Dienstag, Oktober 8

Stefan Heym war einer der bekanntesten Autoren der DDR. Als Jude hatte er seinen Namen ändern müssen, um die Nazis zu überleben. An seinem Pseudonym hielt er eisern fest.

Es ist populär geworden, Namen zu ändern: Mazedonien hat es getan, das Stockholmer Nationalstadion Råsunda heisst jetzt Strawberry Arena, und Bombay geht unter dem Namen Mumbai. All das ruft mir eine Begegnung mit Stefan Heym vor vielen Jahren in Erinnerung. Die Mauer war gefallen. Mein erstes Buch auf Deutsch sollte vorgestellt werden, und der berühmte Autor (1913–2001) hatte grosszügig angeboten, den Grünschnabel mit seiner Anwesenheit zu unterstützen.

Das hätte er nicht tun sollen. Ich war ein Niemand. Alle kamen seinetwegen, standen oder sassen dicht gedrängt im Berliner Literaturhaus, und hinterher formierte sich eine lange Schlange nach vorn zum ruhmreichen ehemaligen Dissidenten und ostdeutschen Guru, mit dem ich Seite an Seite sass, um Bücher zu signieren. Stefan Heym, in grösster Zufriedenheit, schrieb und schrieb und schrieb. Vor mir war es leer, und die Tinte in meinem Füller trocknete.

Ein einziger Mann kam auf mich zu und fragte, ob Oslo die Hauptstadt Schwedens sei. War es nicht.

Ein auf seine Weise gelungener Abend, meiner Erinnerung nach früh im Herbst, und anschliessend nahmen wir gemeinsam ein Taxi zu Stefan nach Hause in die Rabindranath-Tagore-Strasse in Grünau. Aber fast die gesamte Strecke lang blieb er stumm, sagte kein Wort, und sein Schweigen bereitete mir Unbehagen. Als hätte ich ihn verärgert, ohne zu verstehen, warum. Und er schwieg weiter.

Plötzlich fragte er, wie ich heisse.

Denk einfach an Quatsch

Eine seltsame Frage.

Mein lieber Stefan, sagte ich sehr langsam. Du bist Stefan. Ich bin Richard.

Das schien ihn nur noch mehr zu ärgern. Vielleicht weil es klang, als hätte ich zu einem Kind gesprochen, felsenfest von etwas überzeugt, wovon Kinder keine Ahnung haben.

Ja, ja, ich weiss, drängte er, aber mit Familiennamen? Dein Nachname! Dass du hier in Deutschland nicht Schwarz heisst, dein Name nichts mit der Farbe zu tun hat, habe ich verstanden, aber ich spreche ihn jedes Mal «Swoorz» aus, obwohl das wahrscheinlich nicht stimmt.

Nein, sagte ich. «Swoorz» würde man mich vielleicht in Amerika nennen. Aber hier sind wir in Europa. Wir beide sind ja Europäer.

Eben! Wie heisst du also? Wie zum Teufel soll ich dich denn nennen?

Auf Schwedisch klingt es wie Swatsch, sagte ich. Swatsch. Wenn du es dir merken willst, dann denk an Quatsch, es reimt sich sogar. Swatsch, Quatsch.

Seine Verärgerung nahm sichtbar zu. Vielleicht glaubte er, ich wolle mich über seine Frage lustig machen. Da sassen wir in der herbstlichen Dunkelheit nebeneinander, und wieder schwieg er. Lange sassen wir im Taxi so da, bis er im Dunkeln fast mürrisch sagte: Na ja, solange ich dich nicht Weiss nenne, muss Schwarz wohl genügen.

