stimmt.

Ganz unvernünftig mutet die Forderung der Republikaner indes nicht an. Dass man seine Staatsbürgerschaft mit einem Dokument belegen muss, um sich für eine Wahl zu registrieren, leuchtet ein. Da es bis jetzt aber keine Beweise für weitreichende Betrügereien gibt, scheint die Angst der Republikaner vor Manipulationen dennoch übertrieben.

Die Demokraten ihrerseits vermuten hinter der vordergründigen Angst der Konservativen ein einfaches politisches Kalkül. Die massenhaften Beschwerden gehörten zum Drehbuch der von Trump ermutigten Wahlleugner, sagte Lizzie Ulmer vom States United Democracy Center gegenüber CNN: «Es geht darum, eine Atmosphäre des Misstrauens zu schaffen, in der sich ein Wahlresultat im Nachhinein anzweifeln oder umstossen lässt.»

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