Die Amtszeit des 47. Präsidenten der USA hat begonnen. Für die Finanzmärkte und die Weltwirtschaft beginnt eine neue Ära. «The Big Picture» versucht eine Annäherung aus drei Perspektiven.
«Meine Botschaft an jedes Unternehmen in der Welt ist einfach: Stellen Sie Ihre Produkte in Amerika her, und wir werden Ihnen niedrige Steuern bieten. Wenn Sie Ihre Produkte nicht in Amerika herstellen (…), dann müssen Sie Zölle bezahlen.»
Donald Trump, 47. Präsident d. USA, am 23. Januar 2025 (Rede am WEF in Davos)
«Die Politik der Importzölle der Republikaner (…) hat das Leben der Masse unserer Landsleute süsser und heller gemacht, ist in die Häuser Amerikas eingezogen und hat Trost, Freude und Mut gebracht.»
William McKinley, 25. Präsident d. USA (1843–1901)
Die Finanzmärkte haben sich beruhigt. Nach ihrem kräftigen Anstieg haben sich die langfristigen Renditen an den Bondmärkten in den vergangenen Tagen leicht zurückgebildet. Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes, der wichtigste Preis der Welt, hat sich um 4,6% eingependelt.
Donald Trump residiert nun seit fünf Tagen im Weissen Haus – und ist bislang für seine Verhältnisse nicht mit allzu extremen Äusserungen aufgefallen. Gegenüber «Fox News» sagte der US-Präsident am Donnerstag, er hätte ein angenehmes Gespräch mit Chinas Staatschef Xi Jinping gehabt. Amerika besitze mit dem Instrument der Importzölle zwar eine mächtige Waffe gegen China, aber wenn es sich vermeiden lasse, möchte er sie lieber nicht einsetzen, sagte Trump.
Die Entspannung zeigt sich auch an den Aktienmärkten. Die Kurse steigen auf breiter Ebene, wobei besonders die Börsen in Europa seit Beginn des Jahres mit Avancen auffallen. Selbst der Swiss Market Index kommt mit +6,2% in Dollar gerechnet auf eine gegenüber dem Weltindex überdurchschnittliche Performance in den ersten drei Handelswochen des Jahres:
Wie breit die Aufwärtsbewegung abgestützt ist, zeigt sich beim Blick auf die Sektoren: Energie, Industrie, Finanz und Grundstoffe haben die Führung übernommen, während der US-lastige Technologiesektor bislang vergleichsweise schwach abschneidet:
Selbst die Leitzinserhöhung der Bank of Japan (BoJ) von heute Freitag um 25 Basispunkte auf 0,5% – immerhin das höchste Niveau seit 2008 – ging ohne Turbulenzen über die Bühne. Noch im vergangenen Sommer hatte die BoJ die Weltfinanzmärkte auf dem falschen Fuss erwischt und mit einer überraschenden Zinserhöhung ein heftiges Beben ausgelöst.
Gewiss; das Jahr ist noch jung. Die Präsidentschaft von Trump hat erst begonnen. Er wird, wie es der Marktbeobachter Alfons Cortés hier sehr treffend beschreibt, die Märkte emotionalisieren: «Die Auswirkungen seiner Politik werden oft schwer einzuschätzen sein. Seine Rhetorik wird antagonisieren. Das wird die öffentliche Debatte emotionalisieren. Daher wird die Politik einen grösseren Einfluss auf die Börsen haben», schreibt Cortés.
Für Investoren wird es dabei stets eine Herausforderung sein, den Lärm aus dem Weissen Haus zu filtern. Denn die schnellste und schrillste Information wird nicht immer die relevanteste sein.
Wir möchten im dieswöchigen «Big Picture» einige unserer Gedanken zu Trump mit Ihnen teilen. Dabei soll es nicht darum gehen, die nächsten Schritte des Präsidenten oder seine Äusserungen auf Social Media zu antizipieren. Stattdessen möchten wir aus etwas mehr Distanz eine nicht abschliessende Betrachtung aus drei Blickwinkeln vornehmen: aus Perspektive der Finanzmärkte, des Welthandelssystems sowie aus einer historischen, geostrategischen Perspektive.
