Mittwoch, April 30

Seit Donald Trump im Amt ist, hat er mehr als 100 Regierungsdekrete unterzeichnet. Bei einigen davon ist nicht klar, ob sie verfassungskonform sind. Deswegen werden sie auch immer häufiger von Richtern blockiert. Aber Trump ist überzeugt: «He who saves his Country does not violate any law.».

Christian Weisflog: «Was Donald Trump angreift, ist die liberale Demokratie, also eine Demokratie, die sich auf Gesetze stützt und auch eine Gewaltenteilung vorsieht.»

Wie genau greift Trump die liberale Demokratie an? Und wie reagieren die Gerichte?

Donald Trump ist zurück im Weissen Haus – und schon am ersten Tag unterzeichnet er 26 Executive Orders. Das sind Anordnungen des Präsidenten an die restliche Exekutive, die sofort in Kraft treten – ohne Zustimmung von Kongress oder Senat. Sie können bestehende Gesetze ergänzen oder auch einen nationalen Notstand anordnen. Executive Orders müssen jedenfalls rechtskonform sein – sie sind nicht von den Gesetzen ausgenommen.

In den letzten 100 Tagen hat Trump mehr als 130 solcher Dekrete unterschrieben. Er will Zehntausende Regierungsbeamte entlassen. Steigt aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Gibt dem Golf von Mexiko einen neuen Namen. Und tritt aus dem Uno-Menschenrechtsrat aus. Die Liste liesse sich weiterführen.

Seine Vorgänger haben deutlich weniger Dekrete erlassen: In seinen ersten 100 Tagen als Präsident hat Barack Obama 19 Dekrete unterschrieben. Bei Joe Biden waren es 42. Trump übertrifft sogar seine eigene erste Amtszeit.

Eigentlich gilt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative ja das Prinzip der Checks and Balances. Dabei kontrollieren sich die drei Gewalten gegenseitig, damit keine der drei Staatsgewalten zu viel Macht erhält. Das gilt auch für Dekrete, die der Präsident verabschiedet: Der Kongress kann entweder das Geld für die Umsetzung verweigern – oder die Dekrete ans bestehende Recht anpassen. Gerichte hingegen können Dekrete aufheben, wenn deren Inhalt verfassungswidrig ist oder Gesetze bricht. Weil Trump aber so schnell so viele Dekrete erlässt, kommen die Gerichte kaum nach.

Auch dem Kongress obliegen eigentlich gewisse Befugnisse allein. Aber auch hier mischt Trump mit. Ein Beispiel dafür sind die massiven Kürzungen in der USAID, der Agentur für Entwicklungszusammenarbeit. An seinem ersten Amtstag hat Trump alle Zahlungen an die Behörde für 90 Tage gestoppt. Und massive Umstrukturierungen angekündigt.

Donald Trump: «Es ist absolut obszön, gefährlich, schlecht. Jede Investition ist ein Schwindel.» Die USAID-Kürzungen werden unter anderem vom sogenannten Departement für Regierungseffizienz durchgesetzt – kurz Doge. Elon Musk als Leiter von Doge ist weder vom Senat gewählt noch bestätigt.

Ein Richter urteilt im März 2025: Mit den Kürzungen verstösst Trump wahrscheinlich gegen die Verfassung. Der Präsident überschreitet damit möglicherweise seine Kompetenzen.

Denn das Einfrieren der Gelder verstösst gegen ein zentrales Prinzip der Checks and Balances: die sogenannte «power of the purse». Die «Macht der Brieftasche», also die Budgetkontrolle, obliegt laut Verfassung dem Kongress. Er allein entscheidet, wofür der Staat wie viel Geld ausgibt. Aber das erstinstanzliche Urteil wird kurz danach in zweiter Instanz aufgehoben. Der Rechtsstreit zu USAID läuft.

Um seine Dekrete wirksam zu machen und sein politisches Programm umzusetzen, nutzt Trump teilweise das Notrecht. Ein Notstand erlaubt es dem Präsidenten, legal ohne Zustimmung des Kongresses zu handeln. Zum Beispiel ruft Trump schon am zweiten Tag seiner Amtszeit einen Notstand an der Grenze zu Mexiko aus.

Donald Trump: «Wir stoppen alle illegalen Einreisen per sofort. Wir beginnen mit der Rückführung von Millionen und Millionen krimineller Ausländer. Dorthin zurück, wo sie herkommen.»

