Sonntag, Dezember 22

Die Geschichte des Opiumhandels in Asien wurde lange verschwiegen und tabuisiert. Noch heute ist sie in Europa kaum bekannt. Dabei haben die Europäer eine zentrale Rolle gespielt.

Opium finanziert heute Rebellengruppen, Schmugglerbanden und andere kriminelle Netzwerke. Das Rauschgift befeuert Kriminalität und Gewalt und ist für Tausende Drogentote in aller Welt verantwortlich. Der Grossteil wird in Myanmar und Afghanistan hergestellt. Heute ist Opium aus Asien kaum noch wegzudenken. Doch das war nicht immer so.

Zwar ist die schmerzstillende und berauschende Wirkung der Mohnpflanze den Asiaten seit Jahrtausenden bekannt. Lange wurde sie dort aber weder systematisch angebaut noch in grossem Masse genutzt. Erst im 19. Jahrhundert breitete sich Opium in Asien sprunghaft aus. Wie es dazu kam, ist heute in Europa kaum bekannt. Dabei hat Europa in dieser Geschichte eine wichtige Rolle gespielt.

Der indische Schriftsteller Amitav Ghosh schreibt dazu in seinem Buch «Smoke and Ashes», die westlichen Kolonialmächte hätten Opium nicht nur zu nutzen gewusst, um in Asien unermesslichen Reichtum zu erlangen. Sie hätten es auch geschafft, ihre eigene Rolle dabei zu verschleiern. So behaupteten sie, dass der Opiumhandel schon seit Urzeiten bestanden habe und die nichtweissen Konsumenten von Natur aus zu Sucht und Laster neigten. Doch dies sei falsch.

Das am längsten währende Verbrechen der Neuzeit

Ghosh hat für die Romane seiner Ibis-Trilogie über Jahre in Indien, China und Grossbritannien über den Opiumhandel recherchiert. Diese Recherche hat er nun in einem eigenen Buch verarbeitet. Nicht nur der Reichtum des britischen Empire basiere auf dem Drogenhandel, schreibt Ghosh darin. Auch amerikanische Dynastien wie Forbes und Delano hätten damit ihr Vermögen gemacht. Für die Opiumhändler war es eine Goldgrube. Der Brite William Jardine nannte es «die sicherste und kultivierteste Form der Spekulation».

Dabei waren sich die Händler der katastrophalen Folgen ihres Tuns sehr wohl bewusst. «Alle sagen, dass England mit Opium handelt, weil es Chinas Ruin will», schrieb der chinesische Prinz Gong, der 1869 den internationalen Protest gegen das Geschäft mit dem Rauschgift anführte. Für den amerikanischen Historiker und Sinologen John Fairbank war der Opiumhandel «das am längsten währende und systematischste internationale Verbrechen der Neuzeit».

Über die Jahrzehnte führte der Opiumhandel zu einer verheerenden Drogen-Epidemie, die das wirtschaftliche Gleichgewicht und den sozialen Zusammenhalt in China bedrohte. Der bengalische Dichter, Philosoph und Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore schrieb in seinem Buch «Der Handel des Todes in China», der Opiumhandel provoziere solch tiefe Abscheu, dass man es kaum über sich bringe, der Geschichte bis zum Ende nachzugehen.

Das Rauchen von Opium war sozial geächtet

Alles begann zunächst ganz harmlos mit einem anderen Gewächs: der Teepflanze. Diese wurde im 18. Jahrhundert nur in China kultiviert. Um den wachsenden Durst nach dem Getränk in Grossbritannien zu decken, importierte die britische East India Company grosse Mengen Tee aus China. Da China im Gegenzug kaum britische Waren einführte, floss immer mehr Silber ins Reich der Mitte ab. Für die Briten führte dies zu einem wachsenden Handelsbilanzdefizit.

Als Lösung kam die East India Company schliesslich auf die Idee, Opium aus ihren neu eroberten Ländereien in Nordindien nach China zu exportieren. Die weiss, rot oder violett blühende Schlafmohnpflanze war in Indien seit langem bekannt. Das Mohnextrakt wurde in kleinen Mengen als Arznei verwendet, wobei es meist in Flüssigkeit aufgelöst wurde. Als Rauschmittel wurde es in speziellen Pfeifen geraucht, doch war dies sozial geächtet und nicht weit verbreitet.

