Donnerstag, Oktober 3

Der Kanton Aargau ist für seine Schlösser und Burgen bekannt. Doch was, wenn sich der Besitzer nicht um den Erhalt kümmert? Ein Besuch auf Schloss Brestenberg, einem 400-jährigen Kulturgut, das langsam zerfällt.

Auf Schloss Brestenberg könnte man leben wie ein König. Es umfasst drei Gebäude, einen Schlossturm, Seezugang und 65 000 Hektaren Land. Das Schloss steht auf einer Anhöhe über dem Hallwilersee, in Seengen im Kanton Aargau. Es ist Frühling, der Nebel schwebt über dem Wasser, und am Horizont öffnet sich die Sicht auf die Berner Alpen. Doch Schloss Brestenberg steht seit vierzig Jahren leer, es zerfällt, verkommt, verstaubt.

Der Kanton Aargau ist für seine vielen Schlösser und Burgen bekannt. Sie prägen die Landschaft und die kulturelle Identität des Aargaus. Die meisten Schlösser stehen unter Denkmalschutz und gehören dem Kanton. Ihr Unterhalt ist aufwendig und teuer, doch es gibt auch private Schlossherren. Einer von ihnen war Bruno Stefanini, umstrittener Winterthurer Immobilieninvestor und Sammler.

Stefanini kaufte Schloss Brestenberg 1984 für sechs Millionen Franken. Er plante einen immensen Umbau, doch nach zehn Jahren verlor er die Geduld. 2018 starb Stefanini. Das Schloss ging an seine Stiftung, die von seiner Tochter Bettina kontrolliert wird. Ein Schloss zu erben, klingt glamourös. Doch die Stiftung nennt Schloss Brestenberg heute ein «Mahnmal des Scheiterns».

Was ist im Aargau passiert? Schafft es die Stiftung, das Schloss zu retten?

Das Schloss überdauert Generationen

Neben dem Schlosstor hängt ein Briefkasten, auf dessen Schild der Name «Martin Gschwend» steht. Gschwend ist seit zwei Jahren der Hauswart auf Schloss Brestenberg und lebt in einer Wohnung auf dem Schloss. Er schaut, dass die dringendsten Schäden behoben werden. An diesen Frühlingstagen schneidet er die Bäume und mäht die Wiese. Gschwend sagt: «Ich liebe es, hier zu wohnen.»

Gschwend fühlt sich daheim in Seengen. Die Dorfbewohner fragten ihn oft, wie es mit dem Schloss weitergehe, sagt er. «Meine Coiffeuse nennt mich ‹Schlossherr›.» Schloss Brestenberg ist den Bewohnern von Seengen wichtig. Die älteren Personen in der Region verbinden Erinnerungen mit dem Ort. Das Schloss gehört zum Dorfbild. Und Martin Gschwend ist der, der sich darum kümmert, das Schloss immerhin ein bisschen belebt.

Schloss Brestenberg wurde 1625 gebaut, als Landsitz des Herren von Hallwyl. Ab 1844 war es ein Kurhaus mit internationalen Gästen, in den 1960er Jahren ein national bekanntes Schlosshotel. Als Bruno Stefanini Schloss Brestenberg 1984 kaufte, war es in einem schlechten Zustand. Der Vorbesitzer stoppte aus finanziellen Gründen die Sanierungspläne.

Bruno Stefanini hätte sich die nötigen Arbeiten leisten können. Er wurde in der Nachkriegszeit mit dem Kauf und Bau von Immobilien reich. Doch Stefanini liebte vor allem das Sammeln, er war immer auf der Suche nach dem nächsten Objekt, sei es ein Haus oder ein neuer Gegenstand. Und was er bereits besass, liess er verkommen. In Winterthur war von Gammelhäusern die Rede. Die Stadt und der Denkmalschutz appellierten mehrmals an ihn, seine Häuser in der Altstadt zu sanieren.

Stefanini vernachlässigte auch Schloss Brestenberg. Am Schlossturm blättert der Verputz ab. Hinter der ehemaligen Hotelbar verstauben die alten Weingläser. Die Hotelzimmer sind zugestellt mit Tischen, Türen, Spiegeln aus der ganzen Schweiz. «Stefanini hat sie gesammelt», sagt Martin Gschwend und klettert gekonnt über die herumstehenden Gegenstände. Nur er weiss, wo man sicher hintreten kann. Bei jedem Schritt knarrt es unter den Füssen. Wie im alten Haus von Rocky Docky.

Zehn Jahre lang gingen Bauarbeiter auf dem Schloss ein und aus. Doch die Arbeiten wurden nicht in den Schlossgebäuden gemacht, sondern im Untergrund. Stefanini liess unterirdische Hallen bauen, 14 000 Quadratmeter gross, grösser als der Grundriss des Schlosses. In den Hallen sollte ein Museum für Stefaninis Sammlung entstehen: Hodler-Gemälde, ein Schreibtisch des früheren amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, ein Feldbett Napoleons, Gehstöcke des Schauspielers Charlie Chaplin, Panzer, Fliegerbomben, Flohmarkt-Ramsch. Es sind mehr als 80 000 Gegenstände, unstrukturiert und konzeptlos.

Doch kurz vor Vollendung der Hallen 1993 kam es zum Streit mit Naturschützern, der Gemeinde und dem Kanton. Stefanini schickte die Arbeiter nach Hause und verliess Seengen in einem Panzer, den er von der Schweizer Armee für seine Sammlung erhalten hatte. «Die älteren Bewohner von Seengen erzählen die Geschichte noch heute», sagt der Hauswart Gschwend.

