Sonntag, Januar 5

Jho Low hintertrieb den malaysischen Staatsfonds 1MDB so lange, bis der Milliardenschwindel aufflog. Die Schuldfrage gibt auch zehn Jahre danach noch zu reden. Erstmals äussert sich der ehemalige Chef der Tessiner Bank BSI, die aufgrund des Skandals ihre Lizenz verlor.

Hanspeter Brunner erinnert sich vage daran, den dreissig Jahre jüngeren Low Taek Jho ein- oder zweimal getroffen zu haben. Der rundliche Malaysier chinesischer Abstammung, der sich Jho Low nennt, sei unauffällig und bewusst diskret aufgetreten.

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Wenig deutete jedenfalls darauf hin, dass Low zum Mastermind des grössten Betrugs- und Finanzskandals in Asien werden sollte.

Mittendrin: eine Schweizer Bank

In den Singapurer Räumlichkeiten der Tessiner Bank BSI, deren Chef Brunner damals war, tauchte Low mehrmals auf. Low beriet den malaysischen Staatsfonds 1Malaysia Development Berhad (1MDB), der wiederum einer der grössten Kunden der BSI war. Mit Yak Yew Chee fand Low einen BSI-Kundenberater, der sich als «idealer» Gehilfe erwies. Er stellte wenig Fragen und verdiente kräftig mit.

Zehn Jahre ist es nun her, seit in Malaysia der Staatsfonds 1MDB erste Risse bekam, aufflog und in sich zusammenstürzte. Jener 1MDB-Fonds war 2009 eigentlich zur Wirtschaftsförderung Malaysias und zum Nutzen der Bevölkerung eingerichtet worden. Als Vorbild dienten die Staatsfonds Norwegens und Singapurs sowie die International Petroleum Investment Company (IPIC), die den immensen Erdölreichtum Abu Dhabis verwaltete.

Doch bei 1MDB wirkten von Beginn weg andere Triebkräfte: Geldgier, Geltungssucht und Erhalt der politischen Macht. Jho Low soll den Staatsfonds um knapp 4,5 Milliarden Dollar betrogen haben.

Die Konsequenzen wirken bis heute nach

Der Bankrott hatte wirtschaftliche und politische Folgen, die bis heute nachwirken: ein ramponiertes Kreditrating, leere Staatskassen, brachliegende Infrastrukturprojekte und der Zerfall der einst allmächtigen Partei Umno, die Malaysia seit 1957 regierte. Mehr noch: Der damalige Premier- und Finanzminister Najib Razak, der auch noch das Amt des 1MDB-Vorsitzenden bekleidete, landete im Gefängnis.

Ferner verloren Finanzinstitute wie die BSI und Falcon ihre Bankenlizenz, andere wie Goldman Sachs, UBS, Deutsche Bank, Rothschild Bank und die Schweizer Niederlassung von J. P. Morgan wurden für ihre Nachlässigkeit finanziell zur Rechenschaft gezogen. Und Aufsichtsbehörden zogen weltweit die Compliance-Schrauben an.

Hätten der ehemalige Star-Banker Brunner und die Tessiner BSI die Machenschaften von Jho Low, Najib Razak und Konsorten nicht kritischer hinterfragen und die Geschäftsbeziehungen letztlich kappen müssen?

Die Justiz beschäftigt sich weiterhin mit dem Fall

Brunner, der damalige BSI-Regionalchef, der sich gegenüber der NZZ erstmals zum Fall äussert, bleibt bei der Schuldfrage zweideutig: «Ja, immerhin wurden vier der sechs Untersuchten der BSI bestraft, der fünfte hat sich elegant als Zeuge der Anklage angeboten und kam ungeschoren davon.» Aber Brunner relativiert diese Schuldsprüche: Die BSI habe proaktiv alles Erdenkliche unternommen, um die Hintergründe der 1MDB-Transaktionen zu verstehen. Interne Risk- und Compliance-Teams seien immer involviert gewesen.

Dennoch geriet Brunner in die Mühlen der Justiz, zunächst in Singapur: Am 29. Februar 2016 wurde er frühmorgens am Flughafen abgefangen und in eine Zelle gesperrt. Während der jahrelangen Ermittlungen durfte Brunner Singapur nicht oder nur unter strengen Auflagen verlassen. Zu einer offiziellen Anklage kam es aber nie.

In der Schweiz dagegen verhängte die Finanzmarktaufsicht (Finma) ein vierjähriges Berufsverbot gegen den Star-Banker Brunner. Sein Rekurs in dieser Causa ist derzeit immer noch beim Bundesgericht hängig.

