Mittwoch, Januar 15

Die Basler Schau ist keine weitere westliche Selbstanklage im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung, sondern die reinste Lust und Freude an schwarzen Lebenswelten.

Schwarze Kultur: Unweigerlich verfängt man sich in Stereotypen und denkt an Musik, an Rhythmus und Tanz – vom Blues, Soul und Jazz bis zum Rap von heute, von Ella Fitzgerald bis zu Beyoncé. Aber schwarze Menschen in der bildenden Kunst? Es kommt einem spontan Manets «Olympia» in den Sinn – ein Bild eines weissen Franzosen von einer weissen Kurtisane. Schwarz ist darin nur die Dienerin, die der Nackten untertänig den Blumenstrauss eines Verehrers ans Bett trägt.

Der Schweizer Maler Félix Vallotton versuchte dieses Bild ein wenig zu korrigieren. Er antwortete auf Manets berühmtes Werk mit seinem Gemälde «La blanche et la noire»: einem vergleichbaren Setting wie in «Olympia» mit einer auf einem Bett ausgestreckten weissen Nackten und am unteren Bettrand einer schwarzen Bediensteten. Hier allerdings ist Letztere nicht unterwürfig zudienend, sondern lässig auf der Bettkante sitzend mit einer Zigarette im Mundwinkel wiedergegeben. Sie richtet ihren Blick fast schon überlegen auf die mit geschlossenen Augen und leicht geröteten Wangen vor ihr Liegende.

So selbstbewusst sieht man selten schwarze Personen in der Kunst. Sie haben sich selber aber tausendmal so dargestellt. Nur ist das wenig bekannt. Zum Beispiel Roméo Mivekannin: Der aus Côte d’Ivoire stammende Künstler hat seinerseits Vallottons Bild kopiert. Bei ihm verblasst der Bildteil mit der weissen Frau in monochromen, ausgebleichten Sepiatönen, als wollte der Künstler diesen Teil ausblenden. Die schwarze Frau in leuchtend türkisblauem Gewand und orangerotem Turban hingegen ist ganz präsent und schaut dem Betrachter direkt in die Augen.

Das Grossformat ist jetzt in einer Ausstellung im Kunstmuseum Basel zu sehen, die «hundert Jahre panafrikanischer, figurativer Malerei» feiert. Die Basler Schau ist eine epochale Kunstausstellung, denn sie verändert unseren Blick auf die Kunstgeschichte. «When We See Us», so der Titel, gewährt zum ersten Mal einen umfassenden Überblick über Gemälde, die seit den 1920er Jahren auf dem afrikanischen Kontinent und in der afrikanischen Diaspora entstanden sind. Die Ausstellung ist in Basel als einziger europäischer Destination zu sehen.

Kuratiert wurde sie vom Zeitz Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt, Südafrika. Seit ihrer Gründung 2017 hat sich diese Institution zum Ziel gesetzt, Gegenwartskunst von Künstlerinnen und Künstlern aus afrikanischen Ländern und schwarzer Kulturen in der ganzen Welt zu sammeln, zu erforschen und auszustellen.

Ein anderer Blickwinkel

Dieser schillernd-panoptische Blick auf Malerei von schwarzen Kunstschaffenden – ein Highlight unter den europäischen Kunstausstellungen dieses Sommers – hat gegenüber anderen vergleichbaren Ausstellungen vor allem einen Vorzug: Er ist nicht eine weitere Manifestation westlicher Selbstanklage im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung. Die jetzige Basler Schau ist auch keine «I am Black and Blue»-Demonstration schwarzer Künstler. «My only sin is in my skin», sang in diesem Song Louis Armstrong noch vor fast hundert Jahren. «Say it loud – I am black and I am proud», intonierte dagegen James Brown gut fünfzig Jahre später. Und genau mit diesem Klang kommen die Gemälde in der Ausstellung herüber. Sie zelebrieren Stolz auf die eigene Kultur und die reinste Lust und Freude am Alltag panafrikanischer Lebenswelten rund um den Globus.

Der Ausstellungstitel geht auf die amerikanische Netflix-Miniserie «When They See Us» (Wenn sie uns sehen) von 2019 zurück. Darin verhandelt die afroamerikanische Regisseurin Ava DuVernay den Fall von fünf schwarzen Teenagern, die 1989 zu Unrecht beschuldigt und verurteilt wurden, eine weisse Joggerin im New Yorker Central Park vergewaltigt zu haben. Mit der Abwandlung im Titel «When We See Us» (Wenn wir uns sehen), die ein «Wir» an die Stelle des «Sie» setzt, kommt es zu einer wesentlichen Verschiebung des Blickwinkels auf schwarze Schicksale.

