Sonntag, Oktober 6

Doch es gibt Zutaten, die umami sind und die Gerichte noch aromatischer machen.

Umami – das Wort geistert seit Jahrzehnten durch die Welt der Kulinarik. Jeder Koch, jeder Testesser, alle einigermassen ambitioniert kochenden Selbstversorgerinnen, sie alle haben davon gehört, gelesen und glauben, den fünften Geschmack (neben süss, sauer, bitter und salzig) auch schon auf ihren G-Protein-gekoppelten Rezeptoren erkannt (und geschätzt) zu haben. Diese auf der Zunge gewachsenen Aromasensoren sind es, die diesen Geschmacks-Bonustrack in die Grosshirnrinde schiessen und dort die so einfache wie treffende Erkenntnis auslösen: Das schmeckt richtig gut!

Das japanische Wort für Schmackhaftigkeit geht auf den Chemiker Kikunae Ikeda zurück. Der Japaner vermutete aufgrund eigener Aromaerlebnisse neben den oben erwähnten vier bekannten Geschmacksrichtungen eine fünfte. Er identifizierte sie als Glutaminsäure, fündig wurde er im Extrakt von Kombu. Wer selbst schon Dashi zubereitet hat, die japanische Basis-Bouillon, kennt diese Blattalge. Sie ist unentbehrlich in der japanischen Küche.

Glutamat – gut oder böse?

Der findige Ikeda entwickelte ein Verfahren, um aus Glutaminsäure ein Salz zu kristallisieren, und brachte es unter dem Firmennamen Ajinomoto (Essenz des Geschmacks) in Millionen von asiatischen Haushalten. Ein noch grösserer Siegeszug als Maggi in Europa. Dieses Salz – auch als Glutamat bekannt – geriet später etwas in Verruf, als allergische Reaktionen darauf die Runde machten. Es wird noch immer in der industriellen Herstellung von vorgefertigten Lebensmitteln verwendet, um den Geschmacksverlust infolge Kochens, Tiefgefrierens und Sterilisierens auszugleichen. Es gilt aber, basierend auf wissenschaftlichen Studien, als gesundheitlich unbedenklich – in vernünftiger Dosierung. Aber gilt das nicht für alles, was uns schmeckt?

Glutamate kommen aber auch natürlich vor, in der Muttermilch, in Fleisch und vor allem in vollreifen und getrockneten Lebensmitteln. Ein treffendes Beispiel finden wir bei Tomaten. Beträgt der Glutamat-Masseanteil bei reifen, frischen Tomaten rund 0,2 Prozent, verdreifacht sich diese Zahl auf 0,6 Prozent während des Trocknungsprozesses. Die Erklärung ist einfach: Beim Trocknen verliert ein Lebensmittel Wasser, alle anderen Inhaltsstoffe bleiben dadurch konzentrierter zurück. Noch höher dosiert (bis 3 Prozent) finden wir den natürlichen Geschmacksverstärker Glutamat in fermentierten Produkten wie Fisch- und Sojasaucen, Parmesan, Miso-Pasten oder Sardellen und eingesalzenen Kapern.

Wie schmeckt «umami»?

Nun aber: Wie schmeckt «umami»? Auf Anhieb ist es schwer, Assoziationen zu nennen. Ja, man liest darüber, hört davon. Ähnlich der Beschreibung des (ohne Zweifel) tragischen Sturzes in ein Schwarzes Loch, bei dem wir den Vorgang erst dann in seiner ganzen Tragweite erleben, wenn es zu spät ist, nämlich nach Überschreiten des Ereignishorizonts, des «point of no return». Wenn die Schwerkraft einer Neutronenstern-Leiche selbst Licht nicht mehr entkommen lässt, geschweige denn einen Menschen.

Das Umami-Glücksgefühl zu erleben, ist netterweise um einiges weniger gefährlich. Aber auch hier gilt: Eine Beschreibung ist Silber, Essen und Schmecken ist Gold. Die hochkonzentrierte Rahmigkeit eines bröckligen Sbrinz oder mehrjährigen Parmesans. Die fast ekelhafte Fischigkeit von Garum, einer Würzflüssigkeit aus fermentierten Sardellen. Die bodenlose Tiefgründigkeit eines über viele Stunden einreduzierten Fleisch- oder Gemüsefonds. Der nussig-butterige Schmelz des Fetts eines luftgetrockneten Schinkens. Alle diese Geschmacksorgasmen sind vordergründig einer Art Salzigkeit geschuldet.

Aber der vorschnellen Versuchung zu erliegen, diese weiten Aromenbögen als versalzen zu bezeichnen, wird den Produkten nicht gerecht. Es ist die Vielfalt, das weite Spektrum der Geschmäcke, von Süsse (im Sinne von reif) bis zu Säure und Bitterkeit, die nicht als solche geschmeckt werden, sondern das Aroma mit Tiefe und Struktur stützen.

Die thailändische Küche ist nicht zufällig in der ganzen Welt beliebt. Dort wird seit Urzeiten auf den Ausgleich zwischen den vier ursprünglichen Geschmacksrichtungen Wert gelegt, zusätzlich kommt als fünfte noch die Schärfe hinein. Gesalzen wird praktisch nicht, die Fischsauce als ultimative Würze macht fast jedes Gericht genug umami.

Versteht man die geschmackliche Macht, die Lebensmittel mit hohem, natürlichem Glutamatanteil auf ein Gericht ausüben können, ergibt plötzlich Sinn, was bisher Kopfschütteln hervorrief, wenn man Folgendes in einem Rezept las oder einer italienischen (oder asiatischen) Nonna dabei zusah: Sardellen und getrocknete Tomaten in Schmorgerichten und Saucen. Fisch- und Sojasauce zu Gemüse. Parmesanrinde, Miso-Paste und getrocknete Algen in Brühen und Suppen.

Was alle diese Zusätze nicht bewirken, ist, ihren Eigengeschmack in die Gerichte zu übertragen. Das wollen wir auch gar nicht. Was sie hingegen mit Bravour erledigen, nämlich das Aroma der Rezeptur mit Umami-Geschmack anzureichern und zu verstärken, hätte meine liebste Pizzabäckerin nicht treffender ausdrücken können, als ich sie um ihre Definition von umami bat: «Miam!»

Richi Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Sein Verbrauch an Sardellen, Fischsauce und Salzkapern ist legendär. Seine Rezepte veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch, Instagram @richifoodscout.

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