In der kurzen Frist bleibt für die Finanzmärkte die entscheidende Frage, ob der Inflationsdruck in den USA abermals steigt und ob die Trump-Regierung eine vernünftige Fiskalpolitik verfolgen wird. Beide Themen finden ihre Abbildung in der Entwicklung der Rendite zehnjähriger Treasury Notes, weshalb es für Investoren elementar bleibt, diese gut im Auge zu behalten.
Ein Anstieg der Inflationserwartungen sowie wachsende Befürchtungen einer unvernünftigen Fiskalpolitik würden am Bondmarkt beide mit steigenden Zinsen quittiert – und wie die vergangenen Wochen gezeigt haben, reagieren die Börsen gereizt, wenn die Zehnjahreszinsen gegen 5% steigen. Der Grat bleibt also schmal.
Besonders im Fokus wird dabei Trumps designierter Finanzminister Scott Bessent stehen, der an den Finanzmärkten einen hervorragenden Ruf geniesst und dessen Bestätigung im Senat nach gegenwärtigem Wissensstand nichts im Weg steht.
In einem bereits nervösen Umfeld an den Bondmärkten wird Bessent vor einer besonderen Herausforderung stehen: Seine Vorgängerin Janet Yellen hat zur Finanzierung des Staatshaushalts in erheblichem Mass auf die Emission von kurzfristigen Treasury Bills vertraut. Bessent hat angekündigt, künftig wieder vermehrt längerfristige Anleihen ausgeben zu wollen – was aber die Absorptionsfähigkeit des Bondmarktes auf die Probe stellen wird, weil die Politik Yellens die Liquiditätsreserven in der sogenannten Reverse-Repo-Fazilität der US-Notenbank weitgehend abgeschöpft hat.
Die Wirtschaftspolitik von Bessent – «Bessenomics» – dürfte basierend auf seinen bisherigen Äusserungen dem Plan folgen, das reale Wirtschaftswachstum durch Deregulierungen zu stärken und steigenden Inflationsdruck mit einer Senkung der Energiekosten zu parieren. Teil des «3-3-3»-Plans von Bessent ist es, die Öl- und Gasförderung in den USA signifikant zu steigern.
Marko Papic, Stratege in Diensten der Research-Boutique BCA, geht davon aus, dass Bessent auf eine eher restriktive Fiskalpolitik setzen wird, während die Regierung die Notenbank (Fed) zu einer lockereren Geldpolitik drängen werde.
Aussagen von Donald Trump in den vergangenen Tagen, wonach er vom Fed niedrigere Zinsen erwarte und Saudi-Arabien helfen soll, den Ölpreis zu senken, passen zur Stossrichtung von Bessent.
Niedrigere Energiepreise zur Eindämmung des Inflationsdrucks, Deregulierungen, eine zurückhaltende, vernünftige Fiskalpolitik sowie mehr oder weniger sanfter Druck auf das Fed, die Geldpolitik zu lockern: Das ist durchaus ein Cocktail, an dem die Finanzmärkte Gefallen finden können.
So far, so good, ist man geneigt zu sagen. Aber der Job für Bessent beginnt erst.
Die gut sieben Jahrzehnte seit Ende des Zweiten Weltkriegs waren vom Entstehen einer liberalen, offenen, regelbasierten Welthandelsordnung geprägt. Zunächst umfasste dieses System die demokratischen Industrienationen, mit der Öffnung Chinas ab 1978 und dem Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums ab 1989 wurde es für die Weltwirtschaft zur Norm.
Die USA als Hüterin der Pax Americana garantierte – quasi als öffentliches Gut – die Sicherheit der Transportwege und stellte ihre Macht in den Dienst multilateraler Organisationen wie der Uno, den Institutionen von Bretton Woods oder der Nato. Die liberale, regelbasierte Weltordnung war enorm vorteilhaft für vergleichsweise kleine, offene Volkswirtschaften.
