In Rembrandts Amsterdam gab es auch Verlierer des Wirtschaftsbooms im 17. Jahrhundert. Das Frankfurter Städel-Museum wirft ein neues Licht auf das goldene Zeitalter der Niederlande.
Rembrandt war der prominenteste künstlerische Repräsentant des goldenen Zeitalters. Es war jene Blütezeit der Niederlande im 17. Jahrhundert, als sich die von Spanien unabhängig gewordene junge Nation zur führenden See- und Handelsmacht entwickelte. Im Gefolge des wirtschaftlichen Aufschwungs fanden Tausende von ambitionierten Malern ein ertragreiches Wirkungsfeld.
Schätzungen gehen davon aus, dass in den Niederlanden zwischen 1600 und 1700 rund fünf Millionen Gemälde entstanden sind. Es erstaunt also nicht, dass man fast in allen Museen der Welt auf niederländische Malerei trifft, was etwa für Werke des italienischen Quattrocento nicht zutrifft.
Als Rembrandt am 4. Oktober 1669 mit 63 Jahren in Amsterdam starb, hinterliess er «700 Bilder, von denen 3000 erhalten sind», wie der legendäre deutsche Museumsmann Wilhelm Bode ironisch bemerkte. Tatsächlich wurde Rembrandt schon zu Lebzeiten eine Überfülle von Werken zugeschrieben. Es war oft schwierig, eigenhändige Gemälde des Meisters von solchen zu unterscheiden, die Mitarbeiter angefertigt hatten.
Rembrandt verkaufte unter seinem Namen auch Bilder von begabten Gehilfen. Ebenso liess er angefangene Arbeiten von diesen fertig malen, was damals in einem florierenden Werkstattbetrieb nicht ungewöhnlich war. Zudem erschwert sein uneinheitlicher Stil präzise Zuschreibungen. Erst mit dem 1968 ins Leben gerufenen Rembrandt Research Project begann die Forschung aufgrund hochdifferenzierter Kriterien die Spreu vom Weizen zu trennen.
Reichtum und Prestige
Rembrandt war in Amsterdam der unbestrittene Meister der Porträtmalerei. Wie vor ihm der Haarlemer Frans Hals holte er die Porträtierten aus der friesartigen, additiven Reihung heraus. In einer solchen hatte etwa Jan van Scorel in seinem Gruppenbildnis von 1528 noch die Mitglieder der Utrechter Bruderschaft Jerusalem-Pilger angeordnet. Rembrandt positionierte seine Porträtierten in unterschiedlichen Haltungen und Blickrichtungen. Das verleiht seinen Kompositionen Lebendigkeit und Binnenspannung.
Keine andere Gattung der Malerei spiegelt den Glanz des goldenen Zeitalters in den Niederlanden so eindrücklich wider wie das Gruppenporträt. Die Emanzipation des Bürgertums hatte im Kunstschaffen zur Folge, dass vor allem Porträts gefragt waren. Repräsentative, prestigeträchtige Gruppenporträts wurden zu einer Spezialität der niederländischen Bildnismalerei.
Dabei bezahlte jeder für sein eigenes Konterfei. Der Tarif für ein Bildnis in einem Schützenbild betrug bei Rembrandt rund 100 Gulden, je nach Position des Porträtierten in der Komposition etwas mehr oder weniger. Das war ein stattlicher Preis, verdiente doch damals ein Handwerker etwa 300 Gulden im Jahr. Kunstbesitz war eine Kapitalanlage, aber ebenso ein Statussymbol.
Auftraggeber waren die im Befreiungskampf ruhmreich hervorgetretenen Schützenverbände, sodann Regenten und Regentinnen, also Vorsteher und Vorsteherinnen der nach der Auflösung der Klöster entstandenen, damals sehr fortschrittlichen Fürsorge- und Besserungsanstalten, aber auch einzelne Berufsstände wie Goldschmiede, Torfträger und Chirurgen.
Gruppenbilder bilden denn auch den Schwerpunkt der jüngsten Ausstellung des Frankfurter Städel-Museums. Sie trägt den Titel «Rembrandts Amsterdam» zu Recht, doch die Betonung liegt auf Amsterdam. Nicht Rembrandt, sondern die Stadt in ihrer Gesamtheit steht im Fokus und wird gleich im ersten Saal prominent in Szene gesetzt.
Zentrum des Welthandels
Während Amsterdams kometenhaftem Aufstieg zum europäischen Zentrum des Welthandels verwandelte sich die verträumte Siedlung in eine Grossstadt. Deren Einwohnerzahl wuchs von ungefähr 30 000 um 1565 auf 50 000 zu Beginn des 17. Jahrhunderts und auf 210 000 im Jahr 1662. Die Zuwanderer stammten nicht nur aus den Niederlanden, sondern trafen aus ganz Nordwesteuropa in Amsterdam ein, das zu Rembrandts Zeit eine Grossbaustelle war.
