Sonntag, März 16

Bei der Unterstützung für Kiew scheint Deutschland gespalten. Umfragen zu dem Thema sind widersprüchlich, die Spendebereitschaft hat stark abgenommen. Anders als man meinen könnte, lässt sich daraus jedoch keine Abkehr von der Ukraine herleiten.

Es klingt ziemlich eindeutig: «Fast die Hälfte der Deutschen will der Ukraine nicht mehr helfen», titelte das Nachrichtenportal T-Online im Februar. Laut einer exklusiv bestellten Umfrage wollen 46 Prozent der Deutschen die Ukraine weder mit Waffen noch mit Geld unterstützen. In der Befragung sprechen sich nur 28 Prozent dafür aus, weiter militärisch und monetär zu helfen.

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Im selben Artikel zitiert das Nachrichtenportal allerdings eine ebenfalls aktuelle Befragung, in der sich 67 Prozent der Deutschen für die militärische Unterstützung der Ukraine aussprechen. Beide Umfragen stammen von seriösen Instituten, beide Umfragen sind repräsentativ. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?

Deutschland scheint unschlüssig und gespalten, was die Unterstützung der Ukraine betrifft. Zu Beginn des russischen Überfalls war die Solidarität gross. Die Regierung in Berlin entschied spontan, geflohene Ukrainer ohne Asylverfahren direkt aufzunehmen. Rund 1,3 Millionen kamen, rund 700 000 beziehen Sozialhilfe – werden also vom Steuerzahler finanziert. Eine Debatte darüber gab es in den ersten Kriegsmonaten nicht, zu gross war die Empathie für die Opfer der russischen Aggression.

Die hohen Kosten machen sich bemerkbar

Wenige Monate später folgte die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Dass mit deutschen Panzern und Geschützen Russen getötet werden, hätte noch zu Beginn des Jahres 2022 niemand für möglich gehalten. Diese Form der Unterstützung führte zwar zu Protesten, die mehrheitlich proukrainische Haltung der Deutschen kippte jedoch nicht.

Nun befindet sich die Ukraine im vierten Kriegsjahr – und Russland scheint die Oberhand zu gewinnen. Die intensiven Waffenlieferungen der westlichen Staaten haben die Ukraine zwar am Leben gehalten, konnten die Russen aber kaum zurückdrängen. Zudem machen sich die Unterstützung für Kiew und die Kosten für die Flüchtlinge nun deutlich im deutschen Staatshaushalt bemerkbar.

Ob die Deutschen unter diesen Umständen noch solidarisch mit der Ukraine sind, lässt sich nicht so einfach sagen, wie die eingangs erwähnten Umfragen zeigen. Die Befragung, die eine bröckelnde Unterstützung sieht, stammt vom Institut Insa. Thomas Dörflinger ist Seniorberater des Instituts und wundert sich nicht über die Abweichung zu anderen Umfragen.

Er verweist darauf, dass schon leicht unterschiedliche Befragungszeiträume einen Effekt haben können. Die Beurteilung von Waffenlieferungen an die Ukraine hänge auch damit zusammen, wie präsent der Krieg gerade in den Medien sei und wie er verlaufe. «Beides hat Einfluss auf die Zustimmungswerte», sagt Dörflinger im Gespräch mit der NZZ.

Ausserdem seien verschiedene Umfragen nur bedingt vergleichbar, weil die Fragestellungen meistens nicht identisch seien. Wer entscheidet über die Fragestellung? «Wir beraten bei der Formulierung, aber der Auftraggeber gibt die Frage vor», sagt Dörflinger.

52 Prozent wollen schmerzhafte Lösung für Kiew

Er nennt mehrere Erhebungen seines Instituts, die nahelegen, dass die Unterstützung für die Ukraine seit dem Jahr 2022 leicht abgenommen hat – aber immer noch von etwa der Hälfte der Bürger mitgetragen wird.

Laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage wären allerdings 52 Prozent der Deutschen dafür, Russland die bereits eroberten Gebiete in der Ukraine zuzusprechen, wenn dafür der Krieg rasch enden würde. Im Osten Deutschlands sehen es sogar zwei Drittel der Bürger so.

In den östlichen Bundesländern haben Linkspartei und AfD bei der Bundestagswahl im Februar besonders viele Stimmen bekommen. Beide Parteien sind eher russlandfreundlich und haben die Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert. Zusammen belegen sie im deutschen Parlament nun ein Drittel der Sitze.

Mehr als eine Milliarde gespendet

Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) scheiterte eine dritte tendenziell russlandfreundliche Partei nur um Haaresbreite an der Fünfprozenthürde. Weitere 16 Prozent der Stimmen gingen an die Sozialdemokraten (SPD), die Russland jahrzehntelang umgarnten und verharmlosten. Das Ergebnis der Bundestagswahl spiegelt also auch die Spaltung der Deutschen in der Ukraine-Frage wider.

Die Spendebereitschaft für das kriegsgebeutelte Land hat sehr stark abgenommen – allerdings von einem hohen Niveau kommend. Laut dem Zentralinstitut für soziale Fragen erhielten deutsche Organisationen im ersten Kriegsjahr rund eine Milliarde Euro Spenden für die Ukraine. Auf Anfrage der NZZ teilte das Institut mit, die Summen für die Jahre 2023 und 2024 würden erst im April vorliegen.

An den Zahlen des Bündnisses «Aktion Deutschland hilft» lässt sich aber ein massiver Rückgang ablesen. Im Jahr 2022 erhielt es 253 Millionen Euro für Ukraine-Projekte. Im Jahr 2023 waren es 18 Millionen, vergangenes Jahr rund 15 Millionen Euro. Ein Sprecher teilte der NZZ mit, dieser Schwund sei eine normale Entwicklung, «die wir auch von anderen Katastrophen kennen».

Wilfried Jilge ist Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und sieht in Deutschland nach wie vor eine grosse Sympathie für die Ukraine. Dass die Zustimmung nicht mehr ganz so hoch ist wie im Jahr 2022, hat seiner Einschätzung nach auch mit Fehlern von Bundeskanzler Olaf Scholz zu tun.

Jilge lobt dessen vielzitierte «Zeitenwende»-Rede, sieht danach aber kommunikative Fehler des Kanzleramts. Die ausschweifenden Debatten über einzelne Waffengattungen hätten zu einer Verunsicherung geführt. Um welche Waffen es gehe, mache sich auch in den Umfrageergebnissen bemerkbar, sagt Jilge. «Wenn man nach bestimmten Waffensystemen fragt, zum Beispiel Taurus-Marschflugkörper, dann nimmt meist die Unterstützung ab – auch weil Deutschland sehr in den Fokus gerät.»

Das passt zur Rolle, die Deutschland bisher in internationalen Konflikten gespielt hat: Man beteiligte sich im westlichen Bündnis, wollte dabei aber nie in der ersten Reihe stehen. Noch ist nichts entschieden, doch sollten sich die USA langfristig von der Ukraine und Europa abwenden, würde Deutschland sicherheitspolitisch zwangsläufig in den Mittelpunkt rücken. Für die pazifistisch geprägten Deutschen wäre das eine neue Rolle, die manche gesellschaftliche Spaltung vertiefen könnte.

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