Zu den Hallen gelangt man über eine unscheinbare Holztreppe im Schloss. Sie sind noch im Rohbau. Sie sind düster, kalt, grau. Die meisten Hallen stehen leer. Es gibt ein grosses Amphitheater, wo Stefanini Filme zeigen wollte. In einer Halle steht ein Panzer neben britischen Telefonkabinen. Ein Haufen Backsteine erinnert an die abgebrochenen Bauarbeiten. Als Mitarbeiter der Stiftung nach Stefaninis Tod aufs Schloss kamen, steckte noch eine Schaufel in einem Eimer mit getrocknetem Beton.

Wer sollte ein Schloss besitzen dürfen?

Die irrwitzige Geschichte von Schloss Brestenberg verdeutlicht ein grundlegendes Problem: Schlösser sind ein Kulturgut. Die Gemeinden, ihre Bewohner und die Denkmalpflege haben ein besonderes Interesse daran, dass sie erhalten bleiben. Nur: Die Behörden haben keinen Einfluss darauf, wer ein Schloss kauft.

Reto Nussbaumer ist bei der Aargauer Denkmalpflege seit 18 Jahren für Schloss Brestenberg zuständig. Nussbaumer sagt: «Stefanini konnte es sich leisten, das Schloss ruhen zu lassen. Er hatte noch viele weitere Objekte in seinem Portfolio.» Er besass Wohnungen und Häuser, aber auch mehrere Schlösser: Grandson am Neuenburgersee, Salenstein und Luxburg am Bodensee. Die beiden Schlösser am Bodensee hat die Stiftung kürzlich verkauft. Der Unterhalt war zu teuer, die Schlösser waren in einem schlechten Zustand. Und es fehlte eine Idee, wie sie kostendeckend genutzt werden könnten.

Ein denkmalgeschütztes Schloss müsse nicht perfekt aussehen, sagt Nussbaumer, doch sein Erhalt müsse gesichert sein. Die Denkmalpflege kann an die Eigentümer eines Schlosses appellieren, die Grundsubstanz des Gebäudes zu schützen. Wenn der Eigentümer den Hinweisen nicht nachkommt, kann die Denkmalpflege selbst Handwerker beauftragen. Die Kosten trägt der Schlossherr.

Stefanini habe abgeschieden gelebt, sagt Nussbaumer. Er habe leider nie direkten Kontakt zu ihm gehabt. Doch Stefanini habe stets die notwendigen Arbeiten erledigt und so einen Zwangseingriff der Behörden verhindert. Doch Nussbaumer erhofft sich für Schloss Brestenberg mehr als den Erhalt: «Als ich bei der Denkmalpflege anfing, setzte ich mir zum Ziel, dass der Brestenberg der Bevölkerung wieder offensteht», sagt er. Schloss Brestenberg habe Generationen überdauert. Nun erlebe es eine Ruhezeit, wie viele historische Objekte. Nussbaumer ist gewohnt, zu warten.

Der Wunsch nach einem offenen Schloss Brestenberg könnte zudem bald in Erfüllung gehen. Auf der Website der Stiftung steht jetzt: «Schloss, 400-jährig, Aargau, offen für Neues».

Bevölkerung wünscht sich ein Restaurant mit Seesicht

Die Stiftung will Schloss Brestenberg behalten. Doch was macht man mit einem 400 Jahre alten Schloss, das baufällig ist? Und vor allem: Wie nutzt man die riesigen unterirdischen Hallen?

Einer, der sich damit beschäftigen muss, ist Joris Van Wezemael. Er ist Immobilienverwalter bei der Stefanini-Stiftung und für Schloss Brestenberg zuständig. Er sagt: «Auch die Stiftungsleitung will, dass die Bewohner der Region von dem Schloss profitieren können.» Doch die Bedingung sei, dass der Betrieb die Kosten für den Unterhalt decke. Sei das nicht möglich, müsse er den Verkauf prüfen. Eines sei klar: «Reich wird man mit einem Schloss nicht.»

Die Gemeinde Seengen schreibt vor, dass ein Teil des Schlosses öffentlich zugänglich ist. Ein reines Hotel kommt also nicht infrage. Ein Teil des Landes steht zudem unter Naturschutz. In dem Flachmoor lebt die seltene europäische Sumpfschildkröte. Die Stiftung hat die Bevölkerung eingeladen, Ideen für eine Zwischennutzung einzureichen. Die meisten wünschen sich laut Van Wezemael, dass es wieder ein Restaurant mit Seesicht gebe.

Der Denkmalschutz will das Schloss erhalten. Die Stefanini-Stiftung will kein Geld verlieren. Und die Einwohner von Seengen wollen auf Schloss Brestenberg Kaffee trinken. Was ist realistisch?

Van Wezemael hofft auf «Vertical Farming», vertikale Landwirtschaft. Eine Zukunftstechnologie, mit der in urbanen Gebieten platzsparend Nahrungsmittel wachsen können. Die Stiftung sei mit Startups im Gespräch, die in die Technologie investierten, sagt Van Wezemael. Die Hallen könnten als Gewächshäuser dienen und die früheren Hotelzimmer als Seminarhotel genutzt werden. Ein Restaurant und ein Park stünde der Bevölkerung offen.

Die Stiftung will im Sommer über das weitere Vorgehen informieren. Noch ist offen, ob man diesmal mit der Gemeinde, den Naturschützern und dem Denkmalschutz einig wird. Van Wezemael sagt: «Man kann nicht einfach bestimmen, man muss die Ideen wachsen lassen, ausprobieren.» Doch viel Zeit bleibt nicht. Die Feuchtigkeit auf dem ungeheizten Schloss Brestenberg nagt an der Bausubstanz.

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