Von der damaligen Stadterweiterung zeugen das zwischen 1648 und 1665 nach Entwürfen des Architekten Jacob van Campen gebaute Rathaus, das Börsengebäude von 1608 oder die Herengracht. Deren prachtvolle Häuser sind etwa auf Gerrit Berckheydes Gemälde «Ansicht der Herengracht» zu bewundern. Getragen wurde dieser Aufschwung vom Bürgertum und Patriziat. Der Erwerb von Kunstwerken war für diese so selbstverständlich wie der Handel mit Gewürzen, Stoffen oder Tulpenzwiebeln.
Die Gruppenbildnisse, bei deren Auswahl das Städel-Museum zahlreiche Zeitgenossen und Schüler Rembrandts einbezogen hat, repräsentieren allerdings nur den kleineren Teil der Gesellschaft: die Reichen und Mächtigen. Nicht alle profitierten vom Höhenflug der Wirtschaft, der Wissenschaften und Künste. Der Reichtum der Niederlande im 17. Jahrhundert und die daraus resultierende Blütezeit der Kunst beruhte wesentlich auf der Bereicherung der Amsterdamer Kaufleute durch die Kolonien in Südamerika, Afrika und Asien und somit auch auf dem lukrativen transatlantischen Sklavenhandel.
Quacksalber, Strassenhändler und Bettler
Die Angehörigen der städtischen Unterschicht standen auf der Verliererseite. Deshalb setzt die Frankfurter Ausstellung, die in enger Kooperation mit dem Amsterdam Museum konzipiert wurde, hinter den Begriff «goldenes Zeitalter» ein Fragezeichen. Er ist aus heutiger Sicht problematisch, weil er primär die Perspektive der Oberschicht vermittelt. Die Einbeziehung der Unterprivilegierten soll ein neues Licht auf das «Gouden Eeuw» werfen.
Dabei erweist sich das Werk Rembrandts als wegweisend. Er ist nicht nur der Meister der weltberühmten «Nachtwache» im Amsterdamer Rijksmuseum: Deren nicht ausleihbares Original ist in Frankfurt durch eine kleinformatige Aquarellkopie aus der Hand von Jacob Colijn vertreten. In seinem grafischen Werk hat Rembrandt gerade auch jenen Menschen ein Denkmal gesetzt, die damals kaum als bildwürdig galten. Ihnen hat er zum Teil sogar seine eigenen Gesichtszüge geliehen.
Zu seinen Lebzeiten beruhte Rembrandts Ruhm weitgehend auf seinen Radierungen, die in gestalterischer wie thematischer Hinsicht gleichermassen innovativ sind. Aussergewöhnliche Resonanz fand das durch zahlreiche Skizzen vorbereitete «Hundertguldenblatt». Bekannt ist es auch unter den Titeln «Christus, dem die kleinen Kinder gebracht werden» oder «Christus heilt die Kranken».
Diese berühmteste von Rembrandts Radierungen wurde fünf Jahre nach ihrer Entstehung für den damals horrenden Preis von 100 Gulden gehandelt. Mit meisterlichem Gestus vereint der Künstler hier Ereignisse aus dem Leben Jesu. Dieser steht im Mittelpunkt der Komposition, während von allen Seiten Menschen zu ihm hinströmen oder vor ihm knien: erwachsene und Kinder, Männer und Frauen, Reiche und Arme, Kranke und Invalide – gleichsam ein Querschnitt der Amsterdamer Bevölkerung seiner Zeit.
In seinen grafischen Blättern – sie bilden ein Herzstück der Ausstellung – rückt Rembrandt auch Bettler, Kartenspieler, Quacksalber, Strassenhändler, Kranke, Vagabunden und Prostituierte ins Blickfeld. Mit wenigen Linien und Schraffierungen fängt er sie in kleinen Formaten zeichnerisch ein und adaptiert sie dann zum Teil für biblische Szenen. In den Genuss eines Porträts kamen diese Menschen nicht. Der grösste Teil der Bevölkerung blieb anonym.
In den Gruppenbildnissen Rembrandts und seiner zahlreich vertretenen Zeitgenossen erscheinen zwar Insassen von Waisenhäusern, Asylen und Besserungsanstalten, doch fast durchgehend im Hintergrund und schemenhaft. Wie anders dann die Winterszene von Arent Arentsz, auf der sich Menschen aller Stände und Altersgruppen auf dem Eis tummeln, auf Pferdeschlitten oder Schlittschuhen, jagend und fischend oder Eisgolf spielend.
Beim Freizeitvergnügen lassen sich für ein paar Stunden die Standesschranken vergessen. Das Fazit der Frankfurter Schau zum goldenen Zeitalter ist dennoch eindeutig: «Es ist nicht alles Gold, was glänzt». Dem Städel-Museum allerdings ist mit «Rembrandts Amsterdam» ein Glanzstück gelungen.
«Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?» Hg. Städel-Museum, Frankfurt am Main, in Zusammenarbeit mit dem Amsterdam Museum. Bis 23. März. Katalog Euro 49.90.