Erst viele Jahre später begann ich, darüber nachzudenken, warum Stefan damals so aufgebracht war. Vielleicht, weil das meiste in unserem Leben Leihgabe ist? Was sollte uns denn gehören? Ausser Zeit und einem Namen? Und den Namen müssen wir hüten: Es ist allzu leicht, ihn zu verlieren, hat man Pech, wird der Name durch eine Nummer ersetzt. Ohne Namen laufen wir dann Gefahr, überhaupt nichts wert zu sein – in einem Krankenhaus zu einem Fall zu werden, in einem Konzentrationslager eben zu einer Nummer; die sogenannte Personennummer zum Beispiel ist eine sehr fragwürdige schwedische Erfindung mit zehn Ziffern statt Buchstaben und verheisst nichts Gutes. Als Namenlose können wir uns sogar selbst verlorengehen, wie bei Homer zu Niemand werden.

Bekanntermassen mit sehr üblem Ausgang.

Doch Stefan muss gewusst haben, wovon er sprach: Er war ja nicht als Stefan Heym zur Welt gekommen, sondern als Helmut Flieg. Die Nationalsozialisten Adolf Hitlers hatten ihn gezwungen, seinen Namen zu ändern, nicht aus freien Stücken, sondern um als Jude und Sozialist zu überleben. Als junger Mann musste er aus Deutschland fliehen, und immer, wenn es ihm gelang, eine Ansichtskarte an seine Mutter zu Hause zu schicken, wusste sie, dass nicht irgendein Stefan Heym sie herzlich grüsste, sondern ihr Helmut Flieg. Der Sohn war am Leben. Und als es nach dem Krieg dann möglich war, zu seinem alten, seinem «echten» Namen zurückzuwechseln, tat er es nicht.

Warum nicht? Ich habe nie gefragt. Sicherheitshalber vielleicht? Es könnte ja wieder passieren. Die Nazis könnten zurückkommen. Vielleicht aber, weil aus Helmut Fliegs Welt zu viel untergegangen war und mit ihr auch Helmut Flieg.

Also blieb er bei Stefan Heym.

Dieselbe hässliche und heruntergekommene Stadt

Als ich das erste Mal nach Chemnitz kam, war er bereits tot. Das erste Mal? Stimmt nicht ganz: In Karl-Marx-Stadt, wie die Stadt zu jener Zeit hiess, weil sie östlich und nicht westlich der Mauer lag, war ich oft gewesen. Dieser Teil Deutschlands nannte sich damals noch DDR und sah sich selbst als «antifaschistischen Schutzwall».

Unter dem Namen Chemnitz war die Stadt einst industrielles Zentrum und eine der reichsten Städte Deutschlands. Davon war in Karl-Marx-Stadt jedoch nichts zu bemerken, nicht einmal in den vormals berühmten Lokalen, in denen die verschlafene Stimmung trostloser Sonntagnachmittage herrschte. Ohne einander zu kennen, wurden die Menschen an den Tischen zusammengedrängt, sassen da und schwiegen in ähnlicher Weise wie die Mauer, die sie einschloss.

Heute heisst Karl-Marx-Stadt wieder Chemnitz, weil der Kommunismus verschwunden ist und jene, die hier leben, den alten Namen wiederhaben wollten. Stefan Heym, einst Helmut Flieg, ist Namensgeber eines grossen internationalen Literaturpreises der Stadt, und aus dem Haus seiner Kindheit hat man ein Museum gemacht.

Alles, um sich an ihn zu erinnern.

Ich spaziere durchs Zentrum und kann mich binnen kürzester Zeit davon überzeugen, dass es dieselbe hässliche und heruntergekommene Stadt ist wie jene, die Karl-Marx-Stadt hiess. Seltsam eigentlich. Aber ich bin sicher, dass ein alter Chemnitzer wie Stefan Heym sich zurechtgefunden hätte, obwohl er nicht mehr Helmut Flieg heisst.

Der schwedische Schriftsteller Richard Swartz lebt in Stockholm, Wien und Sovinjak (Istrien). – Aus dem Schwedischen von Andrea Fredriksson-Zederbauer.

Exit mobile version