Trump – und nicht nur er, sondern seine Republikanische Partei – begräbt dieses System. Der Präsident hat nie verheimlicht, dass er die Staaten Westeuropas als Trittbrettfahrer erachtet, die vom Schutz der USA profitieren, ohne ihren fairen Anteil an den Kosten zu tragen. Ähnlich harsch urteilt er über Japan und Südkorea.
Trump, das hat bereits seine erste Amtszeit gezeigt, hält wenig von Allianzen, die auf einer gemeinsamen ideologischen Basis fussen. Er denkt transaktional, in Form von Deals, beispielsweise in der unverblümten Drohung, die Staaten des Verteidigungsbündnisses Nato sollten ihre Verteidigungsausgaben auf 5% des BIP erhöhen, wenn sie weiterhin auf den Beistand der USA zählen wollen.
Kein Wunder, wurde die Wiederwahl Trumps in Polit- und Medienkreisen Westeuropas mit Sorge kommentiert.
Aber ist das eine global gültige Wahrnehmung?
Aufschlussreiche Resultate zu dieser Frage liefert eine weltweite Erhebung, die vom Think Tank European Council on Foreign Relations und dem «Europe in a Changing World»-Projekt der Universität Oxford im November 2024, nach der Wahl von Trump, in 24 Staaten durchgeführt wurde.
Dabei wurden knapp 30’000 Personen gefragt, ob die Wahl von Trump gut oder schlecht für ihr eigenes Land sei. Die Unterschiede sind signifikant. In Indien, Saudi-Arabien, Russland, China, Brasilien, Südafrika oder der Türkei überwiegen die positiven Antworten klar:
Nachteilig für das eigene Land wird die Wahl von Trump primär in den Staaten der EU, in Grossbritannien, der Schweiz sowie in Südkorea interpretiert.
Nahezu gleich ist das Bild der Antworten auf die Frage, ob Trump gut oder schlecht für den Weltfrieden sei:
Daraus lassen sich zwei Thesen ableiten:
Erstens wird Trump primär in denjenigen Staaten negativ betrachtet, die in den vergangenen Jahrzehnten stark vom militärischen Schutzschirm der USA und der liberalen, regelbasierten Weltordnung profitiert haben: Westeuropa inklusive Schweiz, Grossbritannien sowie Südkorea (in Japan und Taiwan wurde die Umfrage leider nicht durchgeführt).
Zweitens wird die Figur Trump deutlich positiver in denjenigen Staaten gesehen, die sich historisch betrachtet nicht als Nutzniesser und Teilhaber der Pax Americana identifiziert haben, beispielsweise die Volksrepublik China, Indien und Russland. Auch Saudi-Arabien, Südafrika, Brasilien, die Türkei und Indonesien begegnen Trump mit einer deutlich wohlwollenderen Einschätzung als die Einwohner in den Staaten Westeuropas.
Selbstverständlich ist das nur eine Umfrage, aber die Unterschiede sind doch erhellend. Möglicherweise sind sie Ausdruck der wachsenden Erkenntnis, dass die liberale, regelbasierte Weltordnung, für deren Garantie die USA jahrzehntelang gesorgt hatten, an ihr Ende gekommen ist. Diese Erkenntnis wird in Westeuropa und Ostasien bedauert, in vielen anderen Staaten aber offenbar begrüsst.
Die neue Welthandelsordnung wird transaktional geprägt sein – und damit deutlich härter werden, gerade für kleine, offene Volkswirtschaften. Dazu lieferte Trump in seiner Video-Ansprache vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos einen Vorgeschmack: Unternehmen, die ihre Produkte in den USA verkaufen möchten, müssen diese in den USA herstellen – oder Zölle bezahlen.
Wenn sich die USA unter Trump und seiner Republikanischen Partei von ihrer Rolle abwenden, die sie in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg getragen haben: Welcher Rolle werden sie sich dann zuwenden?
Klare Anhaltspunkte dafür lieferte Trump in seiner Inaugurationsrede, in der er ankündigte, den höchsten Berg in der USA, den 6190 Meter hohen Denali in Alaska, wieder in Mount McKinley umzutaufen.
Was hat es damit auf sich?
