Dienstag, März 4

Ohne Technologien, die Kohlendioxid aus der Luft filtern, werden die Klimaziele nicht erreicht. Noch ist ihr Beitrag winzig. Nun fordern Forscher: Erdöl – und Gasfirmen sollen die Atmosphäre reinigen.

CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und in der Versenkung verschwinden zu lassen, ist nicht einfach. Es kostet Milliarden und benötigt neue Industrieanlagen. Ohne diese Technik werden die Klimaziele nicht erreicht.

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Doch Regierungen können sie nicht allein stemmen. Eine Gruppe von Wissenschaftern fordert nun: Unternehmen, die Emissionen verursachen, sollen dazu verpflichtet werden, das Kohlendioxid in der Zukunft wieder aus der Luft zu entfernen.

Der Vorschlag findet sich in einem Hunderte Seiten langen Bericht zur CO2-Entnahme, der am Freitag vom European Scientific Advisory Board on Climate Change (ESABCC) veröffentlicht wurde. Angeführt vom deutschen Ökonomen Ottmar Edenhofer, berät die Gruppe aus fünfzehn europäischen Wissenschaftern die Führungsriege der EU dabei, die Klimaziele der Staatengemeinschaft zu erreichen.

Die Idee ist einfach: «Verschmutzer sind verpflichtet, diejenigen Emissionen zu beseitigen, die sie in die Atmosphäre geblasen haben», sagt Edenhofer bei einer Präsentation des Berichts. Neben seiner Rolle im EU-Beratungsgremium ist er auch Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor an der TU Berlin.

Die Unternehmen hätten eine Verantwortung, die Atmosphäre zu reinigen, so Edenhofer. Lange schon gelte das Prinzip in der EU, dass Verursacher für ihre Verschmutzung zahlen müssten. Unternehmen kaufen beispielsweise im Rahmen des Emissionshandels Verschmutzungsrechte. Nun werde das Konzept erweitert, um Anreize zu schaffen, zusätzlich CO2 aus der Luft zu entfernen. «Dieser Vorschlag ist sehr neu», sagt er im Gespräch.

Wie könnten Öl- und Gaskonzerne dazu verpflichtet werden? Edenhofer erklärt das Konzept so: Eine Ölraffinerie möchte heute noch so flexibel sein, dass sie CO2 emittieren kann. Das Unternehmen verspricht jedoch, die Tonnen von Kohlendioxid in der Zukunft wieder aus der Luft zu entfernen. Dieses Versprechen könnte mittels eines Zertifikats verbindlich gemacht werden, das beispielsweise festhält: heute eine Tonne CO2 in die Luft ausstossen, dafür morgen zwei Tonnen aus der Luft entfernen.

Verschmutzen, ohne zu putzen? So geht es nicht!

Die Berichte des Beirats sind einflussreich und finden ihren Weg in die Politik. Die neue EU-Kommission plant nun, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um rund 90 Prozent zu reduzieren. Das Gremium hatte die Zahl schon 2023 vorgeschlagen.

Jetzt fordert die Gruppe um Edenhofer, dass Brüssel mehr dafür tun müsse, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und Anreize für die benötigten Technologien zu schaffen. Das hat verschiedene Gründe.

Die EU ist zunehmend unter Druck: Wälder und Böden nehmen immer weniger Kohlendioxid auf, unter anderem, weil der Waldbestand älter wird oder Bäume gerodet werden. Das erschwert das Erreichen der Klimaziele, das auch vom Funktionieren dieser Kohlenstoffsenken abhängen.

Gleichzeitig kommen technische Methoden, um die Luft zu reinigen, nur schleppend voran. Die Technologien sind teuer, benötigen grosse Mengen an Energie und teilweise auch viel Land, das für andere, landwirtschaftliche Zwecke verwendet werden könnte.

Klimapolitisch kommt jedoch keine Regierung, welche die eigenen Klimaziele ernst nimmt, um die CO2-Entnahme herum. Die EU wie auch die meisten anderen Länder der Welt haben sich vorgenommen, bis zur Jahrhundertmitte netto null Emissionen zu erreichen.

Dafür müssen die Emissionen nicht nur fallen, sondern CO2 auch aus der Luft abgeschieden werden. Denn in manchen Industrien lassen sich Emissionen nur schwer oder gar nicht reduzieren, etwa in der Schwerindustrie, in der Luft- und der Schifffahrt. Das soll durch die CO2-Entnahme ausgeglichen werden.

Aber auch das allein reicht langfristig nicht, um die Klimaziele des Pariser Abkommens einzuhalten und den Temperaturanstieg auf unter zwei Grad zu begrenzen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts muss gemäss den Klimamodellen mehr CO2 aus der Atmosphäre gezogen werden, als von Industrieanlagen, Schiffen oder der Landwirtschaft dann noch ausgestossen wird. Das würde den CO2-Anteil in der Luft verringern und so den Temperaturanstieg zurückdrehen. «Das bedeutet, dass wir den Bestand der von uns verursachten CO2-Schäden in der Luft verringern», sagt Edenhofer.