250-Millionen-Dollar-Jacht und Paris Hilton als Freundin

Bezüglich Urheberschaft des 1MDB-Schiffbruchs zeigen die meisten auf Jho Low. Auch Brunner, wie er in einem Buch zum Milliardenraub schildert. In «The Art of Greed» spielt Jho Low die Hauptfigur als «Asian Great Gatsby». Die Geschichte ist nur teilweise fiktiv. Das 300-seitige Werk basiert auf den neuesten Erkenntnissen zum Fall und gibt stellenweise detailgetreu wieder, wie Jho Low die Banken, einflussreiche Leute, Hollywood und letztlich die Finanzwelt rund um den Globus zum Narren hielt.

Bis Jho Low mit seinen Exzessen den Bogen überspannte. Etwa als er eine 250 Millionen Dollar teure Superjacht in Auftrag gab und seine Vorzeigedamen (unter ihnen Paris Hilton, Miranda Kerr und Rosmah Mansor) mit sündhaft teurem Schmuck bezirzte, statt sich auf den Abbau oder die Bedienung der horrenden Schulden zu konzentrieren, die 1MDB akkumuliert hatte.

Im Gespräch wird klar, dass sich Brunner mit dem Verfassen des Buchs mehr als nur die Zeit von fünfeinhalb Jahren Verbannung in Singapur vertrieb. Es handelt sich, das räumt er im Gespräch in Singapur ein, um einen psychohygienischen Aufarbeitungsprozess, um mit dem abrupten Ende seiner Karriere fertigzuwerden. Und – das darf man an dieser Stelle schon vermuten – um der Schuldfrage einen kleinen Dreh zu verleihen: Der Finanzjongleur Jho Low war finanztechnisch zu clever und politisch zu gut vernetzt, als dass man ihm auf die Schliche hätte kommen können.

Hierin kommt zum Ausdruck, was der 73-jährige Brunner als Moral aus der Geschichte versteht: die unwiderstehliche Anziehungskraft des Geldes. «Zu viel Geld und Gier sind im Spiel. Auktionshäuser, Immobiliengesellschaften, Offshore-Center, Freihäfen, Anwaltskanzleien oder Passvermittler werden ihre Kontrollmechanismen freiwillig nie verschärfen», sagt Brunner. Rating-Agenturen würden beeinflusst und getäuscht, Revisoren im Zweifelsfall ausgetauscht. Letzteres mussten bei 1MDB sowohl Ernst & Young als auch KPMG erleben.

Er habe deshalb keine Zweifel, fügt Brunner an, dass sich ein 1MDB-Fall in einer anderen Form wiederholen könne – und irgendwann auch werde.

Manche sahen die Warnsignale

Und wie steht es mit der Verantwortung der Banken und ihrer Chefs vor Ort – oder am Hauptsitz? Brunner sagt, den Banken sei es wegen des Bankgeheimnisses rechtlich nicht erlaubt, sich mit anderen Instituten auszutauschen. Dies führe dazu, dass gewiefte Kunden der ersten Bank eine «plausible Transaktion verkauften» und der zweiten und dritten andere Versionen präsentierten. So gebe es gar keine Möglichkeit, mit anderen Banken den wirklichen Hintergrund zu recherchieren und zu verstehen.

Dem ist jedoch anzufügen, dass sowohl bei der BSI und Falcon als auch bei Goldman Sachs und Deutsche Bank die Compliance-Abteilungen und skeptische Chefs durchaus auf die Hinterbeine standen. Von Eduardo Leemann beispielsweise, dem Ex-CEO der Falcon in Zürich, steht zu Jho Low folgendes Gesprächsprotokoll in den Akten: «Diese Dokumente, die unser Freund in Malaysia geliefert hat, sind – unter uns – absolut lächerlich. Das wird uns allen grossen Ärger einbringen.» Aber Leemann wurde vom Chairman der Bank, Mohamed Badawy al-Husseiny, prompt überstimmt.

Auch Tim Leissner, der damalige Asien-Chef von Goldman Sachs, der dank drei Kapitalmarktanleihen von 1MDB persönlich 60 Millionen Dollar verdiente, stoppte laut Gerichtsakten interne kritische Stimmen mit den Worten: «Due Diligence liegt nicht in der Verantwortung von Goldman.»

Warner wurden also hüben und drüben systematisch übergangen. So gelang es Jho Low mithilfe von Goldman, drei zeitlich gestaffelte 1MDB-Emissionen – Codenamen «Maximus», «Catalyze» und «Magnolia» – von insgesamt 6,5 Milliarden Dollar auf den Kapitalmärkten zu platzieren.