Damit kann er das Militär an die Grenze schicken, Gelder für den Ausbau von Grenzmauern zur Verfügung stellen, das Asylrecht aussetzen und Massenabschiebungen erlauben. Im April ruft Trump einen Notstand aus, um hohe Zölle zu verhängen. Der Kongress könnte einen Notstand zwar mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern rückgängig machen.

Christian Weisflog: «In der Verfassung ist eigentlich der Kongress das wichtigste Gegengewicht zum Präsidenten.» Aber der Kongress ist weitgehend republikanisch, und damit bleibt er Trump treu. Christian Weisflog: «Sie verteidigen momentan das Recht des Kongresses nicht, sondern sie stellen sich hinter den Präsidenten und finden eigentlich alles gut, was der Präsident hier macht.»

Deshalb spielen die Gerichte eine umso wichtigere Rolle: Sie entscheiden, ob ein Dekret mit der Verfassung vereinbar ist oder nicht. Bisher sind bei den Gerichten mehr Klagen eingegangen, als Trump Dekrete unterschrieben hat.

Die Kläger sind zum Beispiel demokratisch regierte Bundesstaaten, NGOs, Gewerkschaften, Beamte und von den Dekreten betroffene Bürger. Und sie sind zum Teil erfolgreich: Etwa 70 Dekrete wurden zumindest vorläufig gestoppt.

So zum Beispiel die Verlegung von Transfrauen in Männergefängnisse. Oder auch der Versuch, das Recht auf die US-Staatsbürgerschaft per Geburt abzuschaffen. Weil Letzteres in der Verfassung steht, müssten eine Mehrheit im Kongress und eine Mehrheit der Bundesstaaten einer Änderung zustimmen.

Selbst wenn die Gerichte eingreifen, setzt Trump Gerichtsurteile aber nur schleppend um. Und er hat sich auch schon über Urteile hinweggesetzt. Zum Beispiel Mitte März. Da schiebt Trump rund 260 Menschen in ein Gefängnis nach El Salvador ab. Sie seien Mitglieder einer venezolanischen Gang, sagt er.

Die Abschiebungen geschehen sehr schnell, ohne Gerichtsverfahren: Denn Trump beruft sich auf die sogenannte Alien Enemies Act, ein altes Kriegsgesetz von 1798. Das erlaubt es dem Präsidenten, in Kriegszeiten Menschen aus «feindlichen Nationen» ohne Gerichtsverfahren abzuschieben.

Bis die Anwälte der Betroffenen davon erfahren, ist es zu spät. Ein Bundesrichter ordnet zwar an, dass die Abschiebeflüge umdrehen. Aber das tun sie nicht. Stattdessen greift Trump den Richter an: ««This Radical Left Lunatic of a Judge (…) should be IMPEACHED!!!»

In diesem Fall hat der Supreme Court geurteilt: Die Anwendung der umstrittenen Alien Enemies Act ist vorerst erlaubt. Die Betroffenen dürfen ihre Ausschaffung allerdings anfechten. Es gibt aber eine Ausnahme: Unter den 260 Menschen war der 29-jährige Familienvater Kilmar García. Dessen Abschiebung hat der Supreme Court für unrechtmässig erklärt. Dem Mann droht in El Salvador Ganggewalt – und das Gericht ordnet an, ihn zurückzuholen. Bis jetzt ist das nicht passiert.

Zwei Wochen später kommt die Anwendung der Alien Enemies Act erneut vor den Supreme Court. Die Richter entscheiden diesmal: Trump darf keine weiteren Abschiebungen auf Basis der Alien Enemies Act durchführen. Auch gegen dieses Urteil hat Trump inzwischen öffentlich gewettert.

Christian Weisflog: «Donald Trump hat ja auch schon gesagt, wer sein Land rettet, kann keine Gesetze verletzen. Das ist so ein bisschen sein Mindset, dass er eigentlich sein Land rettet und ihm weder der Kongress noch die Gerichte in die Quere kommen sollen. Es findet wirklich eine Kampagne der Einschüchterung gegen Richter statt. Und gleichzeitig aber auch gegen Anwaltskanzleien, die in der Vergangenheit Demokraten vertreten haben oder demokratische Anliegen oder sich immer noch beteiligen.»

Trump droht, Kanzleien die Sicherheitsfreigabe zu entziehen. Das bedeutet: kein Zugang mehr zu Regierungsgebäuden und keine Einsicht in geheime Regierungsunterlagen. Der Druck wirkt – einige der betroffenen Kanzleien lassen sich auf einen Deal mit Trump ein. Das New Yorker Anwaltsbüro Paul Weiss ist eines davon. Die Kanzlei hatte Trump-Anhänger verfolgt, die am 6. Januar 2021 das US-Capitol gestürmt hatten.