Treibhausgase müssen aus der Atmosphäre entfernt werden

Es stehen eine Reihe von Techniken zur Verfügung, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen. CO2 wird der Luft entweder direkt entnommen und mithilfe eines Filters abgesondert und dann gespeichert (die sogenannte DACCS-Technologie). Oder man scheidet CO2, das durch das Verbrennen von Biomasse entsteht, ab und speichert es (BECCS). Eine weitere Option wäre, das Kohlendioxid mithilfe von Pflanzenkohle langfristig zu binden.

Während Wälder und andere Landschaftsformen natürlich eine Rolle dabei spielen, die Luft zu säubern, geht es Edenhofer um das Hochfahren dieser technischen Lösungen. Denn mit ihnen seien die Aussichten sehr viel höher, CO2 für Tausende Jahre zu entfernen und zu speichern, sagt er. Bäume dagegen können abbrennen, von Krankheiten befallen werden oder von Wetterextremen angegriffen werden.

«Es geht nicht um eine Technologie, sondern um ein Portfolio an Möglichkeiten», sagt Edenhofer. Das Problem dabei ist, dass die Technologien bis jetzt nur als Pilotprojekte bestehen. Sie entfernen erst winzige, im Grunde irrelevante Mengen an Kohlendioxid. «Wir sind, was diese Hochskalierung betrifft, hinter den Zielen», so Edenhofer. Das betreffe insbesondere DACCS-Anlagen.

Mehr Markt wagen

Aus diesem Grund empfehlen die Forscher, schon heute einen Marktmechanismus in der EU zu entwickeln, und zwar im Rahmen des existierenden Emissionshandels. Noch würden die Technologien zur CO2-Entnahme zusätzliche Förderung erfordern, um die Kosten zu senken, sagt Edenhofer. Das sollte jedoch zeitlich begrenzt sein: «Irgendwann müssen sie sich am Markt bewähren.»

Eine Rechnung zeigt, warum das wichtig ist: Stellen wir uns vor, die Kosten dafür, eine Tonne CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, liegen bei 500 Euro. Das ist teuer. Der Preis für ein Zertifikat im europäischen Emissionshandel liegt heute bei rund 80 Euro.

Aber: Vergleicht man die 500 Euro mit den über 1000 Euro der gesellschaftlichen Folgekosten, die das Emittieren einer Tonne CO2 laut Edenhofer verursacht, lohnt es sich, die Tonne zu beseitigen. Dabei gilt aber: Während Edenhofer die gesellschaftlichen Folgekosten bei rund 1000 Euro pro Tonne Kohlendioxid veranschlagt, gibt es eine grosse Spannbreite an Schätzungen, auch solche, die geringer sind.

Welche Technologie sich am Ende durchsetze, um CO2 zu entfernen, entscheide der Markt, sagt Edenhofer. Unternehmen könnten so abwägen, welche Optionen und Technologien sie nutzen wollten. Wann wird das zum Geschäft? «Wenn Unternehmen davon ausgehen, dass die Kosten für die CO2-Entnahme so weit hinuntergehen, dass es sich lohnt», sagt Edenhofer.

Um die Glaubwürdigkeit der Klima-Versprechen der Firmen zu gewährleisten, müssten diese bei einer dafür eingerichteten Bank beispielsweise eine Sicherheitsgarantie hinterlegen. Wird der Atmosphäre Kohlendioxid erfolgreich entzogen, dann gibt es das Geld zurück. Ist das nicht der Fall, wird das Geld für diesen Zweck genutzt.

Noch sei der Vorschlag nicht direkt umsetzbar, räumt Edenhofer ein, aber er versöhne ökonomische Interessen mit der ethischen Verantwortung, die verursachte Verschmutzung wiedergutzumachen. Die EU-Experten sind nicht die einzigen, die an neuen Konzepten arbeiten, um Unternehmen zu den notwendigen Investitionen in grüne Technologien zu zwingen, Regierungsbudgets zu entlasten und die Klimaziele zu erreichen.

Anfang Februar veröffentlichte eine Gruppe von Forschern der Universität Oxford einen ähnlichen Vorstoss für Grossbritannien. Sie fragten sich: «Wie können wir die Kohlenstoffspeicherung ausbauen, ohne unbegrenzt auf die Milliarden der Steuerzahler angewiesen zu sein, insbesondere in Zeiten steigender Kosten im Alltag?»

Für die Autoren Ingrid Sundvor und Stuart Jenkins lautet die Antwort: Die Hersteller und Lieferanten fossiler Brennstoffe werden verpflichtet, einen steigenden Prozentsatz ihrer CO2-Emissionen dauerhaft zu speichern. Wie? Das können die Unternehmen selbst entscheiden. Das Know-how und die Erfahrung haben sie. Was sie bisher jedoch nicht hatten: einen zwingenden Grund dazu.

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