Auch in den anderen Ländern Asiens war der Konsum von Opium stark reguliert. In China hatte der Kaiser schon 1729 den Opiumhandel beschränkt, bevor er ihn 1799 ganz verbot. In den Königreichen Thailand, Japan, Vietnam und Mandalay bemühten sich die Herrscher ebenfalls, den Handel und den Konsum einzuschränken oder zu verbieten. Die Briten und die Niederländer setzten sich aber über diese Verbote hinweg und schmuggelten trotzdem Opium ins Land.

Für die Bauern war Opium kaum profitabel

Eine führende Rolle dabei spielte die britische East India Company. Der Form nach war sie eine private Handelsfirma, die lange Zeit aus einem kleinen Büro in London geführt wurde. Wie Portugiesen und Franzosen auch betrieben die Briten in Indien an der Küste zunächst einige kleine Handelsstützpunkte. Doch mit der Protektion der Krone baute die Company binnen weniger Jahre eine eigene Armee auf, unterwarf ein Fürstentum nach dem anderen, bis sie das Mogulreich selbst eroberte und grosse Teile Nordindiens beherrschte.

Die Company zwang die Bauern in der Gangesebene dazu, auf den dafür festgelegten Flächen ausschliesslich Mohn anzubauen. Die Bauern mussten ihr Rohopium zu festen Preisen an die Company verkaufen. Die Preise waren so niedrig, dass der Anbau kaum profitabel war. Wer andere Früchte pflanzte, dem drohte der Verlust des Landes. Dies führte wiederholt zu Engpässen bei Lebensmitteln. Doch selbst während Hungersnöten mussten die Bauern weiter Opium produzieren.

Der erzwungene Anbau von Opium führte dazu, dass die fruchtbare, einst wohlhabende Gangesebene in Bihar und Bengalen völlig verarmte. Wie Ghosh schreibt, hat sich die Region nie wieder davon erholt. Heute ist Bihar das Armenhaus Indiens und gilt als unterentwickelt und rückständig.

Opium war ein ideales Handelsgut – kompakt und profitabel

Das Rohopium wurde von der Company in zwei riesigen, streng bewachten Fabriken in Patna und Ghazipur verarbeitet, bevor es auf dem Ganges nach Kalkutta verschifft wurde. Obwohl in den Fabriken riesige Mengen produziert wurden, lief die Herstellung komplett manuell ab. Besucher schrieben, die Hallen seien erfüllt von einem Gestank von «unbeschreiblicher Garstigkeit». Die Schwaden seien so dicht, dass die Arbeiter schläfrig und lethargisch würden.

Opium war ein ideales Handelsgut, weil es leicht zu transportieren war und kleine Mengen hohen Profit brachte. Die East India Company organisierte den Schmuggel des Opiums nicht selbst, um nicht für das illegale Geschäft haftbar gemacht zu werden. Sie versteigerte das Opium stattdessen in Kalkutta an Händler, die es auf ihren Klippern nach Kanton (heute Guangzhou) brachten. Vor der Küste verluden diese die Kisten in schnelle Ruderboote, die sie an Land brachten.

Der Export von Opium nach China stieg von 200 Kisten im Jahr 1729 auf 30 000 Kisten im Jahr 1830. Zehn Jahre später, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Opiumkrieges mit China, lag die Menge bereits bei 40 000 Kisten. Im Jahr 1880, als der Opiumhandel seinen Höhepunkt erreichte, exportierte das britische Empire 105 000 Kisten. Über Jahrzehnte war der Opiumexport für die Kolonialmacht nach den Steuern auf Land und Salz die drittwichtigste Einkommensquelle in Indien und trug entscheidend zur Finanzierung der kolonialen Kriege bei.

Die Briten erzwangen mit Gewalt die Öffnung des Marktes

Der reiche Opiumhändler William Jardine setzte sich über Jahre bei der britischen Regierung dafür ein, die Öffnung Chinas für den Opiumhandel mit Gewalt zu erzwingen. Als der kaiserliche Kommissar Lin Zexu 1839 einschritt, um dem Schmuggel ein Ende zu setzen und in Kanton 20 000 Kisten Opium beschlagnahmen liess, sahen die Briten dies als Kriegsgrund. Im Ersten Opiumkrieg (1839 bis 1842) wurde die Qing-Dynastie entscheidend geschlagen und gezwungen, den westlichen Mächten weitere Häfen für den Handel zu öffnen.