Um Trumps Drohungen abzuwenden, hat die Kanzlei der US-Regierung jetzt kostenlose Rechtsberatung im Wert von 40 Millionen Dollar zugesagt. Damit wollen sie Projekte des Weissen Hauses unterstützen – unter anderem im Bereich der Kriegsveteranenhilfe und zur Bekämpfung von Antisemitismus. Kanzleien, die sich nicht einschüchtern lassen, riskieren viel:

Christian Weisflog: «Diese Anwaltskanzleien, die klagen, haben vielleicht das Problem, dass sie in Zukunft Klienten verlieren werden. Denn wenn sie mit der Regierung Geschäfte machen oder eine Beziehung pflegen wollen, dann werden sich auch Klienten dieser Anwaltskanzlei überlegen, ob sie wirklich mit dieser Kanzlei zusammenarbeiten wollen, die bei der Regierung unbeliebt ist und sogar gegen sie geklagt hat. Es zeigt einfach die Macht, die er voll ausspielt, die die Regierung hier auch hat.»

Auch vor dem Supreme Court lotet Trump die Grenzen seiner Macht aus. Der Supreme Court hat momentan eine konservative Mehrheit, und der Präsident hofft halt, dass er am Ende hier auch Recht kriegt. Die konservative Mehrheit im Supreme Court ist kein Zufall: Trump hat in seiner ersten Amtszeit gleich drei neue Oberste Richter ernannt – alle konservativ. Sie bleiben auf Lebenszeit im Amt.

Auch die Medien geraten zunehmend ins Visier. Das war schon während Trumps erster Amtszeit so. Aber jetzt geht Trump weiter. Er verbietet etwa der Nachrichtenagentur AP den Zutritt ins Weisse Haus. Das Weisse Haus schliesst nicht nur Medien aus, sondern akkreditiert auch neue, sorgfältig ausgewählte. Zum Beispiel Podcaster oder Influencer, die Trump oft positiv gesinnt sind.

«Was vielleicht das Erstaunliche hier in den USA ist: Obwohl die Medien so frei sind, ist hier auch gerade eine konservative Medienlandschaft entstanden, auch mit Podcasts und jetzt mit X, die halt sehr unkritisch mit Trump umgeht.»

Trump beschränkt sich nicht nur auf das Ausüben seiner Exekutivmacht – er versucht auch immer wieder, die Legislative und die Judikative zu beeinflussen. Er greift den Rechtsstaat an, indem er Kompetenzen des Kongresses übergeht, Richter einschüchtert und Gerichtsurteile nicht umsetzt. Befürworter rechtfertigen sein Handeln mit der sogenannten Unitary Executive Theory.

Im Zuge der Gründung der USA sollte ein starker Präsident geschaffen werden, der Gesetze einheitlich durchsetzen kann. Im 20. Jahrhundert haben konservative Kreise dann diese Auslegung der Verfassung genutzt, um die Macht der Regierung auszubauen. Nach dieser Auslegung kontrolliert der Präsident die Exekutive uneingeschränkt. Und das stellt die Gewaltenteilung mit ihren Kontrollmechanismen infrage.

Christian Weisflog: «Er wurde eben demokratisch gewählt, und er zerstört hier Institutionen und untergräbt den Rechtsstaat. Und viele Leute stören sich nicht daran. Es gibt Experten, die sagen, die Gerichte können schon so ein bisschen bremsen und Gegendruck geben, aber solange der Kongress nichts dagegen tut und solange die Leute nicht auf die Strasse gehen, sind die Gerichte eigentlich nicht stark genug, um hier wirklich entscheidende Gegenwehr zu liefern.»

Inzwischen gibt es zwar erste organisierte Proteste gegen Trumps Politik. Aber solche Bewegungen konnten ihn zumindest in seiner ersten Amtszeit nicht beeindrucken. Christian Weisflog: «Das wird sich noch weisen, wie weit Trump am Ende wirklich kommt. Wenn es einen Meinungsumschwung gibt, Proteste gibt und so weiter, kann sich das auch wieder in die andere Richtung bewegen. Aber momentan, glaube ich, gibt es einen Versuch, die Macht zu konzentrieren und die liberale Demokratie auszuhöhlen.»

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