Ein Grossteil dieser Monstersumme landete bei Scheinfirmen und Konten, die Jho Low kontrollierte. Von dort flossen Gelder in Kunstwerke, Luxusimmobilien, Superjachten, Kasinos, Hollywood und Partys – sowie rund 1 Milliarde Dollar auf versteckte Konten des malaysischen Premierministers, Letzteres zur persönlichen Bereicherung und zur Finanzierung des Wahlkampfs 2013. Auch Goldman Sachs zweigte 600 Millionen Dollar als Kommissionen ab, zehnmal mehr als branchenüblich.

Fazit: Die Verlockungen des Geldes waren überall zu gross. Die Einsprachen der Compliance wischte man weg – keiner wollte als Spielverderber dem Spuk ein Ende bereiten.

Monetarisierung des Staats

Jho Lows Netzwerk von Konten, Scheinfirmen und einflussreichen Personen war so kompliziert, dass niemand ausser ihm die Übersicht hatte. Gleichzeitig war seine Masche simpel: Er wusste, dass Transaktionen zwischen Regierungen und Transfers mit dem Segen von Staatsfonds weniger hartnäckig von Wirtschaftsprüfern, Compliance, Bankenchefs und Zentralbanken unter die Lupe genommen werden. Auch die Singapurer Institutionen hätten zu wenig genau hingeschaut, unterstellen involvierte Beobachter, zumal der Regierungschef Najib beste Beziehungen mit dem Stadtstaat pflegte.

Stets brachte Low denn auch echte oder angebliche hochrangige Verbindungen zwischen Malaysia, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudiarabien ins Spiel. Mit Staats- oder Staatsfondsgarantien liessen sich Due-Diligence-Prozesse abkürzen. Deren Ratings wirkten im Finanzgetriebe wie Schmieröl. Bei Goldman sprach man in diesem Zusammenhang euphemistisch von einer «Monetarisierung des Staats».

Noch heute mühen sich in- und ausländische Gerichte mit den Verantwortlichkeiten, abenteuerlichen Geldüberweisungen und den Lücken im Finanzsystem ab, die diesen Missbrauch erst ermöglichten. Tim Leissner, der in Singapur ein lebenslanges Berufsverbot erhielt und sich in den USA der Geldwäsche und des Betrugs schuldig bekannte, wartet in New York auf das Strafmass. Sein Mitarbeiter Roger Ng, der in den USA zehn Jahre Haft kassierte, steht auch in Malaysia vor Gericht.

In der Schweiz haben die Richter des Bundesstrafgerichts in Bellinzona im August die früheren Direktoren der Genfer Investmentfirma Petrosaudi Tarek Obaid und Patrick Mahony zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung und qualifizierter Geldwäscherei verurteilt. Petrosaudi war das leere Tarnkonstrukt der ersten Stunde, um die ersten Millionen aus dem Staatsfonds 1MDB abzusaugen und in private Taschen umzuleiten.

Die Flucht von Jho Low

Der Schwindel flog schliesslich mit Petrosaudi auf: Ein vom Gewissen geplagter früherer Direktor, Xavier Justo, der sich nach der Kündigung und der Millionenabfindung vom Gespann Obaid und Mahony hintergangen fühlte, hatte heimlich belastendes Material gesammelt. Ende 2014 trug er diese vertraulichen Daten an den «Sarawak Report» und an das malaysische Finanzblatt «The Edge». Fünf Jahre nach der Taufe von 1MDB war also Schluss.

Der «Asian Great Gatsby», Sohn eines malaysischen Unternehmers und Absolvent der Wharton School of Business, war also doch nicht so grossartig und genial, wie er sich wahrscheinlich selbst sah. Geld verlieh ihm internationalen Glamour. Wäre ihm nicht ein Whistleblower in die Quere gekommen, so meint Hanspeter Brunner, wäre er früher oder später aber ohnehin gestolpert: «Das Lügengespinst um die 1MDB, die fehlenden Gelder, das schwindende Vertrauen in Jho Low und die veränderte politische Landschaft in Malaysia hätten auch ohne Xavier Justo über kurz oder lang zum Kollaps dieses Kartenhauses geführt.»

Vielleicht. Zum letzten Manöver reichte es jedenfalls nicht: Jho Low, der die Finanzwelt durchschaute und skrupellos ausnutzte, schwebte für 2015 ein IPO unter Führung von Deutsche Bank und Maybank vor, womit er alle Finanzlücken zu stopfen hoffte.

Bevor ihm der Fall um die Ohren flog, hatte sich Jho Low mit seiner Jacht abgesetzt und sich so der Verantwortung entzogen. Bis heute fehlt von ihm jede Spur.

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