Der Kaiser blieb aber hart. Auch wenn er aufgrund der Gier korrupter Männer die Einfuhr des Gifts nicht verhindern könne, erklärte er, so werde ihn doch nichts dazu bringen, Profit «aus dem Laster und dem Elend meines Volkes zu ziehen». Da er weiter die Legalisierung des Opiumhandels ablehnte, kam es zum Zweiten Opiumkrieg (1856 bis 1860). Dieser gipfelte in der Zerstörung des kaiserlichen Sommerpalastes bei Peking, was China dem Westen bis heute nicht vergeben hat.

Da die Qing-Dynastie im Süden Chinas zugleich mit der verheerenden Taiping-Rebellion konfrontiert war, sah sich der Kaiser 1860 schliesslich gezwungen, den ohnehin florierenden Opiumschmuggel zu legalisieren, um so wenigstens zusätzliche Steuern zu generieren. Wie der Historiker Steffen Rimner in seinem Buch «Opium’s Long Shadow» schreibt, erfolgte die Legalisierung letztlich weniger auf äusseren Druck denn aus internen finanziellen Zwängen.

Erst das Angebot schuf die Nachfrage in China

Die Briten verschleierten ihre Verantwortung für die Opium-Epidemie in China, indem sie behaupteten, lediglich eine bestehende Nachfrage zu decken. Dabei war es das Angebot, das die Nachfrage schuf. Erst die gegen den erbitterten Widerstand des Kaisers erzwungene Öffnung des Marktes für Opium trieb den Konsum in die Höhe und führte dazu, dass die Zahl der Süchtigen stetig stieg.

Die Opium-Epidemie hatte verheerende soziale Folgen. «Hunger macht den Menschen zum Dieb, aber der Hunger nach Opium macht ihn zum Mörder», heisst es in einem Bericht Ende des 19. Jahrhunderts aus Java, das unter niederländischer Kolonialherrschaft stand. «Erst isst du Opium, doch am Ende verzehrt es dich.» Opium führte dazu, dass die Süchtigen körperlich verfielen und nicht mehr arbeiten konnten. Auch Familien zerbrachen, die Kriminalität griff um sich, und die Korruption breitete sich aus.

«Hunger macht den Menschen zum Dieb, aber der Hunger nach Opium macht ihn zum Mörder. Erst isst du Opium, doch am Ende verzehrt es dich.»

Die Briten waren sich der schädlichen Effekte bewusst. Solange es aber nur «unzivilisierte Völker» wie die Chinesen betraf, sahen sie darin kein moralisches Problem. Der indische Politiker Dadabhai Naoroji kritisierte 1901, sie würden in voller Kenntnis der Wirkung von Opium ein anderes Volk zum Konsum dieses Gifts verleiten, das sie selbst nie legalisieren würden. «Es ist wunderbar, wie England dies mit seinem Gewissen vereint. Dieser Opiumhandel lastet als Sünde auf Englands Kopf und ist ein Fluch für Indien, das dabei als Instrument dient.»

Heroin galt als sichere Alternative zu Morphium

Ab den 1870er Jahren formierte sich vermehrt Widerstand gegen das Geschäft mit dem Gift. Der chinesische Prinz Gong, der so etwas wie der Aussenminister des Kaiserreichs war, spielte eine führende Rolle, um die Öffentlichkeit aufzurütteln und das Tabu zu durchbrechen, das den Handel bis dahin umgab. Amerikanische Missionare, britische Feministinnen und Journalisten in Indien und China spannten zusammen, um die Politik zum Stopp des Handels aufzufordern.

Während die Opiumexporte in die Kritik gerieten, bauten deutsche Pharmafirmen die Produktion des Opiumderivats Morphium aus. Im Ersten Weltkrieg spielte es eine wichtige Rolle als Schmerzmittel. Als ihm viele Veteranen verfielen, propagierte Bayer als Alternative ausgerechnet Heroin, das als sicherer Ersatz galt. Da nun auch Europa mit einer Opiat-Epidemie konfrontiert war, bemühte es sich endlich, den Handel unter Kontrolle zu bringen. Doch da war der Geist längst aus der Flasche. Heute ist Heroin das am häufigsten konsumierte Opiat in Europa. Das meiste Heroin stammt aus Asien.

Amitav Ghosh: Smoke and Ashes: A Writer’s Journey through Opium’s Hidden Histories. Fourth Estate, 2023.

Exit mobile version