William McKinley war der 25. Präsident der USA, zweimal gewählt, im Amt von 1897 bis zu seiner Ermordung 1901. McKinley war nicht Urheber, aber seine Präsidentschaft war gewissermassen die Krönung von zwei Strömungen, die die Vereinigten Staaten im gesamten Verlauf des 19. Jahrhunderts definierten: Erstens der Schutz der heimischen Industrie durch hohe Importzölle, und zweitens der territoriale Expansionsdrang, für den sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts der Begriff «Manifest Destiny» («offensichtliche Bestimmung») etablierte.
Der Schutz der heimischen Industrie durch Importzölle basierte auf der Strategie des ersten Finanzministers der Republik, Alexander Hamilton. Das zweite Gesetz überhaupt, das Präsident George Washington in den ersten Wochen nach der offiziellen Staatsgründung zur Unterschrift erhielt, war der Tariff Act von 1789. Schutzzölle zählten das ganze 19. Jahrhundert hindurch zum Repertoire Washingtons: Die agrarisch geprägten Südstaaten pochten zwar auf Freihandel, doch der industrielle Norden bevorzugte den protektionistischen Weg.
McKinley, der letzte Präsident des 19. Jahrhunderts, war ein glühender Verfechter von Importzöllen. Unter ihm erlangten die USA auch eine imperiale Dimension, als sie nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 die Kontrolle über Puerto Rico, Guam und die Philippinen erlangten sowie die Republik Hawaii annektierten.
Wenn Donald Trump heute über den Schutz der heimischen Wirtschaft durch Importzölle spricht, dann schlägt er den Bogen zurück zum 19. Jahrhundert. Seine Aussagen, die USA müssten aus sicherheitspolitischen Überlegungen Grönland annektieren, Kanada als 51. Bundesstaat integrieren und wieder die Kontrolle über den Panamakanal (der unter McKinleys Nachfolger Theodore Roosevelt gebaut wurde) an sich reissen, dann mag das heute wie ein Witz klingen. Aber im Grunde bedient sich Trump damit einer Rhetorik und Ideen, die die USA während mehr als der Hälfte ihrer Geschichte geprägt haben. Sogar das Ziel, den Mars zu besiedeln, umrahmte Trump in seiner Inaugurationsrede zur evidenten Freude von Elon Musk explizit mit dem Begriff «Manifest Destiny».
Mit seinen Aussagen zu Grönland, Kanada und besonders zum Panamakanal besinnt sich Trump eindeutig auf die 1823 vom 5. Präsidenten James Monroe artikulierte Doktrin, wonach die westliche Hemisphäre für die europäischen Kolonialmächte Tabu sein soll.
Übersetzt auf den Kontext der Gegenwart stösst es Trump offensichtlich besonders auf, dass chinesische Unternehmen die Häfen an beiden Enden des Panamakanals kontrollieren. Auch in anderen Staaten Lateinamerikas von Nicaragua bis Peru hat sich China in den vergangenen Jahren mit Infrastrukturprojekten festgesetzt.
Mit seiner Rhetorik des 19. Jahrhunderts hat Trump die Ansage gemacht, dass er die westliche Hemisphäre wieder zur Kontrolle durch die USA reklamiert. Allerdings könnte er damit implizit zudem noch eine zweite Stossrichtung signalisieren: dass sich die USA nach innen wenden und China eine Einflusssphäre in Asien sowie – möglicherweise – Russland eine Einflusssphäre auf der eurasischen Landmasse zugestehen werden.
Auch das bietet eine Perspektive, die vor allem für die Staaten in Europa, mit der Schweiz mittendrin, grosse Herausforderungen bedeuten wird.
Als Trump 2020 nach vier Amtsjahren abgewählt und durch Joe Biden ersetzt wurde, bot sich noch die These an, dass er bloss eine Ausnahme war. Biden repräsentierte mit jeder Faser seiner Person die USA der Nachkriegszeit.
Doch mit dem Wiedereinzug Trumps ins Weisse Haus ist klar: Nicht er, sondern Biden war die Ausnahme. Das letzte Zucken des alten Systems.