Bezeichnenderweise fehlt in der Basler Schau, was sonst unter schwarzer Kunst verstanden wird: Werke der international gefeierten New Yorker Starkünstlerin Kara Walker zum Beispiel sucht man unter den rund 160 Kunstschaffenden dieser Ausstellung vergeblich. Ihr widmete das Kunstmuseum Basel 2021 eine grosse Ausstellung. Walkers Themen sind die Greuel der Sklaverei. Die jetzige Ausstellung veranschaulicht indes vor allem auch, wie sich Schwarze nicht sehen wollen: nämlich unter den jahrhundertealten Vorstellungen von Versklavung, Kolonisierung und Apartheid.

Lebensfreude und Sinnlichkeit

Die Malerei von schwarzen Kunstschaffenden stellt eine kaum bekannte Parallelwelt zur neueren westlichen Kunstgeschichte dar. Nicht anders als Weisse setzen sich hier schwarze Menschen in Szene: In klassisch bürgerlicher Porträtmalerei hat die Afroamerikanerin Margaret Taylor Burroughs 1959 ein sitzendes Mädchen dargestellt. Status und Prestige repräsentiert das Doppelporträt von Zéh Palito: Es zeigt ein Paar vor einem gelben Cadillac (2022).

In der Manier eines Historienbildes feiert der kongolesische Künstler Chéri Chérin die Amtseinführung des ersten schwarzen Präsidenten der USA. Er versammelt in seinem riesigen Gemälde von 2009 neben Barack und Michelle Obama Aktivisten und Politiker wie Nelson Mandela, Martin Luther King oder auch Condoleezza Rice, die dem Präsidenten und der First Lady ihre Glückwünsche überbringen. Damit demonstriert der Maler nicht zuletzt, wie sehr sich mit dieser Präsidentenwahl eine über die ganze Welt verstreute Gemeinde schwarzer Menschen identifiziert hat.

Wie eine umgekehrte Welt mutet das Panoramaformat (2020) des Südafrikaners Katlego Tlabela an: Wir sehen eine modernistische Villa mit Jeep und Swimmingpool. Aus dem Wasser steigt ein schwarzer Mann. Auf ihn wartet am Rand des Beckens ein weisser Butler. Das Bild evoziert eine Welt von Wohlstand und distanziert sich damit von Klischees der armseligen Hütte eines vom Schicksal geschundenen Onkel Tom. Der vermögende Villenbesitzer hat einen gestählten Körper voller Lebensenergie und männlicher Sinnlichkeit.

Überhaupt die Sinnlichkeit: Sie wird immer wieder zelebriert, wenn es darum geht, die eigene Körperlichkeit zu inszenieren: Da sehen wir zwei sich in knappen Leopardkleidchen auf dem Sofa räkelnde Freundinnen. In farbstarken Kontrasten gemalt wurde das Bild von Zandile Tshabalala aus Soweto. Eine in sprühender Intensität wiedergegebene Partyszene (1983) stammt von Moké – der Künstler ist ein Protagonist der Volksmalerei in Zaire.

Vor Lebensfreude strotzen auch die Teilnehmer einer Geburtstagsparty in Esiri Erheriene-Essis Gemälde «The Birthday Party» (2021). Wie einen Pokal streckt der strahlende Gefeierte im Zentrum seiner Freunde die Geburtstagstorte den Betrachtern entgegen. Das Geburtstagsfoto, nach dessen Vorlage die Londoner Malerin ihr Bild schuf, stammt von 1969 und zeigt im Zentrum den Anti-Apartheid-Aktivisten Steve Biko.

Ganz ohne Schatten kommt auch diese lichte Ausstellung nicht aus. Die vermeintlich fröhliche Geburtstagsszene kann nur oberflächlich die tragische Tatsache verbergen, dass Biko 1977 im Gefängnis von Pretoria an den Folgen der ihm zugefügten Kopfverletzungen durch Folter verstarb. Esiri Erheriene-Essis Bild, das auch auf dem Ausstellungsplakat zu sehen ist, steht symbolisch für die Widerstandsbewegung nicht nur des damaligen Apartheidregimes, sondern jeder Form von rassistischer Unterdrückung.

«When We See Us – Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei», Kunstmuseum Basel / Gegenwart, bis